Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 26.05.2020

XI ZB 14/19

Normen:
ZPO § 319
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2

BGH, Beschluss vom 26.05.2020 - Aktenzeichen XI ZB 14/19

DRsp Nr. 2020/10438

Einfluss der Berichtigung eines Urteils wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist; Beginn der Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses als Ausnahme

Bei der Frage, ob das nicht berichtigte Urteil erkennen lässt, dass dem Gericht bei der Bezeichnung der Parteirollen ein Fehler unterlaufen ist, ist das betreffende Urteil nicht isoliert zu betrachten. Es ist vielmehr ausreichend, wenn die offenbare Unrichtigkeit des Urteils für die Parteien des Rechtsstreits unter Hinzuziehung der Akte und des Sitzungsprotokolls erkennbar ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 21. Juni 2019 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 2.840,80 €.

Normenkette:

ZPO § 319 ; ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beklagte GmbH als Bürgin in Anspruch. Da die Klage unter Angabe des gesetzlichen Vertretungsverhältnisses zunächst nicht hat zugestellt werden können, hat das Amtsgericht sie an die Geschäftsführerin, Frau W. , ohne einen das gesetzliche Vertretungsverhältnis kenntlichmachenden Zusatz zugestellt. Im weiteren Verfahren hat das Amtsgericht in Beschlüssen und Protokollen Frau W. als Beklagte geführt. Auch im Rubrum des Urteils des Amtsgerichts vom 6. November 2018, mit dem der Klage teilweise stattgegeben worden ist, ist Frau W. als Beklagte genannt.

Das Urteil ist dem Beklagtenvertreter am 11. Dezember 2018 und den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Dezember 2018 zugestellt worden. Der Beklagtenvertreter hat mit Schriftsatz vom 11. Januar 2019 beantragt, die Passivparteibezeichnung in dem Urteil nach § 319 ZPO zu korrigieren, da die Beklagte so firmiere wie in der Klageschrift angegeben. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 14. Januar 2019 einen entsprechenden Antrag gestellt. Mit Beschluss vom 13. Februar 2019 hat das Amtsgericht das Passivrubrum seines Urteils gemäß § 319 ZPO dahingehend berichtigt, dass Beklagte die GmbH ist.

Bereits am 11. Januar 2019 haben sowohl die GmbH als auch FrauW. Berufung eingelegt und die Berufung mit am 12. Februar 2019 eingegangenem Schriftsatz innerhalb der bis zum 14. Februar 2019 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2019, per Fax am 25. Februar 2019 und im Original am 28. Februar 2019 beim Landgericht eingegangen, hat die GmbH ihre Berufung "v.a. aus Kostengründen" zurückgenommen, da angesichts der anhaltenden Untätigkeit des Amtsgerichts in Bezug auf den Urteilsberichtigungsantrag davon ausgegangen werde, das angefochtene Urteil habe so ergehen sollen, wie es vorliege.

Nachdem der Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts vom 13. Februar 2019 dem Beklagtenvertreter am 27. Februar 2019 zugestellt worden war, hat dieser mit Schriftsatz vom gleichen Tag, eingegangen am 28. Februar 2019, erneut Berufung für die GmbH eingelegt. Frau W. hat in der Folge die von ihr eingelegte Berufung für erledigt erklärt. Der Kläger, gemäß § 91a Abs. 1 ZPO belehrt, hat dieser Erklärung nicht widersprochen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung der GmbH als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die nach Rücknahme der ursprünglichen Berufung erneut eingelegte Berufung der GmbH nicht innerhalb der Frist des § 517 ZPO eingelegt worden sei. Die gemäß § 319 ZPO vorgenommene Urteilsberichtigung habe nicht zu einem neuen Fristbeginn geführt. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von diesem Grundsatz lägen hier nicht vor, auch wenn sich aus dem Urteil selbst nichts dafür ergebe, dass das Amtsgericht nicht Frau W. , sondern die GmbH habe verurteilen wollen. Denn den Parteien sei klar gewesen, dass Beklagte in diesem Rechtsstreit nicht Frau W. , sondern die GmbH gewesen sei und das Amtsgericht sich offensichtlich geirrt habe. So hätten nicht nur beide Parteien die Berichtigung des Rubrums beantragt, sondern der Beklagtenvertreter habe auch für die GmbH Berufung eingelegt und deutlich gemacht, dass für ihn der Irrtum des Gerichts bei der Bezeichnung der beklagten Partei offensichtlich sei.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der beklagten GmbH.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86 , 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO ) nicht erforderlich. Das Berufungsgericht ist vielmehr, ohne den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) oder auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) zu verletzen, im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, die Berufung der Beklagten sei nicht fristgemäß eingelegt worden.

