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BVerwG - Entscheidung vom 27.11.2019

9 C 4.19

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1

Fundstellen:
BVerwGE 167, 137
DVBl 2020, 634
DÖV 2020, 490
NVwZ 2020, 1357

BVerwG, Urteil vom 27.11.2019 - Aktenzeichen 9 C 4.19

DRsp Nr. 2020/3435

Streit um eine Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer; Unvereinbarkeit des Steuermaßstabs der "indexierten Jahresrohmiete" mit dem allgemeinen Gleichheitssatz; Gesamtnichtigkeit der Steuermaßstabsnorm; Keine Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung; Grenzen einer Teilbarkeit von Geldleistungsverwaltungsakten im Berufungszulassungsverfahren

1. Eine Zweitwohnungssteuer kann nicht anhand der auf den 1. Januar 1964 festgestellten Jahresrohmiete bemessen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvR 807/12 u.a. -).2. Verwaltungsgerichte sind grundsätzlich nicht befugt, eine zeitlich befristete Fortgeltung rechtswidriger Satzungsbestimmungen anzuordnen.3. Ist eine vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung der Berufungszulassung im Anfechtungsprozess wegen Unteilbarkeit des Streitgegenstands unwirksam, kann der Anspruch auf vollständige Aufhebung der Bescheide Gegenstand des Revisionsverfahrens werden.4. Zu den Grenzen einer Teilbarkeit von Geldleistungsverwaltungsakten im Berufungszulassungsverfahren.

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ;

[Tatbestand]

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2014 und 2015. Sie lebt in H. Im Gebiet der Beklagten ist sie seit August 2013 Eigentümerin eines Hauses, das sie für sich und ihre Familie nutzt.

Die Beklagte erhebt eine Zweitwohnungssteuer auf der Grundlage ihrer Zweitwohnungssteuersatzung vom 30. Juni 2000, in den streitgegenständlichen Jahren in der Fassung der 3. bzw. 4. Nachtragssatzung (ZwStS). Die Steuer bemisst sich gemäß § 4 Abs. 1 ZwStS nach dem Mietwert der Wohnung. § 4 Abs. 2 bis 4 ZwStS lauten:

(2) Als Mietwert gilt die Jahresrohmiete. Die Vorschriften des § 79 des Bewertungsgesetzes in Fassung vom 26. September 1974 (BGBl. I S. 2370 ff.) finden mit der Maßgabe Anwendung, dass die Jahresrohmieten, die gemäß Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl. I S. 851 ) vom Finanzamt auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01. Januar 1964 festgestellt wurden, jeweils für das Erhebungsjahr auf den September des Vorjahres hochgerechnet werden.

Die Hochrechnung gibt die statistische Steigerung der Wohnungsmieten in der Zeit vom 01.01.1964 bis zum 30.09. des dem jeweiligen Erhebungszeitraum vorausgehenden Jahres wieder. Grundlage für die Berechnung des Hochrechnungsfaktors bis zum Monat Januar 1995 ist die Steigerung der Wohnungsmieten nach dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte im früheren Bundesgebiet, der vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wurde (Bruttokaltmieten, Reihe Wohnungsmiete insgesamt). Ab Januar 1995 erfolgt die Hochrechnung entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten (Nettokaltmiete, Reihe Nettokaltmiete insgesamt) aus dem Verbraucherpreisindex für Deutschland, der vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht wird.

(3) Ist eine Jahresrohmiete nicht zu ermitteln, so tritt an die Stelle des Mietwertes nach Abs. 2 die übliche Miete im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes .

(4) Ist die übliche Miete nicht zu ermitteln, so treten an deren Stelle sechs v.H. des gemeinen Wertes der Wohnung. Die Vorschrift des § 9 des Bewertungsgesetzes findet entsprechende Anwendung.

Mit Bescheiden vom 8. Januar 2014 bzw. 7. Januar 2015 setzte die Beklagte eine Vorauszahlung für das Jahr 2014 in Höhe von 1 002,32 € bzw. für das Jahr 2015 in Höhe von 1 100,10 € fest, und zwar jeweils auf der Grundlage einer vom zuständigen Finanzamt ermittelten Jahresrohmiete von 3 065,00 DM zum 1. Januar 1964. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies sie zurück. Das Verwaltungsgericht wies die beiden miteinander verbundenen Klagen ab.

