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BFH - Entscheidung vom 28.04.2020

VI R 24/17

Normen:
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2

Fundstellen:
BB 2020, 2069
BFH/NV 2020, 1249
IStR 2021, 70
NZA 2020, 1302

BFH, Urteil vom 28.04.2020 - Aktenzeichen VI R 24/17

DRsp Nr. 2020/12986

Zulässigkeit der Änderung der Festsetzung der Einkommensteuer bei Nichtbeantwortung der Frage nach steuerfreien Kinderzulagen bei einem in der Schweiz tätigen Grenzgänger durch den steuerlichen Berater Zurechnung des Verschulden des steuerlichen Beraters

1. NV: Ein steuerlicher Berater handelt grob fahrlässig i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO , wenn er die in der Anlage N–Gre ausdrücklich gestellte Frage nach steuerfreien Kinderzulagen bei einem in der Schweiz tätigen Grenzgänger nicht beantwortet, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung und Aufarbeitung des steuerrelevanten Sachverhalts aus den (monatlichen) Gehaltsmitteilungen des Steuerpflichtigen erkennen konnte, dass in dem in der Jahreslohnbescheinigung ausgewiesenen Arbeitslohn steuerfreie Kinderzulagen enthalten waren. 2. NV: Der Steuerpflichtige hat auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters zu vertreten, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 17.02.2016 – 4 K 1838/14 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Normenkette:

AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 ;

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten, die für die Streitjahre (2009 bis 2011) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Die Kläger haben drei Kinder, für die sie in den Streitjahren in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) (Differenz–)Kindergeld bezogen.

Der Kläger arbeitete seit dem ...2009 in der Schweiz und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er fuhr täglich von seinem Wohnort in Deutschland zu seiner Arbeitsstätte in die Schweiz und kehrte abends wieder zu seinem Wohnort zurück. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) bejahte die Grenzgängereigenschaft des Klägers und stellte eine entsprechende Ansässigkeitsbescheinigung aus.

Ihre Steuererklärungen für die Streitjahre ließen die Kläger durch einen Steuerberater erstellen. In Zeile 5 der Anlage N–Gre trug der Steuerberater jeweils den Bruttoarbeitslohn des Klägers ein. Dabei legte er den im jeweiligen Lohnausweis des schweizerischen Arbeitgebers angegebenen Betrag zugrunde. Eintragungen in Zeile 6 der Anlage N–Gre "Abzüglich steuerfreie Bezüge (soweit im Bruttoarbeitslohn enthalten) Kinderzulage" der Steuererklärungen für 2009 und 2010 bzw. Zeile 8 der Anlage N–Gre "Abzüglich weiterer steuerfreier Bezüge Kinderzulage …" der Steuererklärung für 2011 nahm er nicht vor.

Die Kläger unterschrieben die von ihrem Steuerberater vorbereiteten Steuererklärungen für die Streitjahre und reichten sie beim FA ein. Das FA berücksichtigte die angegebenen Bruttoarbeitslöhne im Wesentlichen erklärungsgemäß. Kinderfreibeträge setzte das FA nicht an, da die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch das Kindergeld bzw. vergleichbare Leistungen für die Kinder bewirkt worden sei. Die Einkommensteuerbescheide wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 18.11.2013 teilte der Steuerberater der Kläger dem FA mit, er habe bei der Vorbereitung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 festgestellt, dass in den Anlagen N–Gre für die Streitjahre zu hohe Bruttoarbeitslöhne angegeben worden seien, da in diesen Kinderzulagen nach schweizerischem Recht enthalten gewesen seien, die in Deutschland steuerfrei seien. Dem Schreiben waren Lohnabrechnungen, Kontoauszüge und Währungsumrechnungen beigefügt. Die Kläger beantragten, die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre entsprechend zu ändern.

