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BVerwG - Entscheidung vom 26.06.2019

4 AV 1.19

Normen:
VwGO § 154 Abs. 1
VwGO § 161 Abs. 2 S. 1

Fundstellen:
DVBl 2019, 1265

BVerwG, Beschluss vom 26.06.2019 - Aktenzeichen 4 AV 1.19

DRsp Nr. 2019/12197

Zuordnung der Kosten eines Privatgutachtens im Rahmen der Kostenfestsetzung zum Hauptsacheverfahren; Festsetzung der Gerichtskosten für die Feststellung der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses

Die Kosten eines Privatgutachtens betreffend die Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses sind weiterhin im Rahmen der Kostenfestsetzung dem Hauptsacheverfahren zuzuordnen, soweit das Privatgutachten sowohl für die Beurteilung des Eilverfahrens als auch des Hauptsacheverfahrens Bedeutung erlangen kann und ein spezifischer Bezug zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes fehlt.

Tenor

Der 4. Senat hält an seiner Auffassung fest, dass die Kosten eines Privatgutachtens betreffend die Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses im Rahmen der Kostenfestsetzung dem Hauptsacheverfahren zuzuordnen sind, wenn das Gutachten nicht einen spezifischen Bezug zum Eilverfahren besitzt (BVerwG, Beschluss vom 16. November 2006 - 4 KSt 1003.06 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 43).

Normenkette:

VwGO § 154 Abs. 1 ; VwGO § 161 Abs. 2 S. 1;

Gründe

Zwischen dem anfragenden und dem beschließenden Senat besteht Einigkeit hinsichtlich der Maßstäbe, nach denen zu beurteilen ist, ob die Kosten eines Privatgutachtens erstattungsfähig sind. Die Abweichung besteht in der Frage, nach welcher Kostengrundentscheidung die erstattungsfähigen Kosten eines Privatgutachtens verteilt werden, wenn sich das Privatgutachten - wie regelmäßig - zu Fragen der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses verhält, damit sowohl für die Beurteilung des Eilverfahrens als auch die Beurteilung des Hauptsacheverfahrens Bedeutung erlangen kann und ein spezifischer Bezug zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes fehlt.

1. Der 4. Senat geht in seinem Beschluss vom 16. November 2006 - 4 KSt 1003.06 - (Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 43 Rn. 10 ff.), ebenso Beschlüsse vom 19. August 2008 - 4 KSt 1001.08 - juris Rn. 3 und vom 6. Oktober 2009 - 4 KSt 1009.07 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 47 Rn. 8) davon aus, dass solche Kosten im Rahmen der Kostenfestsetzung dem Hauptsacheverfahren zuzuordnen sind. Die Gründe für diese Rechtsauffassung sind in dem Beschluss im Einzelnen dargelegt. Die Zuordnung beruht im Kern darauf, dass das Hauptsacheverfahren eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet, auch und gerade hinsichtlich der Beurteilung von privatgutachtlich substantiierten Einwendungen (a.a.O. Rn. 12). Wegen der weiteren Einzelheiten wird verwiesen. Auf Widerspruch im Schrifttum ist diese Rechtsauffassung - soweit ersichtlich - nicht gestoßen (vgl. Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO , 16. Aufl. 2014, § 162 Rn. 7 bei Fußn. 18; Kunze, in: BeckOK VwGO , Stand Januar 2019, § 162 Rn. 58d.3; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO , 5. Aufl. 2018, § 162 Rn. 32; W.-R. Schenke/Hug, in: Kopp/Schenke, VwGO , 24. Aufl. 2018, § 162 Rn. 8; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO , 15. Aufl. 2019, § 162 Rn. 8). Sie gilt auch für den Fall, dass etwaige im Vergleich zum Eilverfahren überschießende Klageanträge für die Streitwertfestsetzung keine oder nur eine zu vernachlässigende Rolle gespielt haben.

