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BGH - Entscheidung vom 20.05.2020

XIII ZB 59/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4

BGH, Beschluss vom 20.05.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 59/19

DRsp Nr. 2020/12210

Berücksichtigung der Einleitung eines Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU; Anforderungen an einen zulässigen Haftantrag im Rahmen einer Überstellung

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Lüneburg vom 1. November 2018 und der 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 9. Dezember 2018 den Betroffenen bis zu der am 13. Dezember 2018 erfolgten Haftentlassung in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Lüchow-Dannenberg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein liberianischer Staatsangehöriger, reiste am 16. März 2018 in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom 14. April 2018 wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag als unzulässig ab, weil der Betroffene bereits ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingeleitet habe. Zugleich wurde die Überstellung des Betroffenen nach Italien angeordnet.

Ein Überstellungsversuch am 19. September 2018 scheiterte, da sich der Betroffene nicht in seiner Wohnung aufhielt. An dem sodann auf den 10. Oktober 2018 festgelegten Überstellungstermin konnte der Betroffene entgegen einer ihm erteilten Auflage erneut nicht in seiner Unterkunft angetroffen werden. Am 1. November 2018 wurde er festgenommen. Noch am selben Tag hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen Überstellungshaft bis einschließlich 14. Dezember 2018 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht am 9. Dezember 2018 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

Der Betroffene wurde am 13. Dezember 2018 aus der Haft entlassen, nachdem eine von der beteiligten Behörde für diesen Tag vorgesehene Überstellung nach Italien nicht durchgeführt werden konnte, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sie nicht bei der zuständigen italienischen Behörde angemeldet hatte.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, es liege ein zulässiger, ausreichend begründeter Haftantrag gemäß § 417 Abs. 2 FamFG vor. Insbesondere sei die Überstellung nach Mitteilung des Landeskriminalamts Hannover bis zum Ablauf eines Zeitraums von sechs Wochen vollziehbar gewesen und habe der entsprechende Flug innerhalb dieser Zeit gebucht werden können.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Haftanordnung hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2019 - V ZB 1/19, juris Rn. 10 mwN). Ohne solche Angaben ist es dem Richter und dem Betroffenen nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der beantragten Haft zu prüfen (BGH, Beschluss vom 7. April 2020 XIII ZB 28/19, juris Rn. 7).

b) Der Haftantrag vom 1. November 2018 genügt diesen Anforderungen nicht, weil er keine den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG genügenden Angaben zur erforderlichen Dauer der Haft enthält.

aa) Die Dauer der beantragten Haft von sechs Wochen und einem Tag wird in dem Antrag wie folgt begründet: Ein neuer Überstellungstermin könne wegen des Feiertags am 1. November vom Landeskriminalamt (LKA) frühestens am 2. November 2018 terminiert werden, wobei die Terminierung einer Überstellung nach Italien nach Rücksprache mit dem LKA nicht vor Ablauf von sechs Wochen möglich sei. Die beantragte Haftdauer sei erforderlich, da die Überstellung vom LKA mit einer Wartezeit von bis zu sechs Wochen (14. Dezember 2018) terminiert worden sei.

bb) Diese Angaben sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG , näher BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). Die Aussage, die Überstellung sei nicht vor Ablauf von sechs Wochen möglich, steht schon im Widerspruch zu der gegen Ende des Haftantrags getroffenen Aussage, die Überstellung sei vom LKA mit einer Wartezeit von bis zu sechs Wochen terminiert worden. Die Angabe einer Höchstdauer kann die Erforderlichkeit der Haftdauer für den konkreten Antrag nicht begründen und rechtfertigt keine - vorsorgliche - Haftanordnung bis zu diesem Zeitpunkt. Warum die Buchung eines - wie hier - ohne Sicherheitsbegleitung geplanten Fluges nach Italien und die Überstellung auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung im Fall des Betroffenen, der über ein gültiges Reisedokument (Laissez-Passer) verfügte, sechs Wochen in Anspruch nehmen soll, wird nicht erläutert. Die Haftdauer von über sechs Wochen ist auch nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst verstünde (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 190/18, juris Rn. 8).

c) Der Fehler ist nicht geheilt worden.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Lüneburg, vom 01.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 101 XIV 224 B
Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 09.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 T 114/18