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BFH - Entscheidung vom 12.03.2020

V R 24/19

Normen:
UStG § 6a, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2
MwStSystRL Art. 138, Art. 146
UStG § 6a
MwStSystRL Art. 146
UStG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-2
MwStSystRL Art. 138

Fundstellen:
BFH/NV 2020, 1098

BFH, Urteil vom 12.03.2020 - Aktenzeichen V R 24/19

DRsp Nr. 2020/11405

Rechtsfolgen der Ausstellung einer gesplitteten Rechnung hinsichtlich der Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung

NV: Das Ausstellen einer gesplitteten Rechnung führt nicht dazu, die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28.05.2019 – 3 K 1391/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Normenkette:

UStG § 6a , § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 ; MwStSystRL Art. 138, Art. 146;

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Organträger einer GmbH.

Die GmbH nahm im Streitjahr 2010 für die Lieferung von 37 Kraftfahrzeugen, die an Abnehmer mit Sitz in der Türkei geliefert und in die Türkei verbracht wurden, die Steuerfreiheit nach § 6 des Umsatzsteuergesetzes ( UStG ) in Anspruch. Die GmbH erteilte hierfür jeweils zwei getrennte Rechnungen, eine Rechnung über den Fahrzeugverkauf und eine weitere Rechnung über eine "Restzahlung".

Die Rechnungsbeträge beliefen sich auf insgesamt 1.971.045 €, wovon 1.455.780 € auf die Rechnungen über die Fahrzeugverkäufe und 515.265 € auf die als "Restzahlung" bezeichneten Rechnungen entfielen. In seiner —auch die Umsätze und Vorsteuerbeträge der GmbH als Organgesellschaft umfassenden— Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr, der der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) zustimmte, erklärte der Kläger steuerfreie Ausfuhrlieferungen i.S. der §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG in Höhe von 2.453.715 €.

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung für den Zeitraum 2008 bis 2010 vertraten die Prüfer in ihrem Bericht vom 19.12.2014 die Auffassung, dass die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen in die Türkei auf der Grundlage der zur Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), in den Fällen zu versagen sei, in denen der Gesamtverkaufspreis auf zwei Rechnungen (Rechnungssplitting auf Verkaufs- und Provisionsrechnung) verteilt worden sei. Zwar stünden fehlerhafte oder fehlende Buch- und Belegnachweise der Steuerfreiheit nicht entgegen. Die GmbH habe sich aber aktiv an einem Betrugsmodell beteiligt. Die Rechtsprechung zur Versagung der Umsatzsteuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen mit Betrugsanhaftung sei in Fällen der Bösgläubigkeit des Lieferanten auch auf Ausfuhrlieferungen anzuwenden. Mittels der gesplitteten Rechnungen sei über den tatsächlichen Warenwert getäuscht und den Abnehmern ermöglicht worden, in der Türkei Einfuhrabgaben und dabei die Özel Tüketim Vergisi (ÖTV) als besondere Verbrauchsteuer und weiters auch die Mehrwertsteuer beim Weiterverkauf zu verkürzen. Es lägen auch unrichtige Angaben über das Alter der Fahrzeuge, den Kilometerstand und über den Hubraum vor. Hintergrund sei, dass in der Türkei gebrauchte Kraftfahrzeuge entweder nicht oder nur mit höherer Verbrauchsteuer importiert werden dürften. Daher sei in einem Umfang von 1.971.045 € die Steuerfreiheit zu versagen und die Umsatzsteuer aus diesem Betrag herauszurechnen. Dem folgte das FA mit seinem Umsatzsteueränderungsbescheid vom 27.03.2015. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1634 veröffentlichten Urteil statt. Nach dem Urteil des FG sind die Grundsätze zur Versagung der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, wenn der Lieferer bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, oder wenn der Verkäufer wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern, nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar.

Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es geltend macht, dass entgegen dem FG-Urteil die EuGH-Rechtsprechung, wonach eine Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen bei betrügerischem oder missbräuchlichem Verhalten des Unternehmers oder bei dessen Kenntnis, dass der von ihm erbrachte Umsatz in einem Mehrwertsteuerbetrug eingebunden ist, zu versagen ist, auf die Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen übertragbar sei, sofern es um betrügerisches Verhalten hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer des Bestimmungsstaates im Drittlandsgebiet geht. Es verweist hierzu auf die Rechtsprechung des EuGH, des Bundesfinanzhofs, eines anderen FGs und auf einen Beschluss der Umsatzsteuer-Referatsleiter des Bundes und der Länder.

Das ordnungsgemäß geladene, aber in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene FA beantragt schriftsätzlich, 
  das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. 

