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BGH - Entscheidung vom 12.02.2020

XIII ZB 49/19

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4

BGH, Beschluss vom 12.02.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 49/19

DRsp Nr. 2020/4896

Anordnung der Abschiebungshaft eines Betroffenen bei Vorliegen eines Haftgrundes (hier: Fluchtgefahr); Anforderungen an den Haftantrag zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Land Hessen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ;

Gründe

I. Der Betroffene, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste am 28. November 2017 in das Bundesgebiet ein und stellte am 1. Dezember 2017 einen Asylantrag. Am 5. Dezember 2017 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung Nr. (EU) 604/2013 (Dublin-III-Verordnung) an Italien, das nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung beantwortet wurde. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2017 wies das Bundesamt den Asylantrag des Betroffenen als unzulässig ab und ordnete seine Rücküberstellung nach Italien an. Das Verwaltungsgericht Kassel lehnte es ab, die aufschiebende Wirkung der dagegen vom Betroffenen erhobenen Klage anzuordnen.

Dem Betroffenen wurde mit zwei Verfügungen eine Anzeigepflicht für den Fall auferlegt, dass er beabsichtige, sich montags bis freitags in der Zeit zwischen 0:00 Uhr und 6:00 Uhr außerhalb der ihm zugewiesenen Unterkunft aufzuhalten (sog. Nachtzeitverfügungen). Am 18. Juni 2018 und 13. September 2018 scheiterten Überstellungsversuche nach Italien, weil der Betroffene nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft angetroffen werden konnte. Nachdem es am 13. September 2018 antragsgemäß eine einstweilige Haftanordnung erlassen hatte, ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 17. September 2018 Sicherungshaft gegen den Betroffenen bis zum 29. Oktober 2018 an. Das Landgericht hob diesen Beschluss auf die Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 11. Oktober 2018 auf und lehnte den Antrag auf Anordnung der Rücküberstellungshaft ab.

Dagegen wendet sich die beteiligte Behörde mit der Rechtsbeschwerde. Nach Ablauf des in Rede stehenden Haftzeitraums beantragt sie, festzustellen, dass das Verfahren in der Hauptsache erledigt ist, und dem Betroffenen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Betroffene tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.

II. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, das Amtsgericht habe zu Unrecht gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 14 und Abs. 15 AufenthG (in der hier maßgeblichen, bis 20. August 2019 geltenden Fassung; fortan: aF) Abschiebungshaft angeordnet, weil ein Haftgrund fehle. Das Amtsgericht habe bei dem Betroffenen fehlerhaft konkrete Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr gemäß § 2 Abs. 14 Nr. 1 und Nr. 6 AufenthG aF angenommen. Für einen konkreten Anhaltspunkt im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG aF genüge es nicht, dass sich der Betroffene in einem Zeitraum von etwa drei Monaten zweimal in den Nachtstunden nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten habe. Ebenso wenig liege ein konkreter Anhaltspunkt für Fluchtgefahr nach § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG aF vor. Die beteiligte Behörde habe weder im Haftantrag dargelegt noch sei sonst ersichtlich, dass der Betroffene konkrete Vorbereitungshandlungen im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 6 AufenthG aF vorgenommen habe. Schließlich seien auch keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme von Fluchtgefahr im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 2 bis 5, Abs. 15 Satz 2 AufenthG aF gegeben.

III. Die nach Ablauf des beantragten Haftzeitraums auf den Kostenpunkt beschränkte Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde hat keinen Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 3 FamFG ) und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere nicht unzulässig geworden, weil die beantragte Haftzeit während des Rechtsbeschwerdeverfahrens abgelaufen ist. Dies schließt zwar eine Sachentscheidung über die Haftanordnung aus; mangels Feststellungsinteresses kann die beteiligte Behörde auch keinen Feststellungsantrag analog § 62 FamFG stellen. Sie kann die Rechtsbeschwerde aber auf den Kostenpunkt beschränken und das Verfahren in diesem beschränkten Umfang fortführen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2018 - V ZB 237/17, InfAuslR 2018, 368 Rn. 4; Beschluss vom 16. Mai 2019 - V ZB 1/19, juris Rn. 7 jeweils mwN). Dies ist mit den Anträgen vom 6. November 2018 geschehen.

2. Über die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens ist gemäß § 83 Abs. 2 FamFG i.V.m. mit § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG nach billigem Ermessen zu entscheiden. Eine Kostenentscheidung zugunsten des Rechtsbeschwerdeführers hat danach zu ergehen, wenn sein Rechtsmittel ohne die Erledigung der Hauptsache begründet gewesen wäre (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2019 - V ZB 1/19, juris Rn. 8). Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen der beteiligten Behörde aufzuerlegen. Es kann dahinstehen, ob die Erwägungen, mit denen das Beschwerdegericht eine Fluchtgefahr verneint hat, in allen Punkten rechtsfehlerfrei sind. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist jedenfalls deshalb im Ergebnis rechtlich zutreffend, weil der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 13. September 2018 unzulässig war.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn der den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 57/18, juris Rn. 5 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht. Zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG ) führt die beteiligte Behörde aus, es müsse zunächst ein weiterer Überstellungsflug gebucht werden, wobei aufgrund der hohen Auslastung der Kapazitäten eine gewisse Wartezeit durch den Betroffenen in Kauf zu nehmen sei. Es werde jedoch eine beschleunigte Bearbeitung zugesagt, und es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Abschiebung erheblich früher durchgeführt werden könne. Wenigstens seien zwar vier Wochen erforderlich. Auf jeden Fall sei eine Abschiebung jedoch innerhalb von sechs Wochen durchführbar. Diese allgemein gehaltenen Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, zur Begründung der beantragten Haftdauer von sechs Wochen unzureichend (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2018 - V ZB 208/17, juris Rn. 6 mwN). Sie lassen nicht erkennen, warum eine solche Haftdauer erforderlich ist. Die Zusage einer beschleunigten Bearbeitung macht konkrete Angaben zur notwendigen Haftdauer im Haftantrag nicht entbehrlich.

c) Dieser Fehler ist nicht geheilt worden. Mängel des Haftantrags können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt, oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zur dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in beiden Fällen, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2016 - V ZB 24/14, juris Rn. 9; Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8). Die beteiligte Behörde hat zwar im Beschwerdeverfahren ergänzend vorgetragen, ein neuer Termin zur Überstellung nach Italien sei für den 25. Oktober 2018 geplant. Der Betroffene wurde hierzu jedoch nicht persönlich angehört.

3. Hat sich die Hauptsache erledigt, muss im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Entscheidung über die Gerichtskosten für alle Rechtszüge ergehen, selbst wenn und soweit sie nur klarstellende Bedeutung hat (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2019 - V ZB 1/19, juris Rn. 21). Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG werden Gerichtskosten in allen Instanzen nicht erhoben. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Kassel, vom 21.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 700 XIV 593/18
Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 11.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 26 T 25/18