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BGH - Entscheidung vom 29.01.2020

XII ZB 500/19

Normen:
BGB § 1836 c Nr. 2
BGB § 1836 d
BGB § 1908 i Abs. 1 S. 1
SGB XI § 13 Abs. 5 S. 1
SGB XI § 37 Abs. 1
SGB XII § 90 Abs. 3 S. 1
BGB § 1836c Nr. 2
BGB § 1836d
BGB § 1908i Abs. 1 S. 1
SGB XI § 13 Abs. 5 S. 1
SGB XI § 37 Abs. 1
SGB XII § 90 Abs. 3 S. 1
SGB XI § 37
SGB XII § 90 Abs. 3 S. 1
BGB § 1836c Nr. 2
BGB § 1908i Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
FamRZ 2020, 789
FuR 2020, 424
MDR 2020, 633
NJW-RR 2020, 514

BGH, Beschluss vom 29.01.2020 - Aktenzeichen XII ZB 500/19

DRsp Nr. 2020/4105

Darstellen des Einsatzes eines aus Pflegegeld angesparten Vermögens für die Vergütung des Berufsbetreuers als Härte für den Betreuten

Der Einsatz eines aus Pflegegeld nach § 37 SGB XI angesparten Vermögens für die Vergütung des Berufsbetreuers stellt für den Betreuten keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 18. September 2019 aufgehoben.

Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 7. Mai 2019 abgeändert und die von der weiteren Beteiligten zu 1 an die Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.105,66 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Wert: 1.106 €

Normenkette:

SGB XI § 37 ; SGB XII § 90 Abs. 3 S. 1; BGB § 1836c Nr. 2 ; BGB § 1908i Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Das Verfahren betrifft die Frage, ob Vermögen, das durch nicht verbrauchtes Pflegegeld angespart wurde, für die Vergütung eines Berufsbetreuers eingesetzt werden muss.

Die Beteiligte zu 1 ist seit vielen Jahren zur Betreuerin der Betroffenen bestellt. Sie übt ihr Amt berufsmäßig aus. In der Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. März 2018 wurde ihr für ihre Tätigkeit eine Vergütung von insgesamt 4.158 € aus der Landeskasse gezahlt. Mit Beschluss vom 7. Mai 2019 hat das Amtsgericht die Erstattung dieser Vergütung in Höhe von 3.000 € aus dem Vermögen der Betroffenen angeordnet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Betroffene über ein entsprechendes Vermögen oberhalb des Schonbetrags von 5.000 € verfügt. Auf die Beschwerde der Betreuerin hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Beschluss ersatzlos aufgehoben. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 (nachfolgend: Landeskasse).

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Abänderung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung folgendes ausgeführt:

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz habe die Betroffene über ein den Schonbetrag von 5.000 € übersteigendes Vermögen von 1.105,66 € verfügt. Dieses Vermögen beruhe darauf, dass die Betroffene nicht verbrauchtes Pflegegeld, das ihr von der Pflegekasse ausgekehrt worden sei, angespart habe. Da die der Betroffenen zugeflossenen Leistungen aus der Pflegeversicherung nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI nicht als Einkommen zu bewerten seien, könne ein damit angespartes Vermögen auch nicht für die Vergütung des Betreuers eingesetzt werden. Nach dem Rechtsgedanken der Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII widerspreche es der Billigkeit, Leistungen aus dem Pflegegeld, die der Betroffenen zugeflossen seien, die sie aber aus in ihrer Krankheit liegenden Gründen nicht zweckbestimmt habe verwenden können, als einsetzbares Vermögen zu bewerten. Das Pflegegeld sei grundsätzlich eine zweckbestimmte Leistung, mit der der Empfänger in die Lage versetzt werden solle, die für die Pflege erforderlichen Aufwendungen zu decken. Gelinge es dem Leistungsempfänger aber, seinen pflegerischen Aufwand mit einem geringeren finanziellen Aufwand zu bestreiten, könne dies nicht dazu führen, dass die Leistungen aus der Pflegeversicherung wirtschaftlich dazu heranzuziehen seien, aus der Staatskasse getragene Betreuervergütungen auszugleichen.

