Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 28.05.2020

IX ZB 50/18

Normen:
InsO § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
ZPO § 233 S. 1

Fundstellen:
NZI 2020, 798
ZInsO 2020, 1797
ZVI 2020, 307

BGH, Beschluss vom 28.05.2020 - Aktenzeichen IX ZB 50/18

DRsp Nr. 2020/10041

Erreichen der vorgesehenen Mindestbefriedigungsquote innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzeröffnung als Voraussetzung für die Entscheidung über die vorzeitige Restschuldbefreiung; Erteilung der vorzeitigen Restschuldbefreiung durch Wahrung der Frist

Die Entscheidung über die vorzeitige Restschuldbefreiung setzt voraus, dass die vorgesehene Mindestbefriedigungsquote innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzeröffnung erreicht wird. Dies ührt dazu, dass die vorzeitige Restschuldbefreiung nicht mehr erteilt werden kann, wenn die vorgesehene Mindestbefriedigungsquote erst nach Ablauf von drei Jahren erreicht wird. Dieser Zeitraum stellt eine Ausschlussfrist dar.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 18. Mai 2018 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

InsO § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ; ZPO § 233 S. 1;

Gründe

I.

Auf Eigenantrag vom 17. Juli 2014 wurde am 30. Juli 2014 das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, der als Polizeibeamter tätig ist und der Pfändung unterliegende Bezüge erhält. Im Eröffnungsbeschluss wurde festgestellt, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung erlange, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkomme und die Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290 , 297 bis 298 InsO nicht vorlägen. Das Insolvenzverfahren wurde am 17. September 2015 nach Abhaltung des Schlusstermins und nach vollzogener Schlussverteilung aufgehoben. Der weitere Beteiligte, der zuvor auch Insolvenzverwalter gewesen war, wurde für die Wohlverhaltensphase zum Treuhänder bestimmt.

Mit Schreiben vom 2. März 2017 bat der Schuldner das Insolvenzgericht um Mitteilung, "welche Summe ich wann einzahlen muss", um mit Ablauf von drei Jahren Restschuldbefreiung zu erlangen. Das Insolvenzgericht übersandte das Schreiben an den weiteren Beteiligten, der den Schuldner mit Schreiben vom 14. März 2017 über den Betrag der zu deckenden Gläubigerforderungen, die bereits an die Gläubiger geflossenen Zahlungen sowie darüber in Kenntnis setzte, dass außerdem die Verfahrenskosten bezahlt werden müssten. Die Berechnung der Verfahrenskosten erläuterte er abstrakt. Über die seinerzeit auf dem von ihm geführten Treuhandkonto vorhandenen Gelder informierte der weitere Beteiligte den Schuldner nicht. Mit Schreiben vom 22. März 2017 stellte der Schuldner beim Insolvenzgericht "Verkürzungsantrag gemäß § 300 Abs. 1 Nr. 2 InsO ".

Mit E-Mail vom 3. Juli 2017 wandte sich der Schuldner an den weiteren Beteiligten und bat, "die noch ausstehende Restsumme" mitzuteilen. Der weitere Beteiligte antwortete mit E-Mail vom 10. Juli 2017, dass unter Berücksichtigung noch offener, mit 1.682,68 € veranschlagter Verfahrenskosten, "nach derzeitigem Stand" 16.317,32 € zu bezahlen seien. Bei der Berechnung blieben die auf dem Treuhandkonto vorhandenen Gelder unberücksichtigt, über die der weitere Beteiligte den Schuldner auch nicht sonst in Kenntnis setzte. Hiernach beauftragte der Schuldner einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Dieser beantragte mit Schreiben an das Insolvenzgericht vom 17. Juli 2017 erneut, dem Schuldner vorzeitige Restschuldbefreiung zu erteilen. Ausweislich des Schreibens ging der Schuldner seinerzeit davon aus, 35 vom Hundert der Insolvenzforderungen befriedigt und die Kosten des Rechtschuldbefreiungsverfahrens vollständig beglichen zu haben. Dementsprechend nahm der Schuldner bis zum Ablauf des 30. Juli 2017 keine gesonderten Zahlungen an den weiteren Beteiligten vor.