Das Oberverwaltungsgericht ließ die Berufung in Höhe von 130,49 € für das Jahr 2014 und in Höhe von 143,22 € für das Jahr 2015 zu. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin habe die Nichtigkeit des in der Satzung verwendeten Steuermaßstabs erst außerhalb der Frist zur Darlegung der Zulassungsgründe geltend gemacht. Unbeschadet dessen seien ernstliche Zweifel an der zutreffenden Ermittlung der Jahresrohmiete dargetan, soweit bei dem dazu anzuwendenden Mietspiegel der Oberfinanzdirektion Kiel von August 1967 eine unrichtige Ortsklasse angewendet worden sei. Die im Zulassungsverfahren angeforderte Vergleichsberechnung habe ergeben, dass die Zweitwohnungssteuer bei Einordnung in die richtige Ortsklasse entsprechend niedriger ausfalle.

Die Klägerin beantragte im Berufungsverfahren weiterhin die Aufhebung der Bescheide in vollem Umfang; die Beschränkung der Zulassung der Berufung sei unwirksam, weil der jeweilige Jahressteuerbescheid nicht teilbar sei.

Mit Urteil vom 30. Januar 2019 verwarf das Oberverwaltungsgericht die Berufung im Umfang der Nichtzulassung als unzulässig und hob im Übrigen die angefochtenen Bescheide auf. Zur Begründung stützte sich das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf das inzwischen zur Grundsteuer ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 u.a. - (BVerfGE 148, 147 ) darauf, dass der in der Satzung geregelte Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete, der auf die Wertverhältnisse des Jahres 1964 abstelle, inzwischen zu gravierend ungleichen und mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbaren Steuerbelastungen führe. Die Revision der Beklagten zur Frage der Gültigkeit des Steuermaßstabs wurde zugelassen.

Mit Beschluss vom 18. Juli 2019 (- 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 -) erkannte das Bundesverfassungsgericht zu den Zweitwohnungssteuersatzungen zweier bayerischer Gemeinden, dass die Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach dem Maßstab einer auf den 1. Januar 1964 festgestellten Jahresrohmiete mit dem Grundsatz der Lastengleichheit bei der Besteuerung nicht vereinbar und seit dem Jahr 2009 verfassungswidrig ist. Gleichzeitig ordnete die Kammer für die von den dortigen Verfassungsbeschwerden betroffenen Steuersatzungen deren Fortgeltung bis zum 31. März 2020 an.

Zur Begründung ihrer Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, selbst unter der Prämisse der Unwirksamkeit der angegriffenen Satzungsregelungen seien die angegriffenen Bescheide nicht aufzuheben. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch die Verwaltungsgerichte seien zur übergangsweisen Anordnung der Fortgeltung für eine kommunale Satzung berechtigt und in Ausnahmefällen verpflichtet. Ohne eine übergangsweise Fortgeltungsanordnung seien große Einnahmeausfälle zu erwarten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Januar 2019 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 5. April 2016 zurückzuweisen, soweit sie nicht verworfen worden ist.

Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt und beantragt,

die Revision zurückzuweisen

sowie unter Abänderung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Januar 2019 sowie des Urteils des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 5. April 2016 die Vorauszahlungsbescheide der Beklagten auf die Zweitwohnungssteuer vom 8. Januar 2014 und vom 7. Januar 2015, jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide, in vollem Umfang aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von weiteren 1 828,71 € zu zahlen, und sie zu verpflichten, hierfür nach § 238 AO berechnete Prozesszinsen ab dem 3. Juni 2014 für weitere 871,83 € und ab dem 4. Februar 2015 für weitere 956,88 € jeweils bis zum Tag der Erstattung festzusetzen.

Sie macht geltend, ihre Berufung sei unter Verstoß gegen § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO teilweise verworfen worden. Die Berufung sei mangels Teilbarkeit der Jahressteuerbescheide als insgesamt zugelassen anzusehen. Die Anschlussrevision müsse in der Sache Erfolg haben, weil die Verwaltungsgerichte nicht zur Anordnung der Fortgeltung einer verfassungswidrigen Satzungsgrundlage befugt, vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet seien, Bescheide aufzuheben, die auf keine gültige Satzungsgrundlage gestützt werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussrevision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Sie meint, die Anschlussrevision sei unzulässig. Die Berufung sei zu Recht im Umfang ihrer nicht erfolgten Zulassung verworfen worden. Eine summenmäßige Beschränkung der Berufungszulassung sei statthaft.

[Entscheidungsgründe]

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet (1.), die Anschlussrevision der Klägerin hat hingegen Erfolg (2.).

