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BGH - Entscheidung vom 14.05.2020

5 StR 470/19

Normen:
StPO § 126a
StGB § 63

BGH, Urteil vom 14.05.2020 - Aktenzeichen 5 StR 470/19

DRsp Nr. 2020/8690

Antrag auf Unterbringung eines Beschuldigten Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus; Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung einer Strafkammer; Annahme einer Notwehrlage

Ausführungen zur Beweiswürdigung leiden an einem erheblichen Erörterungsmangel, wenn der Beschuldigte bereits am Folgetag des Geschehens einstweilig untergebracht war und das Urteil sich nicht zu Art, Umfang und möglichen Auswirkungen einer etwaigen psychischen Beeinträchtigung des Beschuldigten verhält, dies aber angesichts der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung erforderlich gewesen wäre.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. September 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 126a; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den im Sicherungsverfahren gestellten Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte - nur hinsichtlich der Sachrüge vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

Die zugelassene Antragsschrift wirft dem Beschuldigten vor, im Zustand der Schuldunfähigkeit eine gefährliche Körperverletzung begangen zu haben. Er soll am 5. Dezember 2017 in der von ihm bewohnten Unterkunft den Nebenkläger mit einem Küchenmesser (Klingenlänge 15 cm) angegriffen und mehrmals in Verletzungsabsicht in Richtung des Halses gestochen haben. Dabei soll er den Nebenkläger gefragt haben: "Hast du meine Schwester und meinen Bruder umgebracht?".

II.

Das Landgericht hat zu dem Tatgeschehen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Beschuldigte und der Nebenkläger lernten sich im Jahre 2015 in einem Obdachlosenheim in B. kennen und hielten trotz wiederholter Wohnheimwechsel weiterhin Kontakt. Am Abend des 4. Dezember 2017 verabredeten sich beide zu einem Treffen in der Unterkunft des Beschuldigten, der ein Zimmer eines Appartements bewohnte. Dort konsumierten sie das auf Wunsch des Beschuldigten vom Nebenkläger mitgebrachte Cannabis, unterhielten sich über die jeweilige Wohnsituation und spielten mit dem Smartphone des Nebenklägers ein Spiel.

Gegen 1:25 Uhr ging der Nebenkläger in die Gemeinschaftsküche des Appartements, um Wasser für seinen Kaffee zu kochen. Das Landgericht vermochte "nicht auszuschließen", dass der Nebenkläger nach wenigen Minuten mit einer Tasse Kaffee in das Zimmer zurückkehrte und mit einem Küchenmesser in seiner Hand den Beschuldigten angriff und in Richtung von dessen Brustkorb stach.

Der Beschuldigte wich dem Angriff aus, schlug den Nebenkläger mit der Faust und griff mit der anderen Hand nach dem Messer. So gelang es ihm, dem Angreifer das Messer zu entreißen, wobei er sich an der Klinge verletzte.

Um den Nebenkläger, von dem der Beschuldigte weitere Angriffe erwartete - und "von dem nicht ausschließbar auch solche Angriffe zu erwarten waren - ", kampfunfähig zu machen, versetzte er diesem mehrere Messerstiche in Gesicht, Hals und linken Oberarm.

Nachdem der Beschuldigte vom Nebenkläger abgelassen hatte, floh dieser in das gegenüberliegende Zimmer zum Zeugen A. und verschanzte sich hinter dem Esstisch. Der immer noch sehr aufgebrachte Beschuldigte folgte dem Nebenkläger, legte aber zuvor das Messer in das nahegelegene Spülbecken.

Als der Beschuldigte die schweren Verletzungen des Nebenklägers bemerkte, leistete er sogleich erste Hilfe und alarmierte um 1:34 Uhr die Polizei.

Die Stiche führten beim Nebenkläger zu einer Durchtrennung von großen venösen Halsgefäßen, weshalb er zeitweise in Lebensgefahr schwebte. Er litt im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch immer an Schluck- und Essbeschwerden sowie Schmerzen, wenn er auf dem Bauch oder auf der Seite schläft. Ferner fühlt sich der Nebenkläger seit dem Vorfall verfolgt und verlässt nur kurzzeitig das Haus.

2. Das Landgericht hat sich aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen gehindert gesehen, die Unterbringung anzuordnen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe es nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat rechtswidrig begangen habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte entsprechend seiner in der Hauptverhandlung durch Erklärung des Verteidigers abgegebenen Einlassung, die sich mit ersten Angaben gegenüber am Tatort erschienenen Polizeibeamten deckte, in Notwehr nach § 32 StGB gehandelt habe.

III.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils. Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es das Handeln des Beschuldigten in Notwehr bewertet hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.

1. Die Strafkammer hat insoweit im Wesentlichen aufgeführt, die eine Notwehrhandlung behauptende Einlassung des Beschuldigten sei "nicht zu widerlegen" gewesen und sie habe sich nicht davon überzeugen können, dass der erste Angriff von diesem ausging. Den anderslautenden Angaben des Nebenklägers habe die Kammer insoweit keinen Glauben schenken können, da die "einschlägigen Vorstrafen und die Tatsache, dass schon der erste Angriff mit dem Messer nicht ausschließbar vom Nebenkläger ausging, seine hohe Gewaltbereitschaft" zeigten. Der Angriff des Nebenklägers sei zudem vollkommen unvermittelt und ohne erkennbaren Grund erfolgt. Sie habe daher "nicht ausschließen können", dass der Nebenkläger seinen Angriff fortgesetzt hätte.

