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BFH - Entscheidung vom 16.03.2020

II B 94/18

Normen:
BewG §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2, § 154 Abs. 3, § 155 Satz 2
AO § 179, § 183
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 60 Abs. 3
BewG § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AO § 183
AO § 179
BewG § 151 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 Hs. 2
BewG § 154 Abs. 3
BewG § 155 S. 2
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1-2
FGO § 48 Abs. 2
FGO § 60 Abs. 3

Fundstellen:
BFH/NV 2020, 912
FamRZ 2020, 1320
ZEV 2020, 515

BFH, Beschluss vom 16.03.2020 - Aktenzeichen II B 94/18

DRsp Nr. 2020/9801

Notwendigkeit der Beiladung der nicht klagenden Miterben im Rahmen eines Klageverfahrens über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer

NV: Erhebt ein Miterbe Klage gegen einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer, der den Miterben einer Erbengemeinschaft das Grundstück zurechnet, sind die nicht klagenden Miterben notwendig zum Klageverfahren beizuladen.

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 06.08.2018 – 11 K 2333/16 BG wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beigeladenen zu tragen.

Normenkette:

BewG §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2, § 154 Abs. 3, § 155 Satz 2; AO § 179 , § 183 ; FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1 , Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 , § 60 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Die Klägerin und die Beigeladenen und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) sind Miterben einer aus 48 Personen bestehenden Erbengemeinschaft. Die am 05.05.2010 verstorbene Erblasserin hatte für den Nachlass Testamentsvollstreckung angeordnet. Teil des Erbes war ein in M belegenes Grundstück. Dieses erwarb die Klägerin nach einem von der Erblasserin vorgesehenen Bieterverfahren gegen eine Ausgleichszahlung in Höhe von 151.500 €.

Zur Feststellung des Grundbesitzwertes reichte der Testamentsvollstrecker beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) eine nicht unterschriebene Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts (Feststellungserklärung) ein, in welcher er als Empfangsbevollmächtigter benannt war und den Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts in Höhe der Ausgleichszahlung beantragte.

Das FA erließ einen an den Testamentsvollstrecker als Empfangsbevollmächtigten für die Erbengemeinschaft adressierten Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 05.05.2010 für Zwecke der Erbschaftsteuer (Feststellungsbescheid), in dem die Miterben namentlich aufgeführt waren, und stellte den Grundbesitzwert abweichend von der Feststellungserklärung auf 196.865 € fest. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Nach Ansicht des FA war der von der Klägerin geleistete Kaufpreis nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen.

Hiergegen erhob der Testamentsvollstrecker im Namen der Klägerin Klage. Die Erbengemeinschaft bestehe aus sehr weitläufig miteinander verwandten Personen. Deshalb, und aufgrund des gewählten Verfahrens zur Preisfestsetzung, habe die Preisbildung derjenigen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr entsprochen.

Das Finanzgericht (FG) lud die Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) zum Verfahren bei. Sie seien als Miterben nach § 48 FGO klagebefugt.

Gegen diesen Beschluss legten die Beschwerdeführer beim FG Beschwerde ein. Denn die Klägerin habe das Grundstück als Vorausvermächtnis nach § 2151 des Bürgerlichen Gesetzbuches erhalten und sei allein klagebefugt. Zudem sei beim erzielten Kaufpreis der Fremdvergleich gegeben.

Das FG half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Bundesfinanzhof (BFH) vor.

Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß, den angefochtenen Beschluss vom 06.08.2018 aufzuheben.

Das FA hat keinen Antrag gestellt.

II.

Die nach § 128 Abs. 1 FGO zulässige Beschwerde ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO ). Das FG hat die Beschwerdeführer zu Recht notwendig beigeladen.