Hinzu komme, dass die Betroffene im Hinblick auf von ihrem Enkel in ihrer Wohnung verursachte Schäden in unmittelbarer Zukunft davon ausgehen müsse, von ihrem Vermieter auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Der Enkel sei selbst nicht in der Lage, für diese Schäden einzustehen.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Vergütungsschuldner des Berufsbetreuers ist bei Mittellosigkeit des Betreuten die Staatskasse (§§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 3 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG ) und bei vorhandenem verwertbaren Vermögen der Betreute (§§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG ). Soweit die Staatskasse Leistungen zur Vergütung eines Betreuers erbracht hat, geht gemäß § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 e Abs. 1 Satz 1 BGB der Anspruch des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse über. Ob bzw. inwieweit die Staatskasse den Betreuten aus der übergegangenen Forderung tatsächlich in Anspruch nehmen kann, bestimmt sich nach dessen Leistungsfähigkeit. Maßstab hierfür ist das nach § 1836 c BGB einzusetzende Einkommen und Vermögen des Betreuten, auf das seine Inanspruchnahme begrenzt ist. Demzufolge muss auch ein zur Zeit der Betreuertätigkeit mittelloser Betreuter grundsätzlich später vorhandene Mittel im Rahmen des § 1836 c BGB für die Kosten der Betreuung einsetzen (Senatsbeschluss vom 9. Januar 2013 - XII ZB 478/11 - FamRZ 2013, 440 Rn. 10 ff.). Dabei ist für die Feststellung, ob der Betreute mittellos oder vermögend ist, auf den Zeitpunkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz abzustellen (Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 - XII ZB 582/12 - FamRZ 2013, 620 Rn. 18).

Das vom Betreuten einzusetzende Vermögen bestimmt sich gemäß § 1836 c Nr. 2 BGB nach § 90 SGB XII . Dabei geht § 90 Abs. 1 SGB XII von dem Grundsatz aus, dass das gesamte verwertbare Vermögen für die Betreuervergütung einzusetzen ist (Senatsbeschluss vom 9. Juni 2010 - XII ZB 120/08 - FamRZ 2010, 1643 Rn. 21 ff.), soweit es nicht zu dem in § 90 Abs. 2 SGB XII abschließend aufgezählten Schonvermögen gehört. Im Übrigen bleibt gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII Vermögen unberücksichtigt, dessen Einsatz oder Verwertung für den Betroffenen eine Härte bedeuten würde.

b) Nach den vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen betrug das Vermögen der Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde 6.105,66 €. Davon hat das Beschwerdegericht zu Recht einen Betrag von 5.000 € als Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Abzug gebracht, so dass die Betroffene über ein einzusetzendes Vermögen von 1.105,66 € verfügte.

c) Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Auffassung des Beschwerdegerichts, bei der Berechnung des einzusetzenden Vermögens der Betroffenen blieben die angesparten Leistungen aus der Pflegeversicherung außer Betracht. Die Verwertung des Vermögens, das die Betroffene mit Zahlungen aus der Pflegeversicherung angespart hat, stellt keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar.

aa) Mit dieser Vorschrift können atypische Fallkonstellationen im Einzelfall aufgefangen werden, die nicht von den in § 90 Abs. 2 SGB XII genannten Fallgruppen erfasst sind, die aber den in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Leitvorstellungen des Gesetzes für die Verschonung von Vermögen vergleichbar sind (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2010 - XII ZB 120/08 - FamRZ 2010, 1643 Rn. 19). Dabei ist für die Anwendung des § 90 Abs. 3 SGB XII die Herkunft des Vermögens grundsätzlich unerheblich. Lediglich in Einzelfällen kann die Herkunft des Vermögens dieses so prägen, dass seine Verwertung eine Härte darstellen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2010 - XII ZB 120/08 - FamRZ 2010, 1643 Rn. 18). Davon kann etwa ausgegangen werden, wenn der gesetzgeberische Grund für die Nichtberücksichtigung einer laufenden Zahlung als Einkommen auch im Rahmen der Vermögensanrechnung durchgreift, weil das Vermögen den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie die laufende Zahlung selbst (vgl. BVerwGE 137, 85 = NVwZ-RR 2010, 771 Rn. 20 mwN). Deshalb hat die verwaltungs- und sozialgerichtliche Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits mehrfach den Einsatz angesparter Beträge aus Sozialleistungen als eine Härte für den Begünstigten nach § 90 Abs. 3 SGB XII angesehen (vgl. BVerwGE 137, 85 = NVwZ-RR 2010, 771 Rn. 22 ff. zur Beschädigtengrundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz ; BVerwGE 185, 199 = NJW 1998, 397 zum Erziehungsgeld; BVerwGE 45, 135 zur Grundrentennachzahlung; BSG FEVS 59, 441 zum Blindengeld). Auch ein aus Schmerzensgeldzahlungen gebildetes Vermögen bleibt nach § 90 Abs. 3 SGB XII grundsätzlich einsatzfrei (BVerwGE 98, 256 = FamRZ 1995, 1348 ; BSG FEVS 60, 1). Ebenso entspricht es mittlerweile einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zur Betreuervergütung, dass der Betroffene ein aus Schmerzensgeldzahlungen angespartes Vermögen einschließlich der erwirtschafteten Zinsen nicht für die Betreuervergütung einsetzen muss, weil dies für ihn eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 SGB XII darstellen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 26. November 2014 - XII ZB 542/13 - FamRZ 2015, 488 Rn. 13 mwN).

bb) Diese Erwägungen gelten jedoch nicht für ein Vermögen, das aus Leistungen der Pflegeversicherung angespart worden ist.

