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BGH - Entscheidung vom 11.02.2020

EnVR 122/18

Normen:
ARegV § 4 Abs. 5
ARegV § 4 Abs. 5
ARegV § 4 Abs. 3
ARegV § 4 Abs. 5 S. 1-2
EnWG § 21a Abs. 3 S. 3
RL 2009/72/EG Art. 37 Abs. 6

Fundstellen:
MDR 2020, 941
NVwZ-RR 2020, 644
WM 2020, 2437

BGH, Beschluss vom 11.02.2020 - Aktenzeichen EnVR 122/18

DRsp Nr. 2020/4895

Anpassung der Erlösobergrenze im Hinblick auf eine geänderte Bestimmung des Qualitätselements von Amts wegen durch die Regulierungsbehörde hinsichtlich Vermeidung einer rückwirkenden Anpassung; Richten des Ausscheidens einer rückwirkenden Anpassung im Einzelfall insbesondere wegen eines schützenswerten Vertrauens des Netzbetreibers nach den allgemeinen Regeln

Hat die Regulierungsbehörde die Erlösobergrenze im Hinblick auf eine geänderte Bestimmung des Qualitätselements von Amts wegen anzupassen, hat sie dafür Sorge zu tragen, dass eine auch rückwirkende Anpassung nach Möglichkeit vermieden wird. Erforderlichenfalls soll jedoch eine auch rückwirkende Anpassung erfolgen, um die fortlaufende und gleichmäßige Anpassung der Erlösobergrenze an die tatsächlichen Veränderungen möglichst lückenlos zu gewährleisten. Ob eine rückwirkende Anpassung im Einzelfall insbesondere wegen eines schützenswerten Vertrauens des Netzbetreibers ausscheidet, richtet sich nach den allgemeinen Regeln.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. November 2018 wird auf Kosten der Betroffenen, die auch die notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur zu tragen hat, zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 454.730 Euro festgesetzt.

Normenkette:

ARegV § 4 Abs. 3; ARegV § 4 Abs. 5 S. 1-2; EnWG § 21a Abs. 3 S. 3; RL 2009/72/EG Art. 37 Abs. 6;

Gründe

A. Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Mit Beschluss vom 10. Juli 2014 legte die Bundesnetzagentur die Erlösobergrenze der Betroffenen für die zweite Regulierungsperiode fest. Die Betroffene wendet sich gegen die Anpassung des Qualitätselements für das Jahr 2017.

Im Jahr 2016 leitete die Bundesnetzagentur von Amts wegen ein Verfahren zur Bestimmung des Qualitätselements für die Jahre 2017 und 2018 ein. Im September 2016 teilte die Bundesnetzagentur in ihren Hinweisen zur Anpassung der Erlösobergrenze für das Jahr 2017 mit, dass für die Neufestlegung die ergangene Rechtsprechung zum Qualitätselement berücksichtigt werden solle und die Verteilernetzbetreiber für den 16. Oktober 2016 den Bonus oder Malus des Vorjahres anzusetzen hätten. Dem kam die Betroffene nach. Mit Beschluss vom 11. Juli 2017 änderte die Bundesnetzagentur ihren Beschluss vom 10. Juli 2014 teilweise ab und bestimmte, dass den kalenderjährlichen Erlösobergrenzen der Jahre 2017 und 2018 für die Betroffene jeweils ein bestimmter Malus hinzugerechnet werde.

Hiergegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, mit der sie beantragt, den Beschluss der Bundesnetzagentur aufzuheben, soweit der kalenderjährlichen Erlösobergrenze für die zweite Regulierungsperiode rückwirkend für das Jahr 2017 ein Malus zugerechnet werde. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Betroffene ihr Begehren weiter. Die Bundesnetzagentur tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.

B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Festlegung des Qualitätselements für das Jahr 2017 sei rechtmäßig. Eine rückwirkende Anpassung der Erlösobergrenze sei zulässig. § 4 Abs. 5 ARegV gebe vor, wann die Implementierung des Qualitätselements in die Erlösobergrenzen erfolgen soll. Hierzu korrespondierend enthalte § 17 Abs. 2, 3 ARegV einen Anpassungsmodus für die Entgelte.