1. Das Oberverwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide - soweit es die Berufung der Klägerin für zulässig hielt - ohne Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO ) aufgehoben. Die Bescheide können nicht auf die Zweitwohnungssteuersatzung der Beklagten gestützt werden, weil § 4 ZwStS insgesamt und insbesondere der in § 4 Abs. 2 und 3 ZwStS geregelte Steuermaßstab der "indexierten Jahresrohmiete" mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist (a); eine Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung kommt nicht in Betracht (b).

a) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt stets auch eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage. Der Normgeber hat für die Wahl der Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen großen Spielraum, solange diese nur prinzipiell dazu geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen (stRspr des BVerfG, vgl. Urteil vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 - BVerfGE 148, 147 Rn. 96 ff.; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 29, jeweils m.w.N.).

Bei der Bemessung einer Zweitwohnungssteuer nach der auf den 1. Januar 1964 festgestellten Jahresrohmiete gemäß § 79 BewG kommt es durch erhebliche Wertverzerrungen zu Ungleichbehandlungen, die vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sind. Da die Verwendung dieses Maßstabs ganz generell keine realitätsnahe und relationsgerechte Bewertung mehr ermöglicht, können jedenfalls seit dem Jahr 2009 weder das Ziel der Verwaltungsvereinfachung noch Gründe der Typisierung und Pauschalierung die Verwendung des Maßstabs rechtfertigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 32 f.).

Bei diesem auch von der Beklagten verwendeten Steuermaßstab werden seit 1964 veränderte Ausstattungsstandards von Gebäuden ebenso wenig berücksichtigt wie Veränderungen der Lage oder verkehrlichen Anbindung von Grundstücken. Dies führt dazu, dass mit diesem Steuermaßstab der durch das Halten einer Zweitwohnung betriebene Aufwand nicht bei allen Zweitwohnungsinhabern gleichmäßig abgebildet wird, sondern erhebliche Wertverzerrungen auftreten, die eine gleichheitsgerechte Erhebung der Zweitwohnungssteuer verhindern. Die Wertverzerrungen werden nicht durch die Hochrechnung der Jahresrohmiete entsprechend dem Preisindex der Lebenshaltung für Wohnungsmieten ausgeglichen, vielmehr wird die ungleiche Behandlung unterschiedlicher Zweitwohnungsinhaber im Gemeindegebiet durch die Hochrechnung perpetuiert (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2019 - 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 - juris Rn. 32 und 34 f.). Das Berufungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass der Beklagten andere als zulässig anerkannte und hinreichend praktikable Steuermaßstäbe wie die tatsächlich gezahlte bzw. die ortsübliche Miete für vergleichbare Objekte zur Verfügung stehen.

In Übereinstimmung mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht weiter angenommen, dass der Gleichheitsverstoß der Regelung in § 4 Abs. 2 ZwStS zur Gesamtnichtigkeit der Steuermaßstabsnorm führt. Ohne den in § 4 Abs. 2 ZwStS normierten Primärmaßstab fehlt den Ersatzmaßstäben in den Absätzen 3 und 4 der Bezug, da sie kein inhaltlich sinnvolles, anwendbares Regelwerk darstellen und der Satzungsgeber diese Regelungen nicht ohne den nichtigen Teil erlassen hätte.

b) Zu Recht hat es das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, eine zeitlich befristete Fortgeltung der verfassungswidrigen Satzung anzuordnen. Die Verwaltungsgerichte sind zu einer derartigen Fortgeltungsanordnung grundsätzlich nicht befugt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 BvL 4/11 u.a. - BVerfGE 150, 204 Rn. 70 zur entsprechenden Frage nach Nichtigerklärung eines Parlamentsgesetzes; BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - 9 CN 1.09 - BVerwGE 137, 123 Rn. 29 zum Normenkontrollverfahren). Sie sind vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet, angefochtene Steuerbescheide aufzuheben, wenn diese keine Grundlage in einer gültigen Satzung finden und deshalb die Steuerschuldner in ihren Rechten verletzen (BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 1995 - 8 B 193.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8 und vom 10. Februar 2000 - 11 B 54.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9 S. 20). Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen "Notstand" zur Folge hätte, könnte etwas anderes gelten (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - 9 CN 1.09 - BVerwGE 137, 123 Rn. 29; Beschluss vom 27. Juli 2010 - 9 B 109.09 - juris Rn. 8). Von einem derartigen Notstand kann hier ersichtlich keine Rede sein. Einen darüber hinaus gehenden Spielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen verfassungswidriger Satzungsbestimmungen hat der Gesetzgeber den Verwaltungsgerichten nicht eingeräumt. Das Bundesverfassungsgericht stützt seine Praxis auf die speziellen Regelungen in § 31 Abs. 2 , § 79 Abs. 1 BVerfGG (s. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 BvL 4/11 u.a. - BVerfGE 150, 204 Rn. 108), die in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Entsprechung finden.

