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BVerwG - Entscheidung vom 29.04.2019

8 B 11.19

Normen:
StUG § 21 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 29.04.2019 - Aktenzeichen 8 B 11.19

DRsp Nr. 2019/8931

Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen i.R.e. beruflichen Rehabilitation eines Kraftfahrers durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers wegen des Ausreiseantrags

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 22. März 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

StUG § 21 Abs. 1 Nr. 1; VwGO § 86 Abs. 1 ; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Der Kläger begehrt seine Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz ( BerRehaG ).

Er war seit 1976 als Kraftfahrer bei dem VEB G. beschäftigt. 1983 beantragte er die Ausreise aus der DDR. Seit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 15. Februar 1985 bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland am 28. Mai 1986 war der Kläger arbeitslos. Zur Begründung seines Antrags auf berufliche Rehabilitierung für den Zeitraum der Arbeitslosigkeit machte er geltend, sein Arbeitsverhältnis sei seitens des Arbeitgebers wegen des Ausreiseantrags gekündigt worden. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, es liege kein Eingriff des Arbeitgebers in die ausgeübte berufliche Tätigkeit vor, weil der Kläger das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt und diese Kündigung in keinem zeitlichen Zusammenhang mit seinem Ausreiseantrag gestanden habe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers, die eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht und Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat keinen Erfolg.

1. Der Kläger legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar. Dazu hätte er eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen müssen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme. Das leistet die Beschwerdebegründung nicht.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage,

inwiefern die Akten des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) in Verfahren nach dem BerRehaG herangezogen werden können,

bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Ihre Antwort ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz - StUG). Danach dürfen die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen zwar nur zu den gesetzlich bestimmten Zwecken verwendet werden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 4 Abs. 1 Satz 1 StUG). § 21 Abs. 1 Nr. 1 StUG sieht jedoch ausdrücklich vor, dass Unterlagen, soweit sie personenbezogene Informationen über Betroffene oder Dritte enthalten, in dem erforderlichen Umfang für den Zweck der Rehabilitierung von Betroffenen verwendet werden dürfen. Dabei ist der Begriff der Rehabilitierung in einem weiten Sinne gemeint (vgl. BT-Drs. 12/723 S. 24). Er umfasst auch die Rehabilitierung nach dem hier einschlägigen Beruflichen Rehabilitierungsgesetz. Danach dürfen die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in dem durch § 21 Abs. 1 Nr. 1 StUG bestimmten Rahmen im beruflichen Rehabilitierungsverfahren herangezogen werden. Der Einwand des Klägers, damit werde in Kauf genommen, dass rechtswidrig zustande gekommener oder wahrheitswidriger Akteninhalt zur Grundlage verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen gemacht werde, lässt außer Acht, dass der Inhalt der im Rehabilitierungsverfahren herangezogenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes einer eigenständigen gerichtlichen Würdigung unterliegt. Eine solche hat das Verwaltungsgericht auch vorgenommen. Soweit es seine Überzeugung, der Kläger habe sein Arbeitsverhältnis selbst gekündigt, unter anderem auf einen Bericht des Staatssicherheitsdienstes vom 14. Januar 1986 gestützt hat, ist es davon ausgegangen, dass es sich bei diesem Bericht um ein nur für den internen Gebrauch des Staatssicherheitsdienstes bestimmtes Dokument gehandelt habe und dass solche Dokumente im Regelfall keine absichtlichen Unwahrheiten zur Täuschung enthalten hätten (UA S. 13).

2. Das angegriffene Urteil leidet auch nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln.

a) Die Ablehnung des Beweisantrags mit dem Ziel, ein weiteres Gutachten zu der Frage einzuholen, ob die beiden Schreiben von 31. Januar 1985 und vom 11. Februar 1985 auf der Schreibmaschine des Klägers erstellt worden waren, war nicht verfahrensfehlerhaft. Liegt zu einer erheblichen Tatsache bereits ein Gutachten vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO . Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es das vorliegende Gutachten für ungenügend erachtet. Ungenügend ist ein Gutachten insbesondere dann, wenn es erkennbare Mängel aufweist, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend ist, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2013 - 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 110 Rn. 4). Eine Pflicht des Gerichts zur Einholung eines weiteren Gutachtens besteht hingegen nicht schon allein deshalb, weil ein Beteiligter die bisher vorliegenden Erkenntnisquellen im Ergebnis für unzutreffend hält (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - [insoweit in Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 16 nicht abgedruckt] juris Rn. 47).