Die rückwirkende Festlegung verstoße nicht gegen § 4 Abs. 5 Satz 2 ARegV. Der Vorschrift sei im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen der ARegV die Wertung zu entnehmen, dass in der Regel eine Anpassung für die Zukunft erfolgen, eine rückwirkende Anpassung die Ausnahme bleiben solle. Insoweit stehe der Regulierungsbehörde ein Ermessen zu. Weder einem Vergleich mit den übrigen Anpassungstatbeständen in § 4 ARegV noch den Bestimmungen in § 21a Abs. 3 Satz 3 EnWG oder Art. 37 Abs. 10 der Richtlinie 2009/72/EG lasse sich ein generelles Rückwirkungsverbot entnehmen.

Die von der Bundesnetzagentur getroffene Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Die nachträgliche Festlegung sei sachgerecht, weil die notwendige Entscheidungsgrundlage erst im März 2017 vorgelegen habe. Anhaltspunkte für ein Hinauszögern durch die Bundesnetzagentur seien nicht ersichtlich. Es bestehe auch nach der Richtlinie keine Verpflichtung zu einer vorläufigen Regelung im Falle der Verzögerung des Verfahrens. Die rückwirkende Festlegung begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; das Vertrauen auf einen Fortbestand der bisherigen Regelung sei nicht schutzwürdig, weil die Betroffene im Streitfall mit einer Änderung habe rechnen müssen. Schließlich sei die von der Bundesnetzagentur vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Die Auffassung des Beschwerdegerichts, der Beschluss der Bundesnetzagentur sei rechtmäßig, weist keine Rechtsfehler auf.

1. Rechtsgrundlage für die Anpassung der Erlösobergrenze im Hinblick auf eine geänderte Bestimmung des Qualitätselements ist § 4 Abs. 5 Satz 1 ARegV. Der in § 4 Abs. 5 Satz 2 ARegV genannte Termin für eine Anpassung verbietet keine rückwirkende Anpassung für die Zeit vor dem Beschluss der Regulierungsbehörde. Daher kann auch eine rückwirkende Anpassung auf § 4 Abs. 5 ARegV gestützt werden. Welche Grenzen für eine Rückwirkung bestehen, richtet sich nach den allgemeinen Regeln.

a) Soweit die Anpassung der Erlösobergrenze bei einer Bestimmung des Qualitätselements nach § 4 Abs. 5 Satz 2 ARegV höchstens einmal jährlich zum 1. Januar des folgenden Jahres erfolgt, betrifft diese Zeitbestimmung allein die Beziehung zwischen dem Zeitraum, der für die Datengrundlage maßgeblich ist, und dem Zeitpunkt, ab dem die aus der Datengrundlage folgende Änderung gelten soll. Dies folgt aus dem Regelungskonzept des § 4 ARegV; die Norm regelt mit den darin genannten Terminen für eine Änderung ausschließlich die Frage, ob bei einer Änderung der Datengrundlage die Anpassung der Erlösobergrenze zeitgleich oder mit einer Verzögerung erfolgt. § 4 ARegV legt unterschiedliche Zeiträume für die Datengrundlage fest. Teils stellt die Bestimmung für die Datengrundlage auf das laufende Kalenderjahr ab (so § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 und Nr. 3 ARegV), teils auf das vorletzte Kalenderjahr (so § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 ARegV und § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ARegV in Verbindung mit § 8 Satz 2 ARegV) und teils auf das letzte Kalenderjahr (so § 4 Abs. 4 Satz 2, 3 ARegV). Daran knüpfen die jeweiligen Bestimmungen unterschiedliche Termine, zu denen die Anpassung der Erlösobergrenze erfolgt. Diese richten sich jeweils nach dem für die Datengrundlage erheblichen Zeitraum: Ist das laufende Kalenderjahr für die Datengrundlage maßgeblich, erfolgen die Änderungen zum 1. Januar des laufenden Kalenderjahres (so § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 und Nr. 3 ARegV), ist das vorletzte Kalenderjahr für die Datengrundlage maßgeblich, erfolgen die Änderungen zum 1. Januar des übernächsten Kalenderjahres (so § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 ARegV und § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ARegV in Verbindung mit § 8 Satz 2 ARegV), ist das letzte Kalenderjahr für die Datengrundlage maßgeblich, erfolgen die Änderungen zum 1. Januar des folgenden Kalenderjahres (so § 4 Abs. 4 Satz 2, 3 ARegV). § 4 Abs. 5 ARegV gehört zu der Gruppe, bei der die Datengrundlage aus dem letzten Jahr stammt, eine Änderung somit zum 1. Januar des folgenden Jahres erfolgt. Die Regelung weist zudem die Besonderheit auf, dass der für die Datengrundlage maßgebliche Zeitraum mehr als ein Jahr umfassen kann. § 4 Abs. 5 Satz 2 ARegV bestimmt daher lediglich, dass eine Anpassung immer erst zum 1. Januar des Jahres möglich ist, das auf das Ende des für die Datengrundlage maßgebenden Zeitraums folgt.