1. Die Berichtigung eines Urteils gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit hat grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist (BGH, Beschluss vom 23. April 1955 - VI ZB 4/55, BGHZ 17, 149 , 151, Urteile vom 10. März 1981 - VI ZR 236/79, VersR 1981, 548 , 549 und vom 9. Dezember 1983 - V ZR 21/83, BGHZ 89, 184 , 186 mwN sowie Beschlüsse vom 17. Januar 1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 , 230, vom 5. November 1998 - VII ZB 24/98, NJW 1999, 646 , 647 und vom 9. November 2016 - XII ZB 275/15, NJW-RR 2017, 55 Rn. 6). Den Parteien wird zugemutet, im Rahmen ihrer Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels eine offenbare Unrichtigkeit des Urteils zu berücksichtigen, schon bevor diese gemäß § 319 ZPO richtiggestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 9. November 2016, aaO).

Ausnahmsweise beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses, wenn das Urteil insgesamt nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden (BGH, Beschluss vom 23. April 1955 - VI ZB 4/55, BGHZ 17, 149 , 151, Urteil vom 10. März 1981 - VI ZR 236/79, VersR 1981, 548 , 549 und Beschluss vom 9. November 2016 - XII ZB 275/15, NJW-RR 2017, 55 Rn. 6). Das ist etwa der Fall, wenn erst die berichtigte Entscheidung die Beschwer oder die richtige Partei erkennen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1955, aaO S. 151 f., Urteil vom 10. März 1981, aaO, Beschluss vom 9. November 2016, aaO und Urteil vom 18. Dezember 2019 - VIII ZR 332/18, NJW-RR 2020, 472 Rn. 20). Denn der Irrtum eines Gerichts darf sich nicht dahin auswirken, dass die Rechtsmittelmöglichkeit einer Partei beeinträchtigt oder gar vereitelt wird (BGH, Beschluss vom 23. April 1955, aaO S. 152, Urteil vom 10. März 1981, aaO, sowie Beschlüsse vom 17. Januar 1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 , 231 und vom 5. November 1998 - VII ZB 24/98, NJW 1999, 646 , 647).

Allerdings ist bei der Frage, ob das nicht berichtigte Urteil erkennen lässt, dass dem Gericht bei der Bezeichnung der Parteirollen ein Fehler unterlaufen ist, das betreffende Urteil nicht isoliert zu betrachten. Es ist vielmehr ausreichend, wenn die offenbare Unrichtigkeit des Urteils für die Parteien des Rechtsstreits unter Hinzuziehung der Akte und des Sitzungsprotokolls erkennbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2016 - XII ZB 275/15, NJW-RR 2017, 55 Rn. 8 f. und Urteil vom 18. Dezember 2019 - VIII ZR 332/18, NJW-RR 2020, 472 Rn. 19). Ferner ist zu berücksichtigen, ob die Partei die Unrichtigkeit unzweifelhaft erkannt hat oder ob dies nicht der Fall ist und die Partei deshalb durch den Fehler des Gerichts davon abgehalten worden ist, gegen das noch nicht berichtigte Urteil ein Rechtsmittel einzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1981 - VI ZR 236/79, VersR 1981, 548 , 549, Beschlüsse vom 17. Januar 1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 , 231 f., vom 5. November 1998 - VII ZB 24/98, NJW 1999, 646 , 647 und vom 9. November 2016, aaO Rn. 11 f. sowie Urteil vom 18. Dezember 2019, aaO Rn. 21).