Es besteht hier auch kein Grund dafür, einem durch die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Steuermaßstabs (s. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2003 - 9 C 3.02 - BVerwGE 117, 345 ) begründeten Vertrauenstatbestand mittels Übergangsregelungen Rechnung zu tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar angenommen, dass durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet und bei Änderung dieser Rechtsprechung dem erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 - BVerfGE 122, 248 <277 f.>). Eine solche Situation liegt jedoch nicht vor.

Bereits durch den ausführlich begründeten Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs zur Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung vom 22. Oktober 2014 (- II R 16/13 - BFHE 247, 150 ) wurde das Vertrauen auf den dauerhaften Fortbestand der Rechtsprechung zum Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete erschüttert (vgl. zum Unzulässigwerden des Stückzahlmaßstabs bei der Spielapparatesteuer BVerwG, Urteil vom 13. April 2005 - 10 C 5.04 - BVerwGE 123, 218 <234>). Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Regelungen über die Einheitsbewertung wegen der gravierenden Wertverzerrungen durch das Festhalten am Hauptfeststellungszeitpunkt zum 1. Januar 1964 durch das Urteil vom 10. April 2018 (- 1 BvL 11/14 - BVerfGE 148, 147 ) für verfassungswidrig erklärt hatte, konnten die Gemeinden erst recht nicht mehr davon ausgehen, dass ein Steuermaßstab mit der Anknüpfung an die Wertverhältnisse des Jahres 1964 auf Dauer beibehalten werden kann.

Auch wenn in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Anschluss an dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Teil noch die Auffassung vertreten wurde, der betreffende Steuermaßstab sei gleichwohl für die Zweitwohnungssteuer weiterhin zulässig, so konnte doch - zudem angesichts gegenteiliger Urteile - nicht mehr auf eine gefestigte Rechtsprechung vertraut werden.

Die im Schriftsatz der Beklagten vom 24. Oktober 2019 zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. Urteile vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 <105> und vom 10. Oktober 2013 - 5 C 29.12 - BVerwGE 148, 116 Rn. 23) betrafen gänzlich andere Konstellationen. Dort ging es darum, durch eine vorläufige Weitergeltung von Verwaltungsvorschriften bis zur Schaffung der notwendigen gesetzlichen Grundlagen zugunsten von Grundrechtsträgern einen noch verfassungsferneren Zustand zu vermeiden.

Unzumutbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt durch die Aufhebung von Steuerbescheiden infolge der Nichtigkeit der Satzungsgrundlage sind regelmäßig und auch hier nicht zu befürchten. Denn für die Vergangenheit sind nur die noch nicht bestandskräftigen Bescheide betroffen. Es besteht keine Verpflichtung, unanfechtbare Bescheide zu überprüfen und anzupassen. Darüber hinaus sind die Kommunen berechtigt, eine ungültige Satzung rückwirkend durch eine neue Satzung zu ersetzen und auf dieser Grundlage Steuern auch für einen zurückliegenden Zeitraum neu zu erheben (stRspr, s. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1995 - 8 B 193.94 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 8).

An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass die Beklagte - wie sie erstmals in der mündlichen Verhandlung angegeben hat - im Hinblick auf die anhängigen Verfahren seither in anderen Fällen lediglich Vorauszahlungsbescheide erlassen hat und ohne Fortgeltungsanordnung nunmehr an einer endgültigen Heranziehung gehindert ist. Mit ihrer Verfahrensweise hat die Beklagte die Entscheidung getroffen, sich am Ausgang der anhängigen Verfahren orientieren zu wollen. Sie kann auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Verpflichtung zur Rückzahlung vereinnahmter Vorauszahlungen eine übergangsweise Fortgeltung ihres unwirksamen Satzungsrechts verlangen. Ob und inwieweit die Beklagte zur Abwendung einer Haushaltsnotlage die Rückzahlungen strecken dürfte, ist hier nicht zu entscheiden.

