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BGH - Entscheidung vom 31.03.2020

EnVR 58/18

Normen:
GRCh Art. 47 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 31.03.2020 - Aktenzeichen EnVR 58/18

DRsp Nr. 2020/6464

Begründen von rechtlichen Verpflichtungen für Netzbetreiber oder sonstige Beteiligte durch unmittelbare Anwendung der Regelungen der Stromnetzentgeltverordnung i.R.d. Grundsatzes der Unionstreue

Tenor

Die Anhörungsrüge gegen den Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2019 wird auf Kosten der Betroffenen zurückgewiesen.

Normenkette:

GRCh Art. 47 Abs. 1;

Gründe

I. Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge der Betroffenen gegen den Beschluss des Senats vom 8. Oktober 2019 ist unbegründet.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Senat, wie die Betroffene meint, schon vor der mündlichen Verhandlung in der Rechtsbeschwerdeinstanz einen Hinweis auf die Bedeutung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts hätte geben müssen, obwohl es sich dabei um eine Rechtsfrage handelt, die sich zwangsläufig stellt, wenn - wovon die Betroffene hier ausgeht - eine Vorschrift des innerstaatlichen Rechts in Widerspruch zu einer unionsrechtlichen Richtlinie steht. Jedenfalls vermögen die ergänzenden Rechtsausführungen, die die Betroffene nach ihrem Vorbringen im Falle eines solchen Hinweises angestellt hätte, nicht zu einer abweichenden Entscheidung in der Sache zu führen.

1. Entgegen der Auffassung der Betroffenen führt der Grundsatz der Unionstreue nicht zur Unanwendbarkeit der in Rede stehenden Regelungen der Stromnetzentgeltverordnung.

a) Aus dem Grundsatz der Unionstreue ergibt sich, wie auch die Betroffene im Ansatz zutreffend darlegt, dass den Vorschriften des Unionsrechts der Anwendungsvorrang gegenüber Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zukommt.

Hiervon ist auch der Senat ausgegangen.

b) Die von der Betroffenen aufgeworfene und nach ihrer Auffassung zu verneinende Frage, ob die unmittelbare Anwendung einer Richtlinie ein subjektives Recht des Begünstigten voraussetzt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

Der Senat hat eine unmittelbare Anwendung nicht deshalb verneint, weil es an einem subjektiven Recht der Betroffenen fehlt, sondern deshalb, weil die unmittelbare Anwendung rechtliche Verpflichtungen für Netzbetreiber oder sonstige Beteiligte begründen könnte und eine solche Rechtsfolge nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei Richtlinien nicht in Frage kommt.

Entgegen der Auffassung der Betroffenen erschöpfen sich die von ihr postulierten unionsrechtlichen Vorgaben nicht in der Einräumung einer Rechtsschutzgarantie oder einer bestimmten Kontrolldichte in Bezug auf Entscheidungen der Regulierungsbehörde. Sie hätten vielmehr zur Folge, dass die Regulierungsbehörden in weitergehendem Umfang ermächtigt wären, je nach Einzelfall - auch umfassendere - Verpflichtungen zu Lasten von Netzbetreibern oder sonstigen Beteiligten zu begründen.

c) Die Auffassung der Betroffenen, der Senat habe ihr Rechtsschutzziel auf eine bloße Zuständigkeitsfrage reduziert, geht vor diesem Hintergrund schon im Ansatz fehl.

Der Senat hat eine unmittelbare Anwendbarkeit der als verletzt gerügten Vorschriften gerade deshalb verneint, weil diese zur Begründung von rechtlichen Verpflichtungen für Netzbetreiber führen können. Angesichts dessen kann sich auch aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union keine abweichende Beurteilung ergeben.

2. Entgegen der Auffassung der Betroffenen brauchte der Senat weder den Ausgang des anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens abzuwarten noch eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

Der Senat hat im Einzelnen dargelegt, weshalb er die für den Streitfall relevanten unionsrechtlichen Fragen zur Reichweite des Anwendungsvorrangs sowie der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts für hinreichend geklärt hält. Die Anhörungsrüge zeigt keinen Gesichtspunkt auf, der zu einer abweichenden Beurteilung führen könnte. Aus ihrem Vorbringen, der Gerichtshof hätte im Vertragsverletzungsverfahren oder aufgrund einer Vorlage des Senats über die in Rede stehenden Fragen entscheiden können, ergibt sich nicht, weshalb eine solche Entscheidung trotz bereits geklärter Rechtslage erforderlich ist.

3. Ohne Erfolg macht die Anhörungsrüge geltend, die sich aus einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie ergebende Notwendigkeit, über bereits abgeschlossene Sachverhalte neu zu entscheiden, sei unbedenklich, weil eine vergleichbare Lage auch dann vorliege, wenn eine Entscheidung der Regulierungsbehörde wegen eines Verstoßes gegen nationales Recht aufgehoben werde.

Der Senat hat im Einzelnen dargelegt, weshalb die im Regulierungsrecht angelegte Notwendigkeit, einzelne Regulierungsentscheidungen nach gerichtlicher Überprüfung zu korrigieren, weniger schwer wiegt als die Notwendigkeit, im Nachhinein durch die Regulierungsbehörde anstelle des Verordnungsgebers über eine Vielzahl von entscheidungserheblichen Faktoren von Grund auf neu zu entscheiden. Die Anhörungsrüge zeigt keinen Gesichtspunkt auf, der insoweit zu einer abweichenden Beurteilung führen könnte.