2. Die Beweiswürdigung der Strafkammer erweist sich - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. März 2020 - 5 StR 623/19) - als fehlerhaft.

a) Die Ausführungen leiden, worauf die Staatsanwaltschaft zutreffend hinweist, an einem durchgreifenden Erörterungsmangel.

Obgleich der Beschuldigte bereits am Folgetag des Geschehens zunächst nach den Vorschriften des PsychKG vorläufig und anschließend vom 13. Dezember 2017 bis zur Verkündung des Urteils nach § 126a StPO einstweilig untergebracht war und die Staatsanwaltschaft die Durchführung eines Sicherungsverfahrens mit dem Ziel der Unterbringung nach § 63 StGB beantragt hat, verhält sich das Urteil nicht zu Art, Umfang und möglichen Auswirkungen einer etwaigen psychischen Beeinträchtigung des Beschuldigten. Es wäre aber angesichts der vorliegenden Aussagegegen-Aussage-Konstellation im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung erforderlich gewesen, zur Ermittlung des Geschehensablaufs und zur Beurteilung des Vorliegens einer für den Beschuldigten - möglicherweise nur vermeintlich - bestehenden Notwehrlage die psychische Verfassung des Beschuldigten zum Zeitpunkt des Tatgeschehens näher in den Blick zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als nach dem dem Senat auf die Sachrüge hin zugänglichen Inhalt der Antragsschrift und dem darin beschriebenen wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der psychiatrische Sachverständige beim Beschuldigten ein chronisch paranoid-halluzinatorisches Syndrom bei Schizophrenie diagnostiziert habe. In diesem Zusammenhang könnte dem vom Nebenkläger bekundeten Umstand, der Beschuldigte habe ihn bei seiner Rückkehr aus der Küche mit einem Messer angegriffen und hierbei gerufen, dass er - der Nebenkläger - Bruder und Schwester des Beschuldigten getötet habe, erhebliches Gewicht zukommen, zumal die Strafkammer für den von ihr nicht ausschließbaren Messerangriff des Nebenklägers kein Motiv feststellen konnte.

b) Auch im Übrigen erweist sich die vorzunehmende Gesamtwürdigung aller Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zu Ungunsten des Beschuldigten zu beeinflussen geeignet sind, als rechtsfehlerhaft.

So hat die Strafkammer bei der Annahme einer Notwehrlage nicht berücksichtigt, dass der Beschuldigte trotz seiner augenscheinlichen körperlichen Unterlegenheit in der Lage war, den angreifenden Nebenkläger zu entwaffnen. Daran anknüpfend hätte sie sich weiter damit auseinandersetzen müssen, weshalb der nunmehr unbewaffnete Nebenkläger seinen Angriff gegen den jetzt sogar mit einem Messer ausgerüsteten Beschuldigten, mithin bei einem dadurch erheblich erhöhten Risiko der Eigenverletzung, hätte fortsetzen sollen.

Zudem hätte sich das Landgericht mit der Einlassung des Beschuldigten zur Verfolgung des fliehenden Nebenklägers näher auseinandersetzen müssen. Danach habe der Beschuldigte das Messer in der Küche abgelegt, bevor er dem Nebenkläger gefolgt sei. Dies erscheint angesichts der behaupteten Erwartung weiterer Angriffe nicht ohne weiteres plausibel, zumal dem Beschuldigten - nach seiner Einlassung - die bereits erlittenen Verletzungen des Nebenklägers und eine daraus folgende abgeschwächte Gefahr zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren.

Die Strafkammer stützt ihre Überzeugung ferner auf eine hohe Gewaltbereitschaft des Nebenklägers. Hierzu weist das Gericht auf den - nicht ausschließbaren - ersten Messerangriff sowie einschlägige Vorstrafen des Nebenklägers hin. Zu diesen teilt sie aber lediglich mit, dass er offenbar am 31. August 2012 und am 18. Juli 2017 jeweils vom Amtsgericht Tiergarten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde. Ohne nähere Darlegung der den Entscheidungen zugrundeliegenden Geschehen ist es dem Senat indes nicht möglich, die tatrichterliche Überzeugungsbildung zu prüfen.

Das Landgericht führt gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers ferner an, dass das von diesem behauptete Umstoßen des Tisches im Zimmer des Zeugen A. durch den Beschuldigten sich nicht mit der auf Lichtbildern erkennbaren Spurenlage in Einklang bringen lasse. Dabei gerät aus dem Blick, dass der Zeuge A. das vom Nebenkläger beschriebene Geschehen bestätigt hat. Dass das Gericht die Bekundungen des Zeugen für unglaubhaft oder diesen für unglaubwürdig erachtet hat, teilt das Urteil nicht mit.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Berlin, vom 26.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 231 Js 3853/17 161 Ss 124/19