Mit Schreiben vom 3. August 2017 berichtete der weitere Beteiligte gegenüber dem Insolvenzgericht aufgrund des Antrags auf vorzeitige Restschuldbefreiung und zeigte unter Zugrundelegung des aktuellen Guthabens auf dem von ihm geführten Treuhandkonto einen Fehlbetrag von rund 8.000 € auf. Das Schreiben ging dem Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners am 9. August 2017 zu. Am 18. August 2017 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der vom weiteren Beteiligten aufgezeigte Fehlbetrag wurde bis dahin und auch in der Folge nicht beglichen.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Ziel weiter, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO , §§ 4 , 6 , 300 Abs. 4 Satz 2 InsO , § 238 Abs. 2 ZPO ) und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Vorschriften der §§ 233 ff ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht anwendbar. Bei der in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO geregelten Frist handele es sich weder um eine Notfrist im Sinne des § 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO noch um eine sonstige in § 233 Satz 1 ZPO genannte Frist. Auch eine entsprechende Anwendung der §§ 233 ff ZPO sei nicht angezeigt. Schon eine planwidrige Regelungslücke sei zweifelhaft. Es fehle aber auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Der Schuldner werde überdies nicht unzumutbar belastet, wenn er unter Hinweis auf eine fehlende Auskunftsverpflichtung des Treuhänders beziehungsweise Insolvenzverwalters und des Insolvenzgerichts darauf verwiesen werde, eigene Betragsermittlungen anzustellen und gegebenenfalls (vorsorglich) auch einen größeren Betrag als für die gesetzlich verlangten 35 vom Hundert Befriedigungsquote zuzüglich Verfahrenskosten erforderlich fristgerecht einzuzahlen.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Dabei kann offenbleiben, ob die Vorschriften der §§ 233 ff ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf die in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO geregelte Frist anwendbar sind.

a) Mit Beschluss vom 19. September 2019 ( IX ZB 23/19, WM 2019, 2070 Rn. 14 ff) hat der Bundesgerichtshof entschieden, die Entscheidung über die vorzeitige Restschuldbefreiung nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO setze voraus, dass die vorgesehene Mindestbefriedigungsquote innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzeröffnung erreicht werde. Dieses sowohl aufgrund des Wortlauts (BGH, Beschluss vom 19. September 2019, aaO Rn. 16 f) als auch nach Sinn und Zweck der Regelung (BGH, Beschluss vom 19. September 2019, aaO Rn. 18 ff) gebotene Verständnis führt dazu, dass die vorzeitige Restschuldbefreiung nicht mehr erteilt werden kann, wenn die vorgesehene Mindestbefriedigungsquote erst nach Ablauf von drei Jahren erreicht wird. Der in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO geregelte Zeitraum stellt daher eine Ausschlussfrist dar. Die Frist hat der Schuldner vorliegend nicht gewahrt. Dem weiteren Beteiligten ist der erforderliche Betrag nicht bis zum Ablauf von drei Jahren der Abtretungsfrist zugeflossen.

b) Der Bundesgerichtshof hat bisher offengelassen, ob die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend auf die Ausschlussfrist des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO anzuwenden sind (BGH, Beschluss vom 19. September 2019, aaO Rn. 39). Diese Frage muss auch im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden.

Es bestünde kein Anlass, eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Erreichung der Mindestbefriedigungsquote von Voraussetzungen abhängig zu machen, die hinter den Anforderungen der §§ 233 ff ZPO zurückbleiben. Eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO setzte demnach ein unverschuldetes Fristversäumnis voraus (§ 233 Satz 1 ZPO ). Die § 234 ZPO zu entnehmende Antragsfrist müsste gewahrt sein und innerhalb dieser Frist der zur Erreichung der Mindestbefriedigungsquote erforderliche Betrag nachgeschossen werden (vgl. § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO ). Letzteres ist nicht der Fall. Der vom weiteren Beteiligten aufgezeigte Fehlbetrag wurde nicht innerhalb der Antragsfrist beglichen.

Die Antragsfrist von zwei Wochen (vgl. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO ) ist durch den Zugang des Schreibens des weiteren Beteiligten vom 3. August 2017 bei dem Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners am 9. August 2017 in Lauf gesetzt worden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren auf Seiten des Schuldners alle zur Berechnung des nachzuschießenden Betrags erforderlichen Umstände bekannt und damit ein zuvor möglicherweise bestehendes Hindernis behoben (vgl. § 234 Abs. 2 ZPO ). Insbesondere kannte der Schuldner die Höhe der zu berücksichtigenden Gläubigerforderungen, den sich aus diesen ergebenden Anteil von 35 vom Hundert, die bislang an die Gläubiger geflossenen Zahlungen sowie das im maßgeblichen Zeitpunkt vorhandene Guthaben auf dem Konto des Treuhänders. Bekannt waren zudem die in der Wohlverhaltensphase durch den weiteren Beteiligten vereinnahmten Zahlungen sowie die Berechnung und Höhe der von diesem auf dieser Grundlage beanspruchten Vergütung.

Vorinstanz: AG Ludwigshafen a. Rhein, vom 11.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen IK 322/14
Vorinstanz: LG Frankenthal, vom 18.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 1 T 340/17
Fundstellen
NZI 2020, 798
ZInsO 2020, 1797
ZVI 2020, 307