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revisionsbegründung des FA entspreche mangels Auseinandersetzung mit den Gründen des FG-Urteils nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen. Während es sich bei der innergemeinschaftlichen Lieferung und dem innergemeinschaftlichen Erwerb um einen wirtschaftlichen Vorgang handele, komme es bei der Ausfuhrlieferung auf eine korrespondierende Besteuerung im Drittland nicht an. Die inländische Umsatzsteuer berechtigte im Drittstaat nicht zum Vorsteuerabzug. Die türkische Finanzverwaltung habe über alle erforderlichen Informationen verfügt, um die bei der Einfuhr geschuldeten Steuern in zutreffender Höhe festzusetzen. Es bestehe keine Notwendigkeit, einen etwaigen Steuerausfall in der Türkei durch eine Besteuerung im Inland zu kompensieren.

II.

Die Revision des FA, die entgegen der Auffassung des Klägers die an eine Revisionsbegründung zu stellenden Mindestanforderungen (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Finanzgerichtsordnung —FGO—) noch erfüllt, ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ). Wie das FG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, führt das Ausstellen gesplitteter Rechnungen —wie im Streitfall— nicht dazu, die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen zu versagen, da dies das Vorliegen der gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG nicht in Frage stellt.

1. Ausfuhrlieferungen sind gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG unter den in § 6 UStG bezeichneten Voraussetzungen steuerfrei.

a) Die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung setzt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG , befördert oder versendet hat. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG ist die Lieferung für den Fall, dass der Abnehmer befördert oder versendet hat, steuerfrei, wenn er ein ausländischer Abnehmer ist.

Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 146 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL. Danach befreien die Mitgliedstaaten "die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden" (Buchst. a) und "die Lieferungen von Gegenständen, die durch den nicht in ihrem jeweiligen Gebiet ansässigen Erwerber oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden" (Buchst. b).

b) Der Unternehmer hat diese Voraussetzungen nach § 6 Abs. 4 UStG nachzuweisen, wobei sich der Umfang der dabei beizubringenden Nachweise nach den §§ 8 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung in der im Streitjahr geltenden Fassung ( UStDV ) bestimmte. Nach § 8 Abs. 1 UStDV hatte der Unternehmer für den sog. Ausfuhrnachweis durch Belege nachzuweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet hat, wobei sich diese Voraussetzung aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben musste. Im Beförderungsfall handelte es sich dabei um eine zollrechtliche Ausfuhranmeldung im elektronischen Ausfuhrverfahren oder eine Ausfuhrbestätigung der Grenzzollstelle (§ 9 Abs. 1 UStDV ). Im Versendungsfall bestand der Ausfuhrnachweis in der zollrechtlichen Ausfuhranmeldung im elektronischen Ausfuhrverfahren, in einem Versendungsbeleg oder einer Spediteurbescheinigung (§ 10 Abs. 1 UStDV ). Sonderregelungen bestanden für die Ausfuhr von Fahrzeugen (§ 9 Abs. 2 und § 10 Abs. 2 UStDV ). Zusätzlich buchmäßig aufzuzeichnen war insbesondere der Name und die Anschrift des Abnehmers (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UStDV ).

Unionsrechtliche Grundlage für diese Nachweise ist Art. 131 MwStSystRL. Danach wird die Steuerbefreiung "unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen".

2. Es steht der Steuerfreiheit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG nicht entgegen, wenn der Lieferer bei der Ausstellung einer z.B. unterfakturierten Zweitrechnung für die Ausfuhrlieferung wusste oder hätte wissen müssen, dass der Abnehmer mit dem gelieferten Gegenstand eine Steuerhinterziehung zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begeht. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG ist keine derartige Voraussetzung zu entnehmen. Sie ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH.

a) Nach der EuGH-Rechtsprechung ist entsprechend dem Grundsatz der steuerrechtlichen Neutralität —ebenso wie bei anderen Steuerbefreiungen— die Ausfuhrlieferung steuerfrei, wenn sie die materiellen Voraussetzungen hierfür erfüllt; dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (EuGH-Urteil Unitel vom 17.10.2019 – C–653/18, EU:C:2019:876, Rz 28, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ––HFR— 2019, 1103 ).

b) Ausnahmefälle, die dazu berechtigen, hiervon abzuweichen (vgl. EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 29, HFR 2019, 1103 ), liegen nicht vor.

aa) Die Ausfuhrlieferung ist zum einen steuerpflichtig, wenn der Verstoß gegen eine formelle Anforderung den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind (EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 30, HFR 2019, 1103 ). Denn hier steht nicht fest, dass die materiellen Voraussetzungen vorliegen. Umgekehrt wird der sichere Nachweis, dass der gelieferte Gegenstand nach Orten außerhalb der Union versandt wurde und das Gebiet der Union physisch verlassen hat, nicht dadurch in Frage gestellt, dass der tatsächliche Empfänger nicht identifiziert wird (EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 32, HFR 2019, 1103 ).