Das FA lehnte den Antrag ab.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Die Einkommensteuerbescheide seien gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ( AO ) zu ändern. Die Kläger und ihren steuerlichen Berater treffe am nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsache, dass in den erklärten Bruttoarbeitslöhnen steuerfreie Kinderzulagen enthalten seien, kein grobes Verschulden. Die in den Anlagen N–Gre gestellte Frage nach der Kinderzulage sei nicht bewusst unbeantwortet geblieben. Vielmehr sei die Frage anhand der Jahreslohnbescheinigungen mittelbar mit "nein" beantwortet worden. Um die Frage richtig zu beantworten, hätte der Steuerberater erkennen müssen, dass die Kinderzulagen im Bruttolohn des Klägers enthalten gewesen seien. Da dies nicht der Fall gewesen sei, sei die Frage lediglich unbewusst falsch beantwortet worden. Die Kläger ihrerseits hätten ohne grobes Verschulden darauf vertrauen dürfen, dass ihr Steuerberater die Steuererklärungen richtig und vollständig bearbeitet habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Es beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat rechtsfehlerhaft entschieden, dass die bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern waren.

1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO —der im Streitfall als einzige Änderungsvorschrift in Betracht kommt— sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

a) Im Streitfall sind dem FA Tatsachen nachträglich bekannt geworden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Denn in den von den Klägern erklärten und vom FA bei den Steuerfestsetzungen berücksichtigten Bruttoarbeitslöhnen des Klägers waren steuerfreie Kinderzulagen enthalten, die der Kläger von seinem schweizerischen Arbeitgeber bezogen hatte. Aus diesem Grund wurden in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre zu hohe Bruttoarbeitslöhne des Klägers angesetzt, was zu überhöhten Steuerfestsetzungen führte.

Diese steuermindernden Tatsachen wurden dem FA erst nachträglich durch das Schreiben des Steuerberaters der Kläger vom 18.11.2013 bekannt. Allein streitig ist, ob die Kläger am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsachen ein grobes Verschulden traf.

b) Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 09.11.2011 – X R 53/09, Rz 15; vom 16.05.2013 – III R 12/12, BFHE 241, 226 , BStBl II 2016, 512 , Rz 19, und vom 10.02.2015 – IX R 18/14, BFHE 249, 195 , BStBl II 2017, 7 , Rz 14).

aa) Grob fahrlässiges Handeln nimmt die Rechtsprechung insbesondere dann an, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt. Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 04.02.1993 – III R 78/91, BFH/NV 1993, 641 ; vom 23.10.2002 – III R 32/00, BFH/NV 2003, 441 , und in BFHE 249, 195 , BStBl II 2017, 7 , Rz 15, m.w.N.). Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige —auch wenn ihm steuerrechtliche Kenntnisse fehlen— andererseits nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet (BFH-Urteil vom 09.08.1991 – III R 24/87, BFHE 165, 454 , BStBl II 1992, 65 ). Dies gilt auch dann, wenn er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteil in BFHE 241, 226 , BStBl II 2016, 512 , Rz 21, m.w.N.).

Einem Steuerpflichtigen kann des Weiteren dann ein eigenes grobes Verschulden angelastet werden, wenn er die von seinem steuerlichen Berater angefertigte Steuererklärung nicht auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit durchgesehen hat und ihm ohne Weiteres hätte auffallen müssen, dass steuermindernde Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt wurden (BFH-Urteile vom 28.08.1992 – VI R 93/89, BFH/NV 1993, 147 , und in BFHE 241, 226 , BStBl II 2016, 512 , Rz 22).

bb) Der Steuerpflichtige hat auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (BFH-Urteile vom 17.11.2005 – III R 44/04, BFHE 211, 401 , BStBl II 2006, 412 ; vom 03.12.2009 – VI R 58/07, BFHE 227, 365 , BStBl II 2010, 531 , und in BFHE 249, 195 , BStBl II 2017, 7 , Rz 14; von Wedelstädt in Gosch, AO § 173 Rz 95; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 173 AO Rz 283; Klein/Rüsken, AO , 15. Aufl., § 173 Rz 125; a.A. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 173 AO Rz 82). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ergibt sich aus der Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung (§ 150 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. der Streitjahre; s.a. BFH-Urteile vom 14.01.1998 – X R 84/95, BFHE 185, 111 , BStBl II 1999, 203 ; in BFHE 211, 401 , BStBl II 2006, 412 , und in BFHE 227, 365 , BStBl II 2010, 531 ). Dieser Verantwortung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt. Dabei sind an einen steuerlichen Berater, dessen sich der Steuerpflichtige zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, erhöhte Anforderungen hinsichtlich der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu stellen (z.B. BFH-Urteile vom 03.02.1983 – IV R 153/80, BFHE 137, 547 , BStBl II 1983, 324 ; vom 28.06.1983 – VIII R 37/81, BFHE 139, 8 , BStBl II 1984, 2 , und vom 09.05.2012 – I R 73/10, BFHE 238, 1 , BStBl II 2013, 566 ; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 126). Insbesondere ist ein steuerlicher Berater verpflichtet, den für die Abgabe einer vollständigen Steuererklärung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln (BFH-Urteil in BFHE 241, 226 , BStBl II 2016, 512 , Rz 29). Er darf dabei die Angaben seines Mandanten nicht ungeprüft übernehmen, sondern muss sie überprüfen und bei Unklarheiten gegebenenfalls nachfragen (Senatsurteil in BFHE 227, 365 , BStBl II 2010, 531 , Rz 19).

