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BGH - Entscheidung vom 20.05.2020

XIII ZB 30/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2

BGH, Beschluss vom 20.05.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 30/19

DRsp Nr. 2020/10686

Anordnung der Haft eines Betroffenen zur Sicherung seiner Abschiebung nach Nigeria bei Ausreisepflicht; Vorliegen eines zulässigen Haftantrags als eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung

Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer. Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falles wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 16. Mai 2018 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bernburg vom 18. Oktober 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Salzlandkreis auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5; AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I. Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 26. Oktober 2014 nach Deutschland ein und beantragte unter Angabe falscher Personalien Asyl. Am 16. Februar 2016 erklärte er sich gegenüber der Ausländerbehörde bereit, freiwillig auszureisen. Die ihm dazu ausgehändigte Grenzübertrittsbescheinigung gelangte nicht zu der beteiligten Behörde zurück. Zu der auf den 18. August 2016 anberaumten Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan Bundesamt) erschien der Betroffene nicht. Aus diesem Grund stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 29. November 2016 fest, dass sein Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt werde. In diesem Bescheid forderte das Bundesamt ihn auf, Deutschland zu verlassen, und drohte ihm für den Nichtbefolgungsfall die Abschiebung an. Der Bescheid ist seit dem 20. Dezember 2016 bestandskräftig.

Seit dem 24. Mai 2017 befand sich der Betroffene in Strafhaft, ab dem 31. Mai 2017 wegen einer anderen Sache in Untersuchungshaft. In dieser Sache wurde er am 18. Oktober 2017 durch das Amtsgericht wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Schon zuvor hatte die beteiligte Behörde die Abschiebung des Betroffenen nach Nigeria eingeleitet. Die beteiligte Behörde ließ den Betroffenen unmittelbar nach der Hauptverhandlung vorläufig festnehmen.

Sie hat noch am gleichen Tag bei dem Amtsgericht gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach Nigeria bis zum 17. Dezember 2017 erwirkt. Die - nach seiner Abschiebung nach Nigeria am 22. November 2017 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, fortgesetzte - Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung des Amtsgerichts für rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Die darin gemachten Ausführungen der beteiligten Behörde zur beantragten Haftdauer reichten aus. Sie seien in der Weise zu verstehen, dass wegen Fehlens von Abschiebehindernissen grundsätzlich eine Abschiebung innerhalb von vier Wochen möglich sei, wegen der Notwendigkeit von Flugbuchung und Bereitstellung von Personal jedoch ein Zeitraum von zwei Monaten erforderlich sei. Die Anordnung sei auch in der Sache rechtmäßig. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft sei zwar erst am 15. November 2017 erklärt worden. Dies sei aber unschädlich, weil der Betroffene vor der Haftanordnung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei. In diesem Fall gingen die Regelungen über die Strafvollstreckung vor. Die beteiligte Behörde habe aber auch nicht gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoßen. Das Amtsgericht habe den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs weder durch Nichtaushändigung des Haftantrags noch durch dessen fehlende Übersetzung verletzt.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falles wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 4, vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 6 und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 26/19, juris Rn. 6).

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht, weil er keine den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genügenden Angaben zur erforderlichen Dauer der Haft enthält.

aa) Die Dauer der beantragten Haft von zwei Monaten wird in dem Antrag wie folgt begründet: Die beantragte Haftdauer sei angemessen und erforderlich, da für die Ausweisung, die Flugbuchung, die Organisation der Abschiebung und den Transport zum Flughafen der beantragte Haftzeitraum vom 18. Oktober bis zum 17. Dezember 2017 benötigt werde. Im Hinblick auf das geplante Zielland (hier: Nigeria) seien zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Durchführungshindernisse bekannt. Eine Abschiebung innerhalb der nächsten vier Wochen sei somit möglich. Der beantragte Haftrahmen sei somit erforderlich, weil die Vorbereitung der Abschiebung, die Flugbuchung, Bereitstellung von Begleitpersonal usw., erfahrungsgemäß eine entsprechende Zeit beanspruche.

bb) Diese Angaben sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG , näher BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). Die beteiligte Behörde hat die Dauer der Haft ohne Bezug zum Fall des Betroffenen mit drei allgemein einsetzbaren Textbausteinen begründet. Nach der ersten Passage in der Begründung des Haftantrags soll die Abschiebung des Betroffenen unter Berücksichtigung des Aufwands für Ausweisung, Flugbuchung und Organisation zwei Monate in Anspruch nehmen. Diese Ausführungen lassen den erforderlichen Bezug zum Fall des Betroffenen vermissen. In seinem Fall waren die Ausweisung durch das Bundesamt erfolgt, der Flug bereits gebucht und gültige Papiere vorhanden. Die Aussage steht zudem im Widerspruch zur dritten Passage der Begründung, wonach die Abschiebung des Betroffenen nur vier Wochen in Anspruch nehmen soll. Auch in dieser Passage wird nicht berücksichtigt, dass für den Betroffenen bereits der Flug gebucht war und dieser auch nicht, worauf die Formulierung "Bereitstellung von Begleitpersonal" aber zugeschnitten ist, begleitet abgeschoben werden sollte. In der zweiten Passage der Begründung wird der für die Sicherung der Abschiebung des Betroffenen benötigte Zeitraum von vier Wochen lediglich damit begründet, dass keine Durchführungshindernisse ersichtlich seien. Eine Begründung, die diesen oder den beantragten doppelt so langen Haftzeitraum mit konkretem Bezug zum Fall des Betroffenen (erfolgte Flugbuchung, Vorhandensein gültiger Ausweispapiere, unbegleitete Abschiebung) nachvollziehbar erklärt (etwa Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, ansteuerbare Flughäfen im Zielland usw.) fehlt. Sie ergibt sich auch nicht, wenn man die Ausführungen in dem Haftantrag der beteiligten Behörde mit dem Beschwerdegericht dahin versteht, dass wegen Fehlens von Abschiebehindernissen grundsätzlich eine Abschiebung innerhalb von vier Wochen möglich, wegen der Notwendigkeit von Flugbuchung und Bereitstellung von Personal jedoch ein Zeitraum von zwei Monaten erforderlich sei. Auch bei diesem Verständnis fehlt den Ausführungen der konkrete Bezug zum Fall des Betroffenen. Das wird auch daran deutlich, dass der Flug nach den Angaben der beteiligten Behörde bei Antragstellung bereits gebucht und eine begleitete Abschiebung nicht geplant war. In dem Haftantrag werden vielmehr abstrakte Textbausteine verwendet, die beziehungslos zueinanderstehen. Das genügt den Anforderungen nicht.

cc) Der Fehler ist nicht geheilt worden.

(1) Mängel des Haftantrags können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Abschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff. und vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 9). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 14, vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 9 und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 26/19, juris Rn. 11).

(2) Die beteiligte Behörde hat im Beschwerdeverfahren keine nachvollziehbare Begründung der beantragten Haftdauer vorgelegt; das Beschwerdegericht hat auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Zu der an sich vorgesehenen erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen ist es nicht mehr gekommen, weil der Betroffene während des Beschwerdeverfahrens nach Nigeria abgeschoben worden ist.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Bernburg, vom 18.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XIV 74/17
Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 16.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 10 T 563/17