Zwar werden nach § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB XI Leistungen der Pflegeversicherung bei einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht als Einkommen berücksichtigt. Anders als bei den vorgenannten Sozialleistungen und beim Schmerzensgeld führt die Zweckbestimmung des Pflegegelds nach § 37 SGB XI jedoch nicht dazu, dass der Einsatz eines aus diesen Zahlungen angesparten Vermögens für die Betreuervergütung eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 SGB XII für den Betreuten darstellen würde.

Mit dem Pflegegeld soll der Pflegebedürftige die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellen (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI ). In der Regel handelt es sich dabei um eine laufende monatliche Leistung (BeckOK SozR/Diepenbruck [Stand: 1. März 2019] SGB XI § 37 Rn. 4). Der Zweck des Pflegegelds besteht folglich allein darin, den Pflegebedarf des Leistungsempfängers im jeweiligen Monat der Auszahlung zu decken. Dieser Zweck reicht nach Ablauf des Auszahlungsmonats nicht weiter fort. Angespartes Pflegegeld kann seinen Zweck nicht mehr erfüllen, wenn der Pflegebedarf in der Vergangenheit gedeckt war und der aktuelle Bedarf durch die fortlaufende Auszahlung des Pflegegeldes gedeckt werden kann (LG Heilbronn FamRZ 2016, 402 ; SG Stade Urteil vom 27. November 2014 - S 33 SO 65/14 - juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass das Gesetz keine Bestimmung über die Verwendung des Pflegegeldes trifft und der Pflegebedürftige hierüber auch keinen Nachweis führen muss. Er kann vielmehr frei darüber entscheiden, zu welchen Zwecken er das Pflegegeld einsetzt (Udsching/Schütze/Wahl SGB XI Soziale Pflegeversicherung 5. Aufl. § 37 Rn. 3). Kann der Pflegebedürftige seinen Pflegebedarf kostengünstiger decken oder nimmt er - wie im vorliegenden Fall - ihm zustehende Leistungen, die mit dem Pflegegeld finanziert werden müssten, nicht in Anspruch, steht ihm der verbleibende Rest des Pflegegelds mit Ablauf des Monats, für den es ausgezahlt wurde, zur freien Verfügung. Eine Rückzahlung nicht verbrauchten Pflegegelds an die Pflegekasse ist gesetzlich nicht vorgesehen. Spart er das nicht verbrauchte Pflegegeld an, bildet er damit Vermögen, das er nicht für seine Pflege einsetzen muss. Unter diesen Umständen stellt es für den Betreuten auch keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 SGB XII dar, wenn dieses Vermögen zur Vergütung seines Betreuers herangezogen wird.

d) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts stellt die Verwertung des angesparten Vermögens für die Betroffene auch nicht deshalb eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 SGB XII dar, weil sie in naher Zukunft möglicherweise von ihrem Vermieter auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

Bei der Ermittlung des verwertbaren Vermögens kommt es, entsprechend dem Zweck der sozialhilferechtlichen Leistungen, einer tatsächlichen Notlage abzuhelfen bzw. einen tatsächlichen Bedarf abzudecken, auf die tatsächlich vorhandenen und tatsächlich verwertbaren Vermögenswerte an. Dabei ist grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, ob den Vermögenswerten Schulden oder Verpflichtungen des Hilfebedürftigen gegenüberstehen (Senatsbeschluss vom 6. Februar 2013 - XII ZB 582/12 - FamRZ 2013, 620 Rn. 13 mwN). Deshalb können Schadensersatzansprüche, die möglicherweise zukünftig gegen einen Betreuten geltend gemacht werden können, bei der Ermittlung des für die Betreuervergütung einzusetzenden Vermögens nicht berücksichtigt werden.

3. Danach kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ). Da nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts das nach Abzug des Schonbetrags einzusetzende Vermögen der Betroffenen allein aus angespartem Pflegegeld besteht, ist auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 der Beschluss des Amtsgerichts abzuändern, die von der weiteren Beteiligten zu 1 an die Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.105,66 € festzusetzen und deren Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.

Vorinstanz: AG Köln, vom 07.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 57 XVII 15/97
Vorinstanz: LG Köln, vom 18.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 T 200/19
Fundstellen
FamRZ 2020, 789
FuR 2020, 424
MDR 2020, 633
NJW-RR 2020, 514