2. Danach hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass hier kein Ausnahmefall vorliegt, in dem erst mit der Bekanntmachung des Berichtigungsbeschlusses der Lauf der Rechtsmittelfrist begonnen hat.

Zum einen war der dem Amtsgericht unterlaufene Fehler bei der Bezeichnung der Beklagten im Rubrum für die Beklagte erkennbar. So ist im Eingang der Klageschrift die GmbH als Beklagte genannt und auch die in der Klageschrift in Bezug genommene und als Anlage K 1 vorgelegte Bürgschaftserklärung weist die GmbH als Bürgin aus. In sämtlichen nachfolgenden Schriftsätzen des Klägers ist im Kurzrubrum immer die GmbH als Beklagte angegeben. Ferner hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. März 2017 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die vorliegende Klage ausschließlich gegen die GmbH richte, deren Geschäftsführerin Frau W. sei, und das Amtsgericht um umgehende Rubrumsberichtigung gebeten. Im Übrigen hat der zuständige Amtsrichter unter dem 7. September 2016 verfügt, den Prozessbevollmächtigten mitzuteilen, dass die Zustellung der Klageschrift an Frau W. als Geschäftsführerin der Beklagten erfolgt sei.

Zum anderen haben die beklagte GmbH und ihr Prozessbevollmächtigter die Unrichtigkeit der Bezeichnung der Beklagten im Urteil des Amtsgerichts unzweifelhaft erkannt und mit Schriftsatz vom 11. Januar 2019 fristgemäß Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts "in seiner noch zu berichtigenden Fassung" eingelegt. In dieser Berufungsschrift ist die GmbH als "Beklagte und Berufungsklägerin" genannt, während Frau W. als "Ersatz-Berufungsklägerin" aufgeführt ist, in deren Namen die Berufung nur dann erhoben sein soll, sofern eine Berichtigung wider Erwarten nicht möglich sein sollte. Die Berufungsschrift führt weiter aus, dass die Klage sich ausdrücklich gegen die GmbH als Beklagte richte, die GmbH davon ausgehe, dass das Urteil nach § 319 ZPO wegen offensichtlicher Unrichtigkeit der Passivparteibezeichnung berichtigungsfähig sei, die GmbH wegen der offensichtlichen Unrichtigkeit "das Urteil wahrscheinlich auch unberichtigt hinsichtlich der Berufungsnotfrist gegen sich gelten lassen" müsse und nur für den Fall, dass eine Berichtigung der Passivparteibezeichnung aus bisher unbekannten Gründen nicht in Betracht kommen sollte, die Berufung vorsorglich als diejenige der Frau W. umgedeutet werden können solle. In der Folge ist die fristgemäß eingelegte Berufung der GmbH auch fristgemäß begründet worden. Angesichts dieser Umstände ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar mit den Fällen, die den von der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 und vom 5. November 1998 - VII ZB 24/98, NJW 1999, 646 f.) zugrunde lagen.

3. Im Übrigen ist die Rücknahme der am 11. Januar 2019 im Namen der GmbH eingelegten Berufung nicht widerruflich. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels ist grundsätzlich unwiderruflich und eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dann in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund vorliegt und das Urteil, durch welches die Berufung als unzulässig verworfen würde, der Restitutionsklage aus § 580 ZPO unterläge (BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 1987 - IVb ZB 125/87, FamRZ 1988, 496 f., vom 16. Mai 1991 - III ZB 1/91, NJW 1991, 2839 und vom 30. Mai 2007 - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640 Rn. 37 f. mwN). Ein Restitutionsgrund wird von der beklagten GmbH indes nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.

Schließlich kommt nach Rücknahme einer - wie hier - fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die neu eingelegte Berufung nicht in Betracht (BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 1991 - III ZB 1/91, NJW 1991, 2839 , vom 30. Mai 2007 - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640 Rn. 15 und vom 13. Januar 2009 - VIII ZB 29/07, juris Rn. 6).

Vorinstanz: AG Wernigerode, vom 06.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 10 C 276/19
Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 21.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 S 10/19