Keine dieser Bestimmungen befasst sich mit der Frage, ob - sofern eine Anpassung der Erlösobergrenze einen Bescheid der Regulierungsbehörde erfordert oder die Datengrundlage erst mit einer Verzögerung festgestellt wird die in den Bestimmungen vorgesehene Anpassung der Erlösobergrenze zum 1. Januar eines bestimmten Jahres nicht mehr erfolgen kann, wenn der Bescheid erst nach diesem Termin ergeht oder die notwendigen Daten erst nach diesem Termin bekannt sind. Demgemäß richtet sich die Frage, ob ein nach dem 1. Januar des Änderungszeitraums ergehender Bescheid die Anpassung der Erlösobergrenze rückwirkend auch für die Zeit vor seinem Erlass anordnen kann, nach den allgemeinen Regeln.

b) Hierfür spricht auch Sinn und Zweck der von § 4 ARegV ermöglichten Anpassungen der jährlichen Erlösobergrenze. Diese sind ein zentraler Bestandteil des Anreizregulierungssystems (vgl. Schütte in Holznagel/Schütz, ARegV, 3. Aufl., § 4 Rn. 75). Die Norm zielt darauf, die für die Dauer der Regulierungsperiode festgelegte Erlösobergrenze hinreichend flexibel für Änderungen innerhalb der Regulierungsperiode zu halten (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 ARegV). Soweit nach § 4 Abs. 3 bis 5 ARegV erhebliche Änderungen eintreten, erfolgt unter den dort normierten Voraussetzungen eine Anpassung der Erlösobergrenze. Um dem Ziel einer entsprechend den Änderungen flexiblen Erlösobergrenze gerecht zu werden, muss eine nach § 4 Abs. 3 bis 5 ARegV erhebliche Veränderung zu einer Anpassung führen; aus kontinuierlich eintretenden Veränderungen folgt in der Regel eine kontinuierliche Anpassung. Nur dies ermöglicht die in diesem Bereich erstrebte Verknüpfung der Erlösobergrenze mit den tatsächlichen Veränderungen.

Dies bedeutet im Hinblick auf eine Bestimmung des Qualitätselements, dass eine neue Festlegung nach Maßgabe der §§ 19, 20 ARegV zu einer Anpassung der Erlösobergrenze führt, damit die Erlösobergrenze auch den aktuellen Daten zum Qualitätsmerkmal entspricht (vgl. BR-Drucks. 417/07 S. 62). Qualitätsvorgaben dienen im Sinne des § 1 Abs. 1 EnWG der Sicherung eines langfristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen (§ 18 Satz 1 ARegV). Qualitätsregulierung ist daher notwendiger Bestandteil einer Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (vgl. Herrmann/Stracke/Westermann in Holznagel/Schütz, ARegV § 18 Rn. 3). Andernfalls drohen in der Anreizregulierung systembedingt Vernachlässigungen der Versorgungsqualität (vgl. Hummel in Danner/Theobald, Energierecht, 2018, § 18 ARegV Rn. 6). Eine fortlaufende Qualitätsregulierung ist daher sachlich geboten. Wäre eine rückwirkende Anpassung von vornherein ausgeschlossen, bestünden für das betreffende Kalenderjahr hinsichtlich der Bestimmung des Qualitätselements nur unzureichende Alternativen. Dies gilt insbesondere, wenn das Anreizsystem so ausgestaltet ist, dass sich die Bonus- und Maluszahlungen in der Summe möglichst über alle Netzbetreiber ausgleichen (vgl. Herrmann/Stracke/Westermann, aaO Rn. 11). Ein vollständiger oder teilweiser Verzicht auf die Bestimmung des Qualitätselements für das Kalenderjahr widerspräche den angestrebten Zielen. Eine Fortschreibung der für die vergangenen Zeitabschnitte festgelegten Bestimmung des Qualitätselements führte dazu, dass eine veraltete Datengrundlage herangezogen und die mit der Bestimmung des Qualitätselements angestrebten Anreize für eine Verbesserung der Versorgungsqualität (vgl. Herrmann/Stracke/Westermann, aaO Rn. 8 f) erschwert würden. Für eine zunächst schätzweise Aktualisierung des für vergangene Zeiträume festgelegten Betrags besteht kein Raum, weil es ohne aktuelle Daten an einer ausreichenden Schätzgrundlage fehlt.