Ebenso wie die fehlende Identifizierung dieses Empfängers ist auch das Ausstellen von Rechnungen der hier vorliegenden Art nicht geeignet, die materiellen Voraussetzungen der Ausfuhrlieferung und damit die Beförderung oder Versendung des gelieferten Gegenstands in das Drittlandsgebiet (s. oben unter II.1.a) in Frage zu stellen.

bb) Zum anderen kann die vorwerfbare Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zur Versagung einer Steuerfreiheit führen.

(1) Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hat, für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen, so dass es nicht gegen das Unionsrecht verstößt, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Sollte der Steuerpflichtige gewusst haben oder hätte er wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers zu Lasten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems verknüpft war, und hat er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um diese zu verhindern, müsste ihm der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden (EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 33, HFR 2019, 1103 ).

Für den Fall, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei der Ausfuhr nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL und damit die Verbringung der Gegenstände aus dem Zollgebiet nachgewiesen sind, weist der EuGH aber darauf hin, dass für eine solche Lieferung keine Mehrwertsteuer geschuldet wird und grundsätzlich keine Gefahr eines Steuerbetrugs oder finanzieller Verluste mehr besteht, der die Besteuerung des Umsatzes rechtfertigen kann (EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 35, HFR 2019, 1103 , unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil BDV Hungary Trading vom 19.12.2013 – C–563/12, EU:C:2013:854, Rz 40, HFR 2014, 182 ).

(2) Danach führt das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung für eine Ausfuhrlieferung nicht zu einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung, wie sich aus den zwischen den Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen und für Ausfuhrlieferungen bestehenden Unterschieden ergibt.

(a) Die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung dient der Verlagerung des Steueraufkommens in den Mitgliedstaat des innergemeinschaftlichen Erwerbs und hat dabei insbesondere die Funktion, die Durchsetzung der Erwerbsbesteuerung sicherzustellen. So ist die Steuerfreiheit nicht allgemein, sondern nur erwerberbezogen und damit "ad personam" zu gewähren, wenn der Erwerb des gelieferten Gegenstandes nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. Damit setzt die Steuerfreiheit voraus, dass die innergemeinschaftliche Lieferung beim Erwerber die Verpflichtung zur Vornahme der Erwerbsbesteuerung (im Inland vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 1a UStG ) begründet. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 139 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL, wonach die Steuerbefreiung nicht für die Lieferungen von Gegenständen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen gilt, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Art. 3 Abs. 1 MwStSystRL nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.

Der EuGH umschreibt die danach bestehende Korrespondenz dahingehend, dass "mit jedem innergemeinschaftlichen Erwerb, der im Mitgliedstaat des Bestimmungsorts der Versendung oder Beförderung von Gegenständen (…) besteuert wird, eine innergemeinschaftliche Lieferung einhergehen [muss], die im Mitgliedstaat des Beginns der Versendung oder Beförderung (…) befreit ist. Die Bestimmungen zum innergemeinschaftlichen Erwerb und zur innergemeinschaftlichen Lieferung haben daher dieselbe Bedeutung und dieselbe Reichweite" (EuGH-Urteil AREX CZ vom 19.12.2018 – C–414/17, EU:C:2018:1027, Rz 45, HFR 2019, 230 ).

Im Hinblick auf diese Korrespondenz, bei der die vom Lieferer beizubringenden Angaben und Nachweise insbesondere dazu dienen, die Durchsetzung der Erwerbsbesteuerung sicherzustellen, ist es gerechtfertigt, aus dem Erfordernis einer Lieferung an einen zur Erwerbsbesteuerung verpflichteten Abnehmer nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG auch abzuleiten, dass sich der Abnehmer der Verpflichtung zur Vornahme der Erwerbsbesteuerung nicht durch Steuerhinterziehung entziehen darf, so dass dem Lieferer, dem dies bekannt ist oder bekannt sein muss, die Steuerfreiheit entsprechend den subjektiven Vorgaben des EuGH (s. oben unter II.2.b bb (1)) zu versagen ist (vgl. Wäger, Umsatzsteuer-Rundschau 2020, 45 ff., 50).