cc) Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG dürfen —abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen— nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Dies hindert das Revisionsgericht allerdings nicht, selbst zur Annahme eines groben Verschuldens zu kommen, wenn hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen (z.B. BFH-Urteile vom 20.11.2008 – III R 107/06, BFH/NV 2009, 545 , und in BFHE 241, 226 , BStBl II 2016, 512 , Rz 24, jeweils m.w.N.).

c) Nach diesen Maßstäben kann das Urteil der Vorinstanz keinen Bestand haben.

Entgegen der Auffassung des FG trifft den steuerlichen Berater der Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsache, dass in den erklärten Bruttoarbeitslöhnen des Klägers steuerfreie Kinderzulagen enthalten waren, die klägerseits nicht in Abzug gebracht wurden. Diese Würdigung kann der erkennende Senat auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts selbst vornehmen. Das grobe Verschulden ihres Steuerberaters müssen sich die Kläger —wie oben dargelegt— zurechnen lassen. Ob den Klägern persönlich ebenfalls grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, kann der Senat im Streitfall damit offenlassen.

aa) Der steuerliche Berater der Kläger hat grob fahrlässig gehandelt, indem er die in den Anlagen N–Gre ausdrücklich gestellte Frage nach den steuerfreien Abzügen, die in den in Zeile 5 jeweils einzutragenden Bruttoarbeitslöhnen enthalten waren, unbeantwortet ließ. Soweit das FG gemeint hat, der Steuerberater der Kläger habe durch das Unterlassen von Eintragungen in den Zeilen 6 bzw. 8 der Anlagen N–Gre die Frage nach den Kinderzulagen "(mittelbar) mit 'nein'" beantwortet, ergibt sich in Bezug auf das Vorliegen grober Fahrlässigkeit nichts anderes.

In Zeile 6 der Anlage N–Gre für 2009 und 2010 bzw. in Zeile 8 der Anlage N–Gre für 2011 wird ausdrücklich und in verständlicher Art und Weise nach der steuerfreien Kinderzulage gefragt. Obwohl der Kläger solche Kinderzulagen erhielt, die in dem erklärten Bruttoarbeitslohn enthalten waren, nahm der Steuerberater in den Zeilen 6 bzw. 8 der Anlagen N–Gre keine Eintragungen vor. Hierdurch unterließ er es grob fahrlässig, die Kinderzulagen als steuerfreien Bestandteil der erklärten Bruttoarbeitslöhne steuermindernd geltend zu machen. Die Frage nach den steuerfreien Kinderzulagen beantwortete der Steuerberater durch die fehlenden Eintragungen nicht, jedenfalls aber nicht vollständig, wenn man mit dem FG das Unterlassen einer Eintragung als konkludente (mittelbare) Antwort mit "nein" oder mit "0" auslegt.

bb) Soweit das FG die Auffassung vertreten hat, der steuerliche Berater habe nicht grob fahrlässig gehandelt, weil er in den Zeilen 6 bzw. 8 der Anlage N–Gre lediglich unbewusst keine Eintragungen vorgenommen habe, missversteht die Vorinstanz rechtsfehlerhaft die Rechtsprechung des BFH.

