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BFH - Entscheidung vom 30.09.2020

VI R 12/19

Normen:
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a, § 9 Abs. 4, § 9 Abs. 4a
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a
EStG § 9 Abs. 4
EStG § 9 Abs. 4a

Fundstellen:
BFH/NV 2021, 307

BFH, Urteil vom 30.09.2020 - Aktenzeichen VI R 12/19

DRsp Nr. 2021/511

Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen eines Postzustellers für Verpflegung Begriff der ersten Tätigkeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 4a S. 1 EStG

NV: Der Zustellpunkt (Zustellzentrum), dem ein Postzusteller zugeordnet ist und an dem er arbeitstäglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten (z.B. Sortiertätigkeiten, Abschreibpost, Abrechnungen) ausübt, ist erste Tätigkeitsstätte.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 03.05.2018 – 6 K 1031/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Normenkette:

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a , § 9 Abs. 4 , § 9 Abs. 4a ;

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr (2015) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als angestellter Postzusteller.

Der Kläger arbeitet seit 1995 bei der Deutschen Post. Zunächst war er als LKW-Fahrer tätig und wurde dann in gleicher Funktion nach Q versetzt. Im Jahr 1998 ließ er sich nach R versetzen, wo er am Zustellpunkt ... (Zustellpunkt R) seitdem tätig ist. Dort arbeitete er von Beginn an als Postzusteller. Seit dem Jahr 2003 ist er als sogenannter "fester Springer" für fünf Bezirke zuständig. Die Stammzusteller tragen an ihren fünf Arbeitstagen in ihrem festen Bezirk aus und der Kläger übernimmt sodann den durch die Fünf-Tage-Woche jeweils nicht abgedeckten sechsten Tag.

Der gewöhnliche Arbeitstag des Klägers sieht wie folgt aus: Die Kompaktbriefe kommen im Zustellpunkt R morgens vorsortiert aus dem Briefzentrum Q und werden so von den Zustellern zum Austragen übernommen. Großbriefe, Kataloge, Zeitschriften und Tageszeitungen kommen unsortiert. Sie werden ebenso wie die unsortierten Kompaktbriefe, die z.B. die Maschine nicht lesen konnte oder fehlgeleitet waren, von einem Teil der Zusteller des Zustellpunkts gemeinsam auf die einzelnen Zustellbezirke sortiert. Die Pakete kommen unsortiert auf Rollwägen aus dem Frachtzentrum S und werden von den übrigen Zustellern gemeinsam auf die Bezirke verteilt. Diese Verteilung sowohl der Briefe als auch der Pakete erfolgt nur grob auf die Bezirke. Im Anschluss steckt jeder Zusteller seine eigene auszutragende Post für die Runde "auf Gangfolge". Briefe, bei denen ein Nachsendeauftrag besteht, werden vorab aussortiert. Die Pakete werden von dem Zusteller im Postauto ebenfalls "auf Gangfolge" sortiert. Im Anschluss macht der Zusteller seine Runde. Nach der Zustellrunde macht der jeweilige Zusteller die Abschreibpost (Post, bei der der Adressat unbekannt, unbekannt verzogen oder verzogen ist) und Abrechnungen (z.B. für Nachnahmen, Nachentgelte oder Zollgebühren).

Die Vorarbeiten dauern ca. zwei Stunden, die Nacharbeiten circa 10 bis 15 Minuten.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrten die Kläger u.a. den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei Auswärtstätigkeit des Klägers mit einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden für 109 Tage. Der Zustellbezirk sei als weiträumiges Tätigkeitsgebiet und nicht als erste Tätigkeitsstätte anzusehen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht, sondern setzte im Einkommensteuerbescheid lediglich den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 1.000 € anstelle der unstreitigen Werbungskosten des Klägers in Höhe von 546 € an.

Gegen die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres legten die Kläger erfolglos Einspruch ein.

Das Finanzgericht (FG) wies die daraufhin erhobene Klage ab.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen,

das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 11.07.2017 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 07.06.2016 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere 854 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger im Streitjahr am Zustellpunkt R seine erste Tätigkeitsstätte hatte. Es hat deshalb zu Recht die vom Kläger geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen.

1. Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist gemäß § 9 Abs. 4a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale nach Maßgabe des Satzes 3 anzusetzen.