(b) Demgegenüber besteht bei Ausfuhrlieferungen keine aus dem Tatbestand der Steuerfreiheit ableitbare Korrespondenz zwischen der Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung und der Besteuerung im Drittstaat.

(1) Hierauf kommt es bereits deshalb nicht an, da die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung unstreitig auch dann zu gewähren ist, wenn eine Besteuerung der Einfuhr im Drittstaat nicht vorgesehen ist. Hiergegen sprechen zudem die praktischen Schwierigkeiten, die sich aus der Anwendung eines den innergemeinschaftlichen Umsätzen vergleichbaren Korrespondenzprinzips im Hinblick auf Ausfuhrlieferungen in Drittländer ergeben.

(2) In Übereinstimmung hiermit geht der EuGH davon aus, dass bei Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen für die Ausfuhrlieferung grundsätzlich keine Gefahr eines Steuerbetrugs oder finanzieller Verluste besteht, die eine Besteuerung rechtfertigen (EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 35, HFR 2019, 1103 ). Soweit der EuGH zusätzlich darauf verweist, dass der Begehungsort einer betrügerischen Handlung in einem Drittstaat nicht ausreicht, um das Vorliegen irgendeines Betrugs zum Nachteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auszuschließen (EuGH-Urteil Unitel, EU:C:2019:876, Rz 37, HFR 2019, 1103 ), folgt hieraus nicht, dass betrügerische Handlungen in einem Drittstaat zum Verlust der Steuerbefreiung für die Ausfuhrlieferung führen, sondern fordert nur dies eine Prüfung, ob sich aus Handlungen in einem Drittstaat eine Schädigung des unionalen Steueraufkommens ergibt. So könnte es z.B. sein, wenn derartige Handlungen darauf abzielen, betrügerisch einen Vorsteuerabzug in der Union zu erlangen. Demgegenüber folgt aus der Verkürzung von Einfuhrumsatzsteuer in einem Drittstaat kein Nachteil für das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

(3) Bestätigt wird dies dadurch, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 325 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit Maßnahmen zu bekämpfen haben, die wirksam und abschreckend sind, wobei die finanziellen Interessen der Union auch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer umfassen (EuGH-Urteil Scialdone vom 02.05.2018 – C–574/15, EU:C:2018:295, Rz 27, HFR 2018, 591 ). Hierzu gehört ersichtlich nicht das Steueraufkommen von Drittstaaten.

(4) Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Bestehen einer Zollunion mit der Türkei (vgl. hierzu Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrats EG-Türkei vom 22.12.1995, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1996 Nr. L 35/1). Hierdurch wird die Türkei nicht zum Teil des Binnenmarkts, wie sich bereits aus der Anwendung von § 6 UStG anstelle von § 6a UStG im Streitfall ergibt. Im Übrigen steht es dem FA frei, den zuständigen türkischen Behörden auf der Grundlage der hierfür einschlägigen gesetzlichen Regelungen alle Informationen zu übermitteln, die dort für die Abgabenerhebung erforderlich sind. Demgegenüber besteht auch in einer Zollunion keine Grundlage dafür, zollrechtliche Verstöße zwingend mit steuerrechtlichen Sanktionen bewehren zu müssen.

3. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des FA greifen nicht durch.

a) Das FA verweist für die von ihm angenommenen Steuerpflicht der Ausfuhrlieferung auf das EuGH-Urteil Netto Supermarkt vom 21.02.2008 – C–271/06 (EU:C:2008:105, Rz 22 f., HFR 2008, 408 ), berücksichtigt dabei aber nicht, dass der EuGH hier lediglich seine zur innergemeinschaftlichen Lieferung ergangene Rechtsprechung wiedergibt und hieraus für die in dieser Rechtssache streitige Ausfuhrlieferung ableitet, dass es gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstieße, "wenn ein Mitgliedstaat, der die Voraussetzungen für die Befreiung einer Ausfuhrlieferung nach einem Ort außerhalb der Gemeinschaft festgelegt hat (…), den Lieferer später zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten könnte, wenn sich herausstellt, dass infolge eines vom Abnehmer begangenen Betrugs, von dem der Lieferer weder Kenntnis hatte noch haben konnte, die Befreiungsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorlagen" (EuGH-Urteil Netto Supermarkt, EU:C:2008:105, Rz 26, HFR 2008, 408 ). Hieraus folgert der EuGH, dass der Lieferer auf die Rechtmäßigkeit des Umsatzes, den er tätigt, vertrauen können muss, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Befreiung von der Mehrwertsteuer zu verlieren, wenn er, wie im Ausgangsverfahren, selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns außerstande ist, zu erkennen, dass die Voraussetzungen für die Befreiung in Wirklichkeit nicht gegeben waren, weil die vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise gefälscht waren (EuGH-Urteil Netto Supermarkt, EU:C:2008:105, Rz 27, HFR 2008, 408 ).