Beruht eine unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum, ist dies dem Steuerpflichtigen zwar in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten. Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige —wie oben dargelegt— andererseits nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage bewusst nicht beantwortet (s.a. BFH-Urteile vom 18.03.2014 – X R 8/11, Rz 21 f., und in BFHE 249, 195 , BStBl II 2017, 7 , Rz 15, jeweils m.w.N.).

Im Streitfall hat das FG nicht festgestellt, dass der Steuerberater der Kläger, von dem die einschlägigen Rechtskenntnisse zur sachgerechten Bearbeitung des von ihm übernommenen Mandats zur Vorbereitung der Steuererklärungen erwartet werden müssen, in den Zeilen 6 bzw. 8 der Anlage N–Gre lediglich aufgrund einer entschuldbaren Nachlässigkeit oder aufgrund eines üblicherweise vorkommenden Versehens, mit dem immer gerechnet werden muss, keine Eintragungen vorgenommen hat. Vielmehr hat der steuerliche Berater der Kläger nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt in den Zeilen 6 bzw. 8 der Anlage N–Gre keine Eintragungen vorgenommen, weil in den Jahreslohnbescheinigungen des Klägers keine Kinderzulagen vermerkt waren. Der Steuerberater der Kläger hat es im Streitfall damit unterlassen, den steuerlich relevanten Sachverhalt hinreichend aufzuklären. Dies war im vorliegenden Fall —anders als das FG meint— schon deshalb grob fahrlässig, weil er in den jeweiligen Erklärungsvordrucken ausdrücklich auch darum gebeten wurde, die (monatlichen) Gehaltsmitteilungen des Steuerpflichtigen (Klägers), in denen die Kinderzulagen ausgewiesen waren, dem FA einzureichen. Der Steuerberater wurde damit bereits in den Erklärungsvordrucken selbst auf die mögliche steuerliche Relevanz der Gehaltsmitteilungen hingewiesen. Es musste sich ihm deshalb aufdrängen, die Anlage N–Gre nicht nur anhand der Jahreslohnbescheinigungen, sondern auch unter Zuhilfenahme der Gehaltsabrechnungen des Klägers auszufüllen. Die fehlenden Eintragungen in Zeile 6 bzw. 8 der Anlage N–Gre beruhten folglich nicht auf einer bloßen Nachlässigkeit, die üblicherweise vorkommen kann, sondern auf einer grob fahrlässig mangelhaften Sachverhaltsermittlung.

Zu einer sorgfältigen Aufbereitung und Prüfung des steuerrelevanten Sachverhalts bestand für den Steuerberater im vorliegenden Fall zudem auch deshalb ein besonderer Anlass, weil er nach den Feststellungen des FG bisher nicht mit vergleichbaren Grenzgängerfällen betraut war. Das FG verkennt die an einen Steuerberater zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, soweit es die Auffassung vertreten hat, die fehlende Erfahrung sei ein den Steuerberater entlastender Umstand. Vielmehr hätte die fehlende Erfahrung den Steuerberater der Kläger zu einer besonders sorgfältigen Bearbeitung der Steuererklärungen veranlassen müssen.

cc) Das grobe Verschulden des Steuerberaters der Kläger, das sich diese zurechnen lassen müssen, wird auch nicht dadurch unbeachtlich, dass das FA —wie die Kläger meinen— seine Aufklärungs- bzw. (Amts–)Ermittlungspflichten nicht erfüllt habe (s. dazu BFH-Urteil vom 26.08.1987 – I R 144/86, BFHE 151, 299 , BStBl II 1988, 109 , 111, unter II.1.d, m.w.N.). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn ein fehlerhaftes Verhalten der Behörde unmittelbaren Einfluss auf das Maß des Verschuldens des Steuerpflichtigen hat (BFH-Urteil vom 05.12.1990 – I R 21/88, BFH/NV 1991, 785 ; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz 296). So verhält es sich im vorliegenden Fall indessen nicht.

2. Da die Revision des FA bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, kommt es auf den vom FA gerügten Verfahrensmangel nicht mehr an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, vom 17.02.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 K 1838/14
Fundstellen
BB 2020, 2069
BFH/NV 2020, 1249
IStR 2021, 70
NZA 2020, 1302