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BGH - Entscheidung vom 20.05.2020

XIII ZB 77/19

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2
FamFG § 417

BGH, Beschluss vom 20.05.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 77/19

DRsp Nr. 2020/9750

Anordnung der Abschiebungshaft eines Betroffenen nach Marokko bzgl. Ausreisepflicht; Anforderungen an die Begründung des Haftantrags

Verlängerung der Ordnungshaft vor Abschiebung ist nur rechtmässig, wenn die Ausländerbehörde für die Zeit nach Vorliegen des Passersatzpapieres genau mitteilt, welche konkreten Maßnahmen ür den Betroffenen für die Durchführung der Abschiebung erforderlich sind und wieviel Zeit diese jeweils in Anspruch nehmen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 23. Januar 2019 und der Beschluss der 34. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 1. März 2019 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Köln auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 1 S. 2; FamFG § 417 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 8. Oktober 2015 unter Angabe falscher Personalien in das Bundesgebiet ein. Nachdem ihm zunächst eine Duldung erteilt worden war, forderte die beteiligte Behörde den Betroffenen mit Verfügung vom 17. November 2016 zum Verlassen des Bundesgebiets auf und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung an. Zugleich leitete sie ein Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren sowohl für Algerien als auch für Marokko ein. Durch das marokkanische Generalkonsulat wurde der Betroffene, der sich als Algerier ausgegeben hatte, als marokkanischer Staatsangehöriger mit den aus dem Rubrum ersichtlichen Personalien identifiziert. Seit dem 20. Juni 2017 war der Betroffene untergetaucht; am 14. September 2017 wurde er zwecks Aufenthaltsermittlung zur Fahndung ausgeschrieben und am 22. Januar 2019 in Köln vorläufig festgenommen, nachdem er ohne Ausweispapiere angetroffen worden war.

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom gleichen Tag hat das Amtsgericht Köln mit Beschluss vom 23. Januar 2019 gegen den Betroffenen die Abschiebungshaft bis längstens 22. April 2019 angeordnet. Seine Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 1. März 2019 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der am 27. März 2019 aus der Haft entlassen wurde, weil die marokkanischen Behörden endgültig die Ausstellung eines Passersatzdokuments verweigert hatten, die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts ihn im Zeitraum vom 23. Januar bis 27. März 2019 in seinen Rechten verletzt haben. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft vor. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 FamFG . Er enthalte insbesondere hinreichende Angaben zur Identität und zur vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen sowie zur Durchführung der Abschiebung nach Marokko. Auch die erforderliche Haftdauer von 3 Monaten sei nachvollziehbar begründet worden und der erforderliche organisatorische Ablauf konkret mit dem jeweiligen erforderlichen Zeitrahmen beschrieben. Die Formulierung, eine Abschiebung in Form eines begleiteten Flugs könne "nicht vor April" stattfinden, sei in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden, da diese auf einer Auskunft der Bundespolizei beruht habe und aus ihr nicht folge, dass eine Abschiebung nicht innerhalb des Dreimonatszeitraums bis zum 22. April 2019 erfolgen werde.

2. Dies hält der Nachprüfung nicht stand. Für die Haftanordnung fehlte es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde. Dieser Mangel ist in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt worden.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und zu diesen konkreten Sachverhalt vortragen. Fehlt es an solchen Darlegungen, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 4. Juli 2019 - V ZB 173/18, juris Rn. 7; vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - V ZB 97/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8, jew. mwN).

Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss dabei mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist insbesondere, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen (BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - V ZB 107/17, Asylmagazin 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - V ZB 97/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 8). Soll die Abschiebung mittels eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erfolgen, ist zwar eine nähere Erläuterung des erforderlichen Zeitaufwands in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es jedoch einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt und Ausführungen etwa zur Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Luftverkehrsunternehmen, Anzahl der Begleitpersonen und zur Personalsituation enthält (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11; vom 4. Juli 2019 - V ZB 173/18, juris Rn. 8, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, juris Rn. 12).

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 23. Januar 2019 nicht.

aa) Die Dauer der beantragten Haft von drei Monaten wird in dem Antrag damit begründet, dass die Ausstellung eines Passersatzpapiers durch die marokkanischen Behörden, die den Betroffenen als marokkanischen Staatsbürger verifiziert hätten, erfahrungsgemäß 4 bis 6 Wochen dauern werde und dass ein Flug mit Sicherheitsbegleitung, welche angesichts der Delinquenz des Betroffenen möglicherweise erforderlich sein werde, vor April nicht möglich sein werde.

bb) Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ; vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). Es fehlt an auf den konkreten Fall bezogenen Angaben dazu, welche konkreten Maßnahmen nach Vorliegen des Passersatzpapiers für den Betroffenen für die Durchführung der Abschiebung erforderlich sind und wieviel Zeit diese jeweils in Anspruch nehmen. Insbesondere hat die beteiligte Behörde nicht dargelegt, ob sie die im Antrag offen gelassene Frage parallel zur Beschaffung des Passersatzpapiers oder erst nach dessen Vorliegen klären würde, ob eine Sicherheitsbegleitung erforderlich ist oder nicht, in welchem zeitlichen Rahmen eine solche Klärung voraussichtlich erfolgen würde und welchen weiteren Zeitraum sodann die Organisation eines begleiteten oder unbegleiteten Fluges konkret erfordern würde. Die Ausführungen im Haftantrag sind daher nicht geeignet, die Notwendigkeit einer Haftdauer von drei Monaten plausibel zu begründen.

c) Dieser Mangel ist in der Beschwerdeinstanz nicht - was mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2019 - V ZB 171/18, InfAuslR 2019, 389 , juris Rn. 6) - geheilt worden. Die beteiligte Behörde hat zwar mit Schreiben vom 14. Februar 2019 erklärt, dass die Passersatzbeschaffung nach Auskunft der marokkanischen Behörden noch etwa drei bis vier Wochen in Anspruch nehmen werde und mit weiterem Schreiben vom 27. Februar 2019 mitgeteilt, dass nunmehr ein Flug für den 1. April 2019 gebucht sei. Abgesehen davon, dass diese Umstände die vom Beschwerdegericht bestätigte Haftanordnung bis zum 23. April 2019 und damit deutlich über den 1. April 2019 hinaus nicht rechtfertigen konnten, ist der Betroffene zu diesen ergänzenden Angaben jedoch nicht mehr angehört worden, was nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwingende Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8 mwN.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Köln, vom 23.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 507e XIV (B) 19/19
Vorinstanz: LG Köln, vom 01.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 34 T 32/19