Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 23.08.2019

9 B 37.19

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 60 Abs. 2 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2
VwGO § 133 Abs. 2 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 23.08.2019 - Aktenzeichen 9 B 37.19

DRsp Nr. 2019/15940

Unzulässigkeit einer nicht fristgerecht eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde; Ausschluss der Auslegung der Anhörungsrüge als Nichtzulassungsbeschwerde; Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. September 2015 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 693,22 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; VwGO § 60 Abs. 1 ; VwGO § 60 Abs. 2 S. 4; VwGO § 108 Abs. 2 ; VwGO § 133 Abs. 2 S. 1;

Gründe

1. Die Beschwerde ist unzulässig, denn der Kläger hat sie nicht innerhalb der - in der Rechtsmittelbelehrung des Berufungsurteils ordnungsgemäß bezeichneten - Frist des § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingelegt.

Die Einlegung eines Rechtsmittels ist bedingungsfeindlich (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 18. Juni 1980 - 3 CB 73.78 - Buchholz 427.207 § 1 7. FeststellungsDV Nr. 44 und vom 9. Februar 2005 - 6 B 75.04 - juris Rn. 5). Daran gemessen kann die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers durch Schriftsatz vom 7. Oktober 2015 erhobene Anhörungsrüge mit dem Antrag, "unter Aufhebung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts (...) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts (...) abzuweisen, hilfsweise die Revision (...) zuzulassen", nicht als unbedingte und damit wirksame Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde angesehen werden.

Zwar bedürfen Unklarheiten, insbesondere auch im Zusammenhang mit einer der Rechtsmittelerklärung etwa beigefügten Bedingung, einer zweckentsprechenden Auslegung. Für einen Rechtsanwalt gelten dabei aber strengere Anforderungen als für eine anwaltlich nicht vertretene Partei. Danach ist die Auslegung der sogenannten Anhörungsrüge als Nichtzulassungsbeschwerde hier ausgeschlossen.

So hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 7. Oktober 2015 eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er eine Nichtzulassungsbeschwerde - trotz seines Vorwurfs, das Gericht habe entscheidungserhebliches Vorbringen unberücksichtigt gelassen und damit das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt - für unzulässig hielt, da es sich bei dem Berufungsurteil um eine "Entscheidung über kommunales Recht" handele. In dem Schriftsatz heißt es weiter, das Berufungsgericht selbst hätte allerdings, wenn es seine Fehler erkannt hätte, die Revision gegen sein Urteil zugelassen, was "im Wege der Anhörungsrüge auch noch nachträglich erfolgen" könne. Noch nach der Verwerfung der Anhörungsrüge unter Hinweis auf § 133 VwGO (Beschluss des Berufungsgerichts vom 21. Oktober 2015) hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit seiner Gegenvorstellung vom 16. November 2015 darauf beharrt, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde im vorliegenden Fall unstatthaft sei und eine Partei nicht darauf verwiesen werden könne, zunächst ein unzulässiges Rechtsmittel und erst nach dessen Verwerfung eine Anhörungsrüge zu erheben.

Wollte mithin der anwaltlich vertretene Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde seinerzeit ausdrücklich nicht einlegen, hat sie diesen Entschluss erst mit seinem als "Verzögerungsrüge" bezeichneten Schriftsatz vom 17. Juli 2019 - mithin außerhalb der Beschwerdefrist - korrigiert.

Dem Kläger kann auch nicht nach § 60 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Er hat die nicht wirksam erhobene Nichtzulassungsbeschwerde nicht innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses nachgeholt (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 und Satz 3 VwGO ). Das Hindernis ist spätestens mit der Kenntnisnahme des Beschlusses vom 21. Oktober 2019 entfallen, durch den die Anhörungsrüge im Hinblick auf die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wurde. Der Kläger hat daraufhin jedoch nicht innerhalb von zwei Wochen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil vom 15. September 2015 eingelegt. Vielmehr hat er - wie erwähnt - ausschließlich Gegenvorstellungen gegen den Beschluss vom 21. Oktober 2019 erhoben.

2. Unabhängig davon erfüllt das schriftsätzliche Vorbringen des Klägers, soweit es innerhalb der Frist für die Begründung einer etwaigen Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO ) eingegangen ist, nicht die Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) durch Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist allerdings nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Nur wenn besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen, dass es Ausführungen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Zur Begründung einer diesbezüglichen Beschwerde ist darzulegen, welches Vorbringen (angeblich) nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen wurde, inwiefern sich dies aus der Urteilsbegründung ergibt und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das übergangene Vorbringen auf der Grundlage des materiellen Rechtsstandpunkts des Berufungsgerichts zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 30 f.). Daran fehlt es hier.

a) Im Hinblick auf die umstrittene Vergütung von Mehrkosten für einen aufwendigeren Straßenausbau "wegen der Art des Gemeingebrauchs durch einen anderen" oder "aus anderen Gründen auf Veranlassung eines anderen" (§ 16 Abs. 1 und 2 StrG LSA) macht der Kläger geltend, die Kosten der Veränderung einer Grundstückszufahrt aus rein ästhetischen Gründen könnten nicht vergütungspflichtig sein. Mit seiner diesbezüglichen Argumentation, auf der ihrem Grundstück zugewandten Straßenseite hätte es bei den früher vorhandenen Betonplatten verbleiben können, zumal auf der gegenüberliegenden Straßenseite keine eigenen Grundstückszufahrten angelegt worden seien, hat sich das Oberverwaltungsgericht aber auseinandergesetzt (UA S. 12 sowie S. 14 f.). Auf den Umstand, dass die Zuwegungen zu den Eingangspforten der Anliegergrundstücke aus anderem Material bestehen sollen als die Zufahrten, kam es nach dem Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts nicht an. Denn dieses hat für seine Bewertung, die alten Betonplatten hätten einen störenden Fremdkörper dargestellt, auf die einheitliche Gestaltung der Parkflächen und der Zufahrten abgestellt (a.a.O.).