Aus dem EuGH-Urteil Netto Supermarkt (EU:C:2008:105, HFR 2008, 408 ) ergibt sich somit nur, dass dem gutgläubigen Lieferer, der —wie in dieser Rechtssache entscheidungserheblich— die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung in Anspruch nimmt, ohne erkennen zu können, dass die hierfür nach dem Befreiungstatbestand erforderliche Beförderung in das Drittlandsgebiet aufgrund einer Täuschung durch den Abnehmer nicht vorliegt, die Steuerfreiheit gleichwohl zu gewähren ist. Dem Urteil ist demgegenüber nichts für den Umkehrfall zu entnehmen, dass eine Beförderung in das Drittlandsgebiet vorliegt und der Lieferer in Bezug auf einen Umstand, der nicht zum gesetzlich bestimmten Befreiungstatbestand gehört, bösgläubig ist.

b) Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil Vinš vom 28.03.2019 – C–275/18 (EU:C:2019:265, Rz 33 f., HFR 2019, 446 ). Danach kann "sich ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hat, für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen (…)" (EuGH-Urteil Vinš, EU:C:2019:265, Rz 33, HFR 2019, 446 ). Dass der EuGH dann in dieser die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung betreffenden Rechtssache hierzu ergänzt, dass "nichts in den Akten des Gerichtshofs darauf hin[weist], dass die Versagung der im Ausgangsverfahren fraglichen Steuerbefreiung auf dem Vorliegen einer solchen Steuerhinterziehung beruht" (EuGH-Urteil Vinš, EU:C:2019:265, Rz 34, HFR 2019, 446 ), beschränkt sich auf die bloße Verneinung einer Steuerhinterziehung für den Streitfall, ohne dass hieraus weitergehend abzuleiten ist, dass eine das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdende Steuerhinterziehung hier überhaupt gegeben sein kann.

c) Zudem beruft sich das FA zu Unrecht auf das Senatsurteil vom 28.05.2009 – V R 23/08 (BFHE 226, 177 , BStBl II 2010, 517 ). Der erkennende Senat hat hier entschieden, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht nur bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, sondern wegen rechtssystematischer Gemeinsamkeiten auch bei Ausfuhrlieferungen zu beachten ist und hat die sich hieraus ergebenden Schlussforderungen in Bezug auf die den Unternehmer treffenden Nachweispflichten gezogen. Derartige Gemeinsamkeiten ändern indes nichts an den im Übrigen bestehenden Unterschieden, wie sie sich aus der Korrespondenz zwischen innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb ergeben, an der es bei Ausfuhrlieferungen fehlt (s. oben unter II.2.b bb (2)).

4. Von einer Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH sieht der erkennende Senat ab. Insbesondere im Hinblick auf das EuGH-Urteil Unitel (EU:C:2019:876, HFR 2019, 1103 ) bestehen keine Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts.

5. Danach hat das FG der Klage zutreffend stattgegeben. Dabei hat der erkennende Senat nicht zu entscheiden, ob der im Streitfall gegebene Fall des Rechnungssplittings dem Fall der Erteilung einer unterfakturierten Zweitrechnung (s. hierzu Senatsurteil vom 12.03.2020 – V R 20/19) überhaupt gleichzustellen sein kann. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, ist die hier vorliegende Abrechnungsweise unzutreffend, lässt aber keinen zwingenden Rückschluss auf ein kaufmännisch unredliches Handeln zu.

Zudem sind die gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen wurden (§ 118 Abs. 2 FGO ) erfüllt. Dabei ist unstreitig, dass die gelieferten Fahrzeuge in die Türkei befördert oder versendet wurden. Im Hinblick hierauf kommt es auf die weiteren Einzelheiten zur Anwendung von §§ 9 , 10 UStDV nicht an (vgl. zur entsprechenden Sachbehandlung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Senatsurteil vom 26.09.2019 – V R 38/18, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2020, 112 , Rz 17, und zur übereinstimmenden Bedeutung des Beleg- und Buchnachweises bei Ausfuhrlieferungen und bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Senatsurteil vom 28.05.2009 – V R 23/08, BFHE 226, 177 , BStBl II 2010, 517 , Rz 20). Auch ein Mehrwertsteuerbetrug zu Lasten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems liegt nicht vor.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz, vom 28.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 1391/17
Fundstellen
BFH/NV 2020, 1098