Nach diesem Maßstab war die Ablehnung des Beweisantrags nicht verfahrensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung ohne Verstoß gegen § 86 Abs. 2 VwGO sowohl in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 4 der Sitzungsniederschrift vom 22. März 2018) als auch in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils (UA S. 11) begründet. Es hat das Gutachten des Gutachters D. nicht für ungenügend gehalten und den vom Kläger erhobenen Einwand, der Sachverständige habe nur den Briefkopf, nicht aber die mit der Schreibmaschine erstellten Briefe mit den Vergleichsschreiben verglichen, als unzutreffend zurückgewiesen. Dass durch ein weiteres Gutachten zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen seien, hat es für tatsächlich nicht möglich gehalten. Der Kläger kritisiert diese Bewertung und stellt ihr seine eigene, hiervon abweichende Auffassung sowie die bloße Behauptung entgegen, ein anderer Sachverständiger wäre möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt. Damit zeigt er keinen Verfahrensmangel des angegriffenen Urteils auf. Ebenso wenig hat das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der Tatsache, ob das Kündigungsschreiben mit der Schreibmaschine des Klägers verfasst worden sein könnte, verkannt. Die darauf bezogene gerichtliche Beweiserhebung lässt im Gegenteil erkennen, dass die Vorinstanz dieser Tatsache entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat. Schließlich legt der Kläger nicht dar, dass die Ablehnung seines Beweisantrags von objektiver Willkür geprägt sein könnte; dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.

b) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO lässt sich der Beschwerdebegründung ebenfalls nicht entnehmen. Der Kläger macht geltend, das angegriffene Urteil gehe von einem falschen Sachverhalt aus, weil es annehme, die beiden Kündigungsschreiben vom 31. Januar 1985 und vom 11. Februar 1985 stammten vom ihm, obwohl die eingeholten Sachverständigengutachten kein Ergebnis erbracht hätten. Damit greift er die Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz an. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind jedoch regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Sie können daher grundsätzlich keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2019 - 8 B 8.19 - juris Rn. 9). Anhaltspunkte für einen möglichen Ausnahmefall einer gegen Denkgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung zeigt der Kläger nicht auf; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Der sinngemäß erhobene Vorwurf, das Gericht habe Beweisregeln missachtet, ist nicht berechtigt. Nach § 108 Abs. 1 VwGO hat das Gericht eine Gesamtwürdigung des Prozessstoffs vorzunehmen. Danach hinderte die Unergiebigkeit der Sachverständigengutachten es nicht, aufgrund der übrigen Beweismittel und Indizien von einer Urheberschaft des Klägers auszugehen.

c) Der Kläger legt eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht dar. Er rügt, die Vorinstanz habe nicht endgültig aufgeklärt, ob die beiden Kündigungsschreiben von ihm stammten; hierzu hätte das Gericht ein Ergänzungsgutachten zum Gutachten des Sachverständigen D. einholen müssen. Wie dargelegt, hat das Verwaltungsgericht die vom Kläger beantragte Einholung eines Ergänzungsgutachtens verfahrensfehlerfrei abgelehnt (vgl. oben 2. a). Da es die Erlangung zusätzlicher Erkenntnisse durch ein Ergänzungsgutachten über die bereits vorliegenden Gutachtenergebnisse hinaus für tatsächlich unmöglich gehalten hat, mussten sich dem Verwaltungsgericht nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung die vom Kläger vermissten weiteren Ermittlungen nicht aufdrängen.

d) Schließlich bezeichnet der Vortrag des Klägers, das Verwaltungsgericht habe missachtet, dass er im Besitz eines Ersatz-Personalausweises "PM-12" gewesen sei, keinen Verfahrensmangel. Der Kläger legt insoweit keinen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 oder 2 VwGO dar, sondern kritisiert allein die materiell-rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts, das den Vortrag des Klägers zu seiner behaupteten politischen Verfolgung als nicht glaubhaft bewertet hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Meiningen, vom 22.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 99/14