2. Die Kritik des 9. Revisionssenats überzeugt den beschließenden Senat nicht.

Die Bildung von Quoten im Verhältnis der Streitwerte trägt den schutzwürdigen Belangen eines Antragstellers nicht besser Rechnung. Sie kann sich auch zu seinen Lasten auswirken: Ergeht im Eilverfahren - etwa auf der Grundlage einer Folgenabwägung - eine für den Antragsteller ungünstige Kostengrundentscheidung, obsiegt er aber in der Hauptsache, müsste er nach der Auffassung des 9. Senats einen bestimmten Anteil - regelmäßig ein Drittel - seiner erstattungsfähigen Kosten von Privatgutachten selbst tragen. Dies erscheint nicht interessengerecht. Nach der Rechtsauffassung des 4. Senats käme es dagegen zu einer Kostenerstattung in voller Höhe.

Die Lösung des 9. Senats erschwert Verständigungen im Eilverfahren: Das Nachgeben eines Beteiligten, sei es die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde, sei es ein einstweiliger Verzicht des Vorhabenträgers auf Baumaßnahmen, sei es die Rücknahme eines Eilantrags, wäre durch die folgende Kostengrundentscheidung mit der Übernahme anteiliger Kosten für Privatgutachten verbunden. Dies zeigt der Fall anschaulich: Die Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin im Eilverfahren im Fall des 9. Senats beruhte ganz überwiegend auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO , nachdem die Behörde die Vollziehung weitgehend ausgesetzt und sich das Verfahren insoweit erledigt hatte (BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2017 - 9 VR 2.16 - juris Rn. 35). Die verbreitete Bereitschaft der Beteiligten, sich für den - regelmäßig überschaubaren - Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verständigen oder einstweilen nachzugeben, wird abnehmen, wenn sie mit der teilweisen Übernahme der Kosten von Privatgutachten sanktioniert wird.

Die vom 9. Senat genannten Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 - NVwZ 2017, 149 Rn. 20 und vom 12. Juli 2018 - 1 BvR 1401/18 - NVwZ 2018, 1466 Rn. 5) geben keinen Anlass, die Rechtsauffassung 4. Senats aufzugeben. Sie führen frühere Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum Prüfungsmaßstab des Eilverfahrens fort (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 <74 f.>), die bei Ergehen des Beschlusses vom 16. November 2006 - 4 KSt 1003.06 - (Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 43) bekannt waren. Der 4. Senat hat daher in seinem Beschluss bereits anerkannt, dass es aus Sicht eines verständigen Antragstellers einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entspricht, mit dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu den Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage und damit auch zur Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses vorzutragen (a.a.O. Rn. 7). Dies beantwortet aber nicht die Frage, nach welcher Kostengrundentscheidung erstattungsfähige Kosten von Privatgutachten verteilt werden, die sowohl für das Haupt- als auch für das Eilverfahren eingeholt und vorgelegt worden sind.

3. Praktische Bedeutung hat die aufgeworfene Rechtsfrage nur, wenn die Kostengrundentscheidungen im Eilverfahren und im Hauptsacheverfahren voneinander abweichen.

Eine Abweichung kann bei streitiger Entscheidung der Hauptsache darauf beruhen, dass im Eilverfahren nicht nach den voraussichtlichen Erfolgsaussichten, sondern aufgrund einer Folgenabwägung entschieden worden ist. Denkbar ist auch, dass die Kostengrundentscheidung im Eilverfahren nicht § 154 Abs. 1 VwGO folgt, sondern dem Nachgeben eines Beteiligten, etwa weil ein Eilantrag zurückgenommen worden ist (§ 155 Abs. 2 VwGO ) oder sich das Eilverfahren durch Stillhaltezusagen der Behörde oder des Vorhabenträgers erledigt (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO ). In solchen Fällen liegt es jedenfalls nicht nahe, die Kosten des Privatgutachtens anteilig der Kostengrundentscheidung des Eilverfahrens zuzuordnen, obwohl es für diese Entscheidung auf die gutachtlich gestützten Einwände nicht ankam.

Eine Abweichung der Kostengrundentscheidungen von Hauptsache- und Eilverfahren kann auch darauf beruhen, dass der Entscheidung im Eilverfahren eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten zugrunde liegt, die sich im Hauptsacheverfahren nicht bestätigt. Auch in diesem Fall ist es sachgerecht, die Kostengrundentscheidung des Hauptsacheverfahrens wegen dessen höherer Richtigkeitsgewähr für maßgeblich zu halten.

Fundstellen
DVBl 2019, 1265