1. Sind an einem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, sind sie gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen.

a) Welche Personen in einem Klageverfahren beizuladen sind, richtet sich nach dem durch den Klageantrag bestimmten Streitgegenstand (BFH-Beschlüsse vom 14.01.2003 – – VIII B 108/01, BFHE 201, 6 , BStBl II 2003, 335 , unter II.1., und vom 09.01.2013 – IV B 64/11, BFH/NV 2013, 512 , Rz 10; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 48 FGO Rz 275).

b) Gegen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen können nur die in § 48 Abs. 1 FGO genannten Personen Klage erheben. Gemäß § 155 Satz 2 des Bewertungsgesetzes ( BewG ) ist § 48 FGO entsprechend anzuwenden, soweit der Gegenstand der Feststellung einer Erbengemeinschaft in Vertretung der Miterben zuzurechnen ist. Der Verweis gilt gemäß § 205 Abs. 1 BewG i.d.F. vom 24.12.2008 für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2008. Der —für die Anwendung von § 48 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 FGO notwendige— Rückgriff auf § 183 der Abgabenordnung ( AO ) ist ausdrücklich in § 154 Abs. 3 Satz 1 BewG vorgesehen.

aa) § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO erklärt gegen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen die zur Vertretung berufenen Geschäftsführer oder, wenn solche nicht vorhanden sind, Klagebevollmächtigte i.S. des § 48 Abs. 2 FGO für klagebefugt. Wenn Personen nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht vorhanden sind, kann nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO jeder Mitberechtigte, gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte, Klage erheben.

bb) Wird der Gegenstand der Feststellung gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BewG einer Erbengemeinschaft zugerechnet, ist grundsätzlich jeder Miterbe nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO , gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte, klagebefugt, da bei einer Erbengemeinschaft zur Vertretung berufene Geschäftsführer nicht vorhanden sind (BFH-Urteil vom 27.11.2008 – IV R 16/06, BFH/NV 2009, 783 , unter II.1.a bb, m.w.N.), es sei denn, es ist ein Klagebevollmächtigter nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 und Abs. 2 FGO vorhanden.

c) Wenn gegen einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen von mehreren nach § 48 Abs. 1 FGO Klagebefugten nicht alle klagen, müssen die übrigen Klagebefugten mit Ausnahme solcher, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vom Ausgang des Rechtsstreits betroffen sein können, im Interesse der Herbeiführung einer notwendig einheitlichen Entscheidung zum Verfahren beigeladen werden (z.B. BFH-Urteil vom 07.06.2018 – IV R 11/16, BFH/NV 2018, 1156 , Rz 18; BFH-Beschluss vom 20.11.2018 – IV B 44/18, BFH/NV 2019, 120 , Rz 9). Zwischen der subjektiven Klagebefugnis in § 48 FGO und der notwendigen Beiladung besteht folglich eine zwingende wechselseitige Beziehung (BFH-Beschluss vom 19.10.2009 – VIII B 190/08, BFH/NV 2010, 224 , unter II.2.; Steinhauff in HHSp, § 48 FGO Rz 270, m.w.N.).

d) Bei einem Feststellungsbescheid werden die einzelnen Besteuerungsgrundlagen selbst Regelungsgegenstand dieses Steuerverwaltungsakts. Ein solcher Bescheid stellt sich demnach als Zusammenfassung einzelner Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen dar, die —soweit sie eine rechtlich selbständige Würdigung beinhalten und eines rechtlich selbständigen Schicksals fähig sind— auch als selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens in Betracht kommen (BFH-Urteil vom 27.04.1993 – VIII R 27/92, BFHE 171, 392 , BStBl II 1994, 3 , unter II.2.c cc, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 10.06.2008 – IV B 52/07, BFH/NV 2008, 1443 , II.1.b). Dabei enthält der einheitliche Feststellungsbescheid lediglich einen Verwaltungsakt, nicht —wie zusammengefasste Steuerbescheide (§ 155 Abs. 3 AO )— ein Bündel von Bescheiden. Es handelt sich um eine notwendig einheitliche Feststellung gegenüber allen Feststellungsbeteiligten (BFH-Urteil in BFHE 171, 392 , BStBl II 1994, 3 , unter II.3.c cc, m.w.N.; Steinhauff in HHSp, § 48 FGO Rz 20).

2. Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht die Beschwerdeführer zum Verfahren beigeladen.

a) Die Beschwerdeführer sind gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO klagebefugt. Denn für die Erbengemeinschaft ist kein Klagebevollmächtigter i.S. von § 48 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 FGO vorhanden.

aa) Inwieweit ein Testamentsvollstrecker klagebefugt ist (str., vgl. Immes in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 155 BewG Rz 8, Stand 01.05.2014; von Beckerath in Gosch, FGO § 40 Rz 205; Gluth, AO -StB 2002, 206 ; Tolksdorf/Simon, ErbStB 2008, 360; Halaczinsky/Volquardsen, ErbStB 2010, 274, 280), kann im Streitfall offenbleiben. Denn es fehlt jedenfalls ein spätestens bei Erlass der Einspruchsentscheidung gegenüber den Beschwerdeführern zu ergehender Hinweis über die Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten (§ 48 Abs. 2 Satz 3 FGO ); dies ist im Prozess von Amts wegen zu prüfen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 783 , unter II.1.b aa; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 48 FGO Rz 21).

Soweit das Formular der Feststellungserklärung eine Belehrung enthält, kann diese mangels Unterschrift nicht als hinreichend angesehen werden. Weil der Feststellungsbescheid vom 30.12.2015 nur dem empfangsbevollmächtigten Steuerberater, nicht jedoch der Klägerin und den Beschwerdeführern zugestellt wurde, wurden diese auch hier nicht auf die Wirkung der Bekanntgabe für und gegen alle Erben hingewiesen. Die Einspruchsentscheidung schließlich enthält gar keine Belehrung über die Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten; im Übrigen wurde sie ebenfalls nur dem Steuerberater zugestellt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 783 , unter II.1.b bb).

bb) Damit ist jeder Miterbe klagebefugt. Denn als Folge von § 48 Abs. 2 Satz 3 FGO greift bei einer fehlerhaften Belehrung § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO ein (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 48 FGO Rz 21, 24; Immes in Wilms/Jochum, a.a.O., § 154 BewG Rz 29, Stand 01.05.2014). Da die Beschwerdeführer keine Klage erhoben haben, waren sie gemäß § 60 Abs. 3 FGO am Verfahren zu beteiligen und notwendig beizuladen.

b) Die Einschränkung, dass eine notwendige Beiladung unterbleiben kann, wenn ein Klagebefugter unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt vom Klageverfahren betroffen sein kann, führt im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.

Der Bevollmächtigte trägt insoweit vor, dass die Miterben durch den niedrigeren Wert nicht betroffen seien, da es vorliegend um ein Vorausvermächtnis zugunsten der Klägerin gehe, und verweist auf die Einschätzung des Notars, der das Testament beurkundet hatte. Diese Rüge ist bisher weder im Verwaltungsverfahren noch im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen worden. Das FA hat das Grundstück im Feststellungsbescheid der Erbengemeinschaft zugerechnet und dabei den streitgegenständlichen Wert festgestellt. Die Klägerin hat den Bescheid nur hinsichtlich der Höhe des festgestellten Werts angefochten. Die Frage der Zurechnung hat sie nicht thematisiert. Es steht damit bindend fest, dass das Grundstück der Erbengemeinschaft in Vertretung der Miterben zuzurechnen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 02.11.2016 – VIII B 57/16, BFH/NV 2017, 266 , Rz 8). Die im finanzgerichtlichen Verfahren zu klärende Frage, mit welchem Wert das Grundstück anzusetzen ist, wirkt sich daher auf alle Miterben aus und kann nach dem Erlass des Feststellungsbescheids nur einheitlich entschieden werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Düsseldorf, vom 06.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 2333/16
Fundstellen
BFH/NV 2020, 912
FamRZ 2020, 1320
ZEV 2020, 515