b) Auf die von dem Kläger angesprochene Frage, ob es sich in Wahrheit um eine nicht erstattungsfähige Wiederherstellungsmaßnahme nach Leitungsarbeiten gehandelt habe, ist das Oberverwaltungsgericht ebenfalls eingegangen: Aus der Tatsache, dass im Zuge des Straßenausbaus zugleich Leitungen für die Straßenentwässerung und -beleuchtung verlegt worden seien, könne der Kläger nichts herleiten. Denn diese Maßnahmen seien allein deshalb im Zuge des Straßenausbaus vorgenommen worden, um die Straße nicht später erneut aufreißen zu müssen, was mit zusätzlichen Belastungen für die Anlieger verbunden gewesen wäre (UA S. 14). Auf die Überlegung, wie sich die Vergütungspflicht gestaltet hätte, wenn die Beklagte die Zufahrten bei dem hier strittigen Straßenausbau unverändert gelassen und die Leitungen erst später verlegt hätte, kam es nach der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht an.

c) Auch das Argument, die Beklagte habe in einer Anliegerversammlung durch ihren Bürgermeister zunächst mündlich und anschließend über ihr offizielles Verkündungsblatt nochmals schriftlich den Anliegern zugesichert, für sie entstünden durch die aufwendiger gestalteten Parkflächen aus Kopfsteinpflaster keine Kosten, ist in dem Urteil nicht unberücksichtigt geblieben. Aus der materiell rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts war für eine wirksame Zusicherung die Schriftform entscheidend, an der es hier aus näher dargelegten Gründen gefehlt habe (UA S. 16). Das Schreiben der Verwaltungsgemeinschaft B. vom 22. August 2001, das der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat (GA S. 110 ff.) und auf das er sich in seinem ergänzenden Schriftsatz vom 19. Oktober 2015 erneut gestützt hat, enthält ersichtlich keine konkrete Zusicherung, sondern eine allgemein gehaltene beispielhafte Aussage zum Straßenbaubeitragsrecht. Der Umstand, dass das Gericht jenes Schriftstück unerwähnt gelassen hat, deutet für sich genommen weder auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör noch der Amtsaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO ) hin.

d) Das Berufungsgericht hat auch näher begründet, warum seiner Auffassung nach fiktive Kosten, die ohne die Anlegung von Zufahrten entstanden wären, nicht von dem Vergütungsanspruch abzuziehen sind (UA S. 13). Der Kläger meint zwar, die Vorinstanz habe auch von ihrem Standpunkt aus berücksichtigen müssen, dass Kosten für die Befestigung des Untergrundes unabhängig vom Vorhandensein einer Zufahrt tatsächlich entstanden seien und daher allenfalls über Straßenausbaubeiträge hätten abgerechnet werden dürfen. Wieso sich dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen, dass der Untergrund mit oder ohne Zufahrt in gleicher Weise zu befestigen war, legt die Beschwerde aber nicht dar.

e) Den Umstand, dass Teile der Zufahrt zum Grundstück des Klägers außer von ihm auch von den Benutzern der angrenzenden Parkflächen zum Ein- und Aus-parken in Anspruch genommen werden, hat das Berufungsgericht ebenfalls gewürdigt (UA S. 14), aber nicht für entscheidungserheblich gehalten.

f) Ebenso wenig übergangen hat es den Einwand des Klägers, die umstrittene Zufahrt zu seinem Grundstück sei Bestandteil der öffentlichen Straße, sodass (allenfalls) eine Ausbaubeitragspflicht zulasten aller Anlieger, aber nicht eine Vergütungspflicht allein zu seinen Lasten bestehen könne. Nach der materiellen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts setzt die Erstattungsregelung des § 16 StrG LSA gerade eine Benutzung bestimmter an die Grundstücke angrenzender Teile der öffentlichen Straße im Rahmen des Anliegergebrauchs voraus (UA S. 11) und geht insoweit der Beitragspflicht vor. Die inhaltliche Kritik des Klägers daran begründet keinen Gehörsverstoß.

g) Was schließlich die Höhe des streitgegenständlichen Vergütungsanspruchs betrifft, hat sich das Berufungsgericht mit dem Einwand beschäftigt, die Beklagte habe Kosten für tatsächlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet. Dabei geht es dem Kläger um angebliche Transportkosten für die ausgebauten und später wiederverwendeten Pflastersteine zum Bauhof und zurück, obwohl die Steine tatsächlich in der Nähe zwischengelagert worden seien. Das Oberverwaltungsgericht hat dazu die näher begründete Feststellung getroffen, dass es für die Höhe des Entgelts auf die Länge des Transportweges nicht angekommen sei (UA S. 16). Dass der Kläger dies für unplausibel hält, rechtfertigt nicht den Vorwurf, ihm sei das rechtliche Gehör versagt geblieben. Das Gleiche gilt für den Vorwurf, die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass die auf die Verwendung von Natursteinpflaster beruhende Kostensteigerung unangemessen sei. Das Berufungsgericht hat sich mit diesem Einwand auseinandergesetzt, aber auf das planerische Ermessen der Beklagten sowie darauf abgestellt, dass gebrauchtes Material wiederverwendet worden sei (UA S. 15).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 15.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 2 L 90/13