2. § 21a Abs. 3 Satz 3 EnWG steht einer Anpassung der Erlösobergrenze nach § 4 Abs. 5 ARegV nicht entgegen. Dies gilt auch dann, wenn der Bescheid - wie im Streitfall - erst zu einem Zeitpunkt ergeht, zu dem der für die Anpassung vorgesehene Termin bereits verstrichen ist, die Regelung mithin - teilweise - rückwirkend erfolgt.

§ 21a Abs. 3 Satz 3 EnWG sieht vor, dass die Vorgaben für Erlösobergrenzen für eine Regulierungsperiode unverändert bleiben, sofern nicht Änderungen staatlich veranlasster Mehrbelastungen auf Grund von Abgaben oder der Abnahme- und Vergütungspflichten nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz oder anderer, nicht vom Netzbetreiber zu vertretender Umstände eintreten. Diese Bestimmung enthält einen Rahmen für den Verordnungsgeber. Sie soll Vertrauen bei den Unternehmen schaffen, dass mit zusätzlichen Anstrengungen zur Kostensenkung tatsächlich höhere Gewinne während der Regulierungsperiode erzielt werden können (Müller-Kirchenbauer in Danner/Theobald, Energierecht, 2007, § 21a EnWG Rn. 46). § 4 Abs. 5 ARegV hält sich innerhalb dieses Spielraums. Dies gilt auch für den Fall, dass die Anpassung durch die Regulierungsbehörde rückwirkend zum 1. Januar eines Jahres erfolgt. Es besteht kein Anhaltspunkt, dass in diesem Fall § 21a Abs. 3 Satz 3 EnWG eine nach den allgemeinen Regeln zulässige Rückwirkung ausschließen soll. Vielmehr sieht § 21a Abs. 5 Satz 3 EnWG ausdrücklich vor, dass bei einem Verstoß gegen Qualitätsvorgaben Obergrenzen abgesenkt werden können. Diese Norm ist die Grundlage für das im Rahmen der Qualitätsregulierung vorgesehene Bonus-/Malussystem (vgl. Hermann/Stracke/Westermann in Holznagel/Schütz, ARegV, 3. Aufl., § 19 Rn. 7) und ermöglicht auch eine Absenkung der Obergrenzen während der laufenden Regulierungsperiode. Vor diesem Hintergrund steht § 4 Abs. 5 ARegV mit der Ermächtigungsgrundlage des § 21a Abs. 6 EnWG in Einklang.

3. Art. 37 Abs. 10 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (fortan: Elektrizitätsrichtlinie) steht einer rückwirkenden Anpassung der Erlösobergrenze nicht entgegen. Die Bestimmung zeigt im Gegenteil, dass der Richtliniengeber rückwirkende Anpassungen für zulässig hält.

Nach Art. 37 Abs. 6 Elektrizitätsrichtlinie obliegt es den Regulierungsbehörden, zumindest die Methoden zur Berechnung oder zur Festlegung der Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen. Dies steht einer späteren Anpassung nicht entgegen, wie Art. 37 Abs. 10 Elektrizitätsrichtlinie zeigt. Danach sind die Regulierungsbehörden zum einen allgemein befugt, von Betreibern von Übertragungsnetzen und Verteilernetzen unter bestimmten Umständen zu verlangen, Vertragsbedingungen einschließlich der Tarife oder Methoden zu ändern. Zum anderen eröffnet Art. 37 Abs. 10 Satz 2 Elektrizitätsrichtlinie ausdrücklich die Möglichkeit, dass die Regulierungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen vorläufig geltende Übertragungs- und Verteilungstarife oder die entsprechenden Methoden festlegen oder genehmigen. Vor diesem Hintergrund steht die von § 4 Abs. 5 ARegV ermöglichte Anpassung der Erlösobergrenze mit den Vorgaben der Elektrizitätsrichtlinie im Einklang. Dies gilt auch, soweit danach eine rückwirkende Anpassung erfolgt. Ob sie im Einzelfall zulässig ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln.

Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union ist im Streitfall nicht erforderlich. Es besteht kein Zweifel, dass Art. 37 Elektrizitätsrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber Regelungen zur Anpassung der Erlösobergrenze nicht verbietet und dies auch dann möglich ist, wenn die endgültige Festlegung rückwirkend erfolgt. Diese Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass kein Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (vgl. EuGH, NJW 1983, 1257 , 1258).

4. Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Bundesnetzagentur die sich aus den allgemeinen Regeln ergebenden Anforderungen für eine rückwirkende Änderung der Erlösobergrenze eingehalten hat und der Beschluss vom 11. Juli 2017 ermessensfehlerfrei ergangen ist.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass den maßgeblichen Bestimmungen die Wertung des Verordnungsgebers zu entnehmen ist, dass die jeweilige Anpassung der Erlösobergrenze in der Regel für die Zukunft erfolgen soll. Die Regulierungsbehörde hat demgemäß dafür Sorge zu tragen, dass eine auch rückwirkende Anpassung nach Möglichkeit vermieden wird. Führt die geänderte Bestimmung des Qualitätselements zu einer rückwirkenden Anpassung der Erlösobergrenze, ist die Entscheidung der Regulierungsbehörde zumindest entsprechend an den Grundsätzen der unechten und echten Rückwirkung zu messen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 - EnVR 29/16, RdE 2018, 485 Rn. 29 zur rückwirkenden Anwendbarkeit einer Festlegung nach § 29 Abs. 1 EnWG ).

b) Der Regulierungsbehörde steht insoweit, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, ein Ermessen zu. Die Ausübung dieses Ermessens muss allerdings angesichts der für die laufende Anpassung der Erlösobergrenze dargelegten Wertungen in erster Linie dem gesetzgeberischen Ziel Rechnung tragen, kontinuierlich eintretenden Veränderungen eine kontinuierliche Anpassung folgen zu lassen. Damit wäre es unvereinbar, wenn dem Netzbetreiber vorteilhafte und für ihn nachteilige rückwirkende Anpassungen nach grundsätzlich unterschiedlichen Maßstäben erfolgten. Das Ermessen ist daher insoweit gebunden, als im Regelfall eine auch rückwirkende Anpassung erfolgen soll, um die fortlaufende und gleichmäßige Anpassung der Erlösobergrenze an die tatsächlichen Veränderungen möglichst lückenlos zu gewährleisten. Dies führt dazu, dass im Fall des § 4 Abs. 5 ARegV eine rückwirkende Anpassung grundsätzlich nur dann ausscheidet, wenn im Einzelfall gewichtige Interessen des Vertrauensschutzes entgegenstehen. Insoweit muss die Regulierungsbehörde den Erfordernissen des Vertrauensschutzes im Rahmen ihres Ermessens Rechnung tragen.

c) Gemäß § 88 Abs. 2 EnWG kann die Rechtsbeschwerde nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht. Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass das Beschwerdegericht die rechtlichen Maßstäbe für die gerichtliche Überprüfung einer Anpassung der Erlösobergrenze verkannt oder rechtsfehlerhaft angewendet hat. lus zugrunde zu legen. Darin lag der Sache nach - auch ohne ausdrücklichen Ausspruch - eine vorläufige Regelung.

Die Angriffe der Rechtsbeschwerde hinsichtlich der Ermessensausübung der Bundesnetzagentur und der Würdigung des Beschwerdegerichts greifen nicht durch. Angesichts des Vorrangs der erforderlichenfalls auch rückwirkenden Anpassung der Erlösobergrenze ist die tatrichterliche Würdigung, einer rückwirkenden Anpassung des Qualitätselements ständen der Bundesnetzagentur anzulastende Verzögerungen bei der Festlegung nicht entgegen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme des Beschwerdegerichts, dass die Betroffene mit einer späteren Änderung der Festlegung zum 1. Januar 2017 rechnen musste und es an einem schutzwürdigen Vertrauen der Betroffenen fehle. Die Bundesnetzagentur hat das Verfahren zur Festlegung des Qualitätselements bereits im Januar 2016 eingeleitet und der Betroffenen im September 2016 im Hinblick auf § 20 Abs. 1 Satz 2 EnWG aufgegeben, für die Kalkulation der Netzentgelte ab dem 16. Oktober 2016 den sich aus der Bestimmung des Qualitätselements des Vorjahrs ergebenden Malus zugrunde zu legen. Darin lag der Sache nach auch ohne ausdrücklichen Ausspruch eine vorläufige Regelung.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO .

Verkündet am: 11. Februar 2020

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 07.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen VI-3 Kart 67/17 [V]
Fundstellen
MDR 2020, 941
NVwZ-RR 2020, 644
WM 2020, 2437