2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes ) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013 (BGBl I 2013, 285 ) neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte".

a) Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden (z.B. Senatsurteil vom 04.04.2019 – VI R 27/17, BFHE 264, 271 , BStBl II 2019, 536 , Rz 13, m.w.N.).

b) Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht (Senatsurteil vom 11.04.2019 – VI R 40/16, BFHE 264, 248 , BStBl II 2019, 546 , Rz 35).

c) Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll (z.B. Senatsurteil in BFHE 264, 271 , BStBl II 2019, 536 , Rz 17).

d) Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (Senatsurteile in BFHE 264, 271 , BStBl II 2019, 536 , Rz 18 f., und in BFHE 264, 248 , BStBl II 2019, 546 , Rz 25 f.).

e) Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.

aa) Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG , wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (Senatsurteil in BFHE 264, 271 , BStBl II 2019, 536 , Rz 21).

bb) Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt (Senatsurteil in BFHE 264, 271 , BStBl II 2019, 536 , Rz 22).

3. Nach diesen Maßstäben ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass der Zustellpunkt R im Streitjahr die erste Tätigkeitsstätte des Klägers war.

a) Bei dem Zustellpunkt R handelt es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Dienstherrn des Klägers. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Senat sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.

b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist er dem Zustellpunkt R dauerhaft zugeordnet.

aa) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO ) geht der Einsatz des Klägers dort auf eine Versetzung zurück. Diese wirkt auch jenseits des 31.12.2013 fort, so dass es keiner erneuten und insbesondere einkommensteuerrechtlichen Festlegung einer ersten Tätigkeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 4 EStG bedurfte. Vielmehr nimmt das neue —zum 01.01.2014 in Kraft getretene— steuerliche Reisekostenrecht die vorgefundenen arbeits- und dienstrechtlichen Festlegungen des Arbeitgebers auf.

bb) Diese Zuordnung erfolgte auch unbefristet. Denn die Zuordnung (Versetzung) an den Zustellpunkt R war weder kalendermäßig bestimmt noch ergab sich aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung eine Befristung. Vielmehr ist der Kläger dort auch nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO ) über viele Jahre hinweg tätig geworden. Auch führt die (jederzeitige) Möglichkeit einer Versetzung an einen anderen Zustellpunkt als solche noch nicht zu einer lediglich befristeten Zuordnung (Senatsurteil in BFHE 264, 248 , BStBl II 2019, 546 , Rz 34).

c) Schließlich ist der Kläger am Zustellpunkt R auch in dem erforderlichen Umfang tätig geworden. Als Postzusteller hatte er nach den bindenden Feststellungen des FG im Zustellpunkt R arbeitstäglich Tätigkeiten auszuführen, die ebenso zum Berufsbild eines Postzustellers gehören wie das Zustellen der Briefe an die Kunden der Deutschen Post im Zustellbezirk (z.B. Übernahme und erforderlichenfalls Vorsortierung der Kompaktbriefe, Vorsortierung von Großbriefen, Katalogen, Zeitschriften und Tageszeitungen, Vorbereitung des Handwagens für die Zustellrunde sowie Nacharbeiten nach der Zustellrunde, z.B. Abschreibpost und Abrechnungen). Das FG hat zutreffend darauf abgestellt, dass diese Tätigkeiten im Zustellpunkt R als ortsfester betrieblicher Einrichtung Teil der Berufstätigkeit eines Postzustellers sind.

4. Ein Ansatz der begehrten Mehraufwendungen für Verpflegung kommt daher nicht in Betracht. Der Kläger war nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO ) an den geltend gemachten Tagen nicht —wie § 9 Abs. 4a Sätze 2 und 3 Nr. 3 EStG voraussetzen— mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und dem Zustellpunkt R als erster Tätigkeitsstätte abwesend. Eine Abwesenheit von mehr als acht Stunden nur von der Wohnung reicht nach dem Gesetzeswortlaut nicht aus.

5. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob ein Zustellbezirk ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG ist, stellt sich im Streitfall damit nicht. Denn einer Antwort auf diese Frage bedarf es nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG nur, wenn der Steuerpflichtige —anders als der Kläger im Streitfall— über keine erste Tätigkeitsstätte verfügt.

Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (BTDrucks 17/10774, 13) und das Bundesministerium der Finanzen —BMF— (Schreiben vom 24.10.2014 – IV C 5–S 2353/14/10002, BStBl I 2014, 1412 , Rz 41) beispielhaft davon ausgehen, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG u.a. auf (Brief–/Post–)Zusteller anwendbar sein soll. Dass diese Berufsgruppe uneingeschränkt dem Anwendungsbereich der Norm unterfällt, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Bei der beispielhaften Erwähnung des (Brief–/Post–)Zustellers dürften der Gesetzgeber und das BMF vielmehr von einem anderen als dem im Streitfall bindend festgestellten Tätigkeitsbild eines Postzustellers ausgegangen sein.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Nürnberg, vom 03.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 1031/17
Fundstellen
BFH/NV 2021, 307