2. Die Anschlussrevision der Klägerin führt zur Aufhebung der Bescheide in vollem Umfang.

a) Das Anschlussrechtsmittel ist zulässig. Nach § 141 Satz 1, § 127 Abs. 4 VwGO bedarf die Anschlussrevision keiner Zulassung. Sie ist nach § 141 Satz 1, § 127 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch dann noch statthaft, wenn - wie hier - die Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verstrichen ist. Erforderlich ist allerdings ein sachlicher Zusammenhang zwischen den gegenläufigen prozessualen Ansprüchen (BVerwG, Urteil vom 15. Februar 2018 - 9 C 1.17 - BVerwGE 161, 180 Rn. 10). Letzterer liegt hier vor, weil Revision und Anschlussrevision sich auf jeweils denselben Steuerbescheid beziehen.

b) Die Anschlussrevision ist auch begründet. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin verworfen hat, beruht das Berufungsurteil auf der Verletzung von Bundesrecht, § 137 Abs. 1 VwGO (aa). Das Bundesverwaltungsgericht kann über die Anschlussrevision in der Sache selbst entscheiden (bb).

aa) Das Berufungsurteil verstößt gegen § 124 Abs. 1 und § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO , soweit in ihm die Berufung der Klägerin verworfen worden ist. Die Berufung war als in vollem Umfang zugelassen anzusehen. Die vom Oberverwaltungsgericht im Berufungszulassungsverfahren ausgesprochene Zulassungsbeschränkung ist mangels Teilbarkeit der Steuerbescheide unwirksam. Damit ist der Anspruch auf vollständige Aufhebung der Bescheide Gegenstand des Revisionsverfahrens (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - BayVBl. 2012, 478 Rn. 14).

Die (nur) teilweise Zulassung eines Rechtsmittels ist möglich, soweit der Streitgegenstand teilbar ist (BVerwG, Urteil vom 12. Mai 2016 - 9 C 11.15 - BVerwGE 155, 171 Rn. 12 m.w.N.; Beschluss vom 24. August 2016 - 9 B 54.15 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 108 Rn. 4). Die Wirksamkeit der Beschränkung setzt voraus, dass die teilweise Zulassung sich auf einen tatsächlich und rechtlich selbstständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes bezieht, auf den auch der Prozessbeteiligte sein Rechtsmittel beschränken könnte (BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 1987 - 2 B 68.87 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 252). Soweit ein Streitgegenstand nicht teilbar ist, ist eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung unwirksam, das Rechtsmittel ist als insgesamt zugelassen anzusehen (stRspr der obersten Bundesgerichte, s. BVerwG, Urteile vom 1. April 1976 - 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295> und vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13; BGH, Urteil vom 6. Mai 1987 - IV b ZR 52/86 - NJW 1987, 3264 ; BFH, Urteil vom 28. September 1990 - VI R 157/89 - BFHE 162, 290 ).

Geldleistungsverwaltungsakte sind grundsätzlich teilbar. So wie der Kläger im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis (§ 88 VwGO ) die Anfechtungsklage oder auch ein Rechtsmittel von sich aus auf einen Teilbetrag der durch den Abgabenbescheid geforderten Gesamtsumme beschränken kann, muss auch das Gericht ermitteln, ob der Geldleistungsverwaltungsakt zumindest hinsichtlich eines Teilbetrages (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO : "soweit") aufrechterhalten bleiben kann; dafür hat es sich erforderlichenfalls der Hilfestellung der beklagten Behörde zu bedienen (BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 - 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 40 m.w.N.).

Bei einer Aufteilung des Streitgegenstands durch das Gericht im Berufungszulassungsverfahren sind darüber hinaus indes der Zweck und die Grenzen dieses Zwischenverfahrens zu berücksichtigen. Zwar muss sich das Gericht bei der Entscheidung über die Rechtsmittelzulassung nicht notwendig auf die Aktenlage beschränken. Eigene weitere Ermittlungen sind gelegentlich angezeigt, etwa im Zusammenhang mit einem behaupteten Verfahrensmangel oder bei der schon im Zulassungsverfahren anzustellenden Prüfung, ob sich das angefochtene Urteil auch auf der Grundlage eines dargelegten Zulassungsgrundes aus anderen Gründen als offensichtlich richtig erweist. Im letzteren Zusammenhang gilt, dass das Oberverwaltungsgericht im Zulassungsverfahren dann auf andere Gründe abstellen darf, wenn diese ohne Weiteres auf der Hand liegen, ihre Heranziehung also "nicht über den Aufwand hinausgeht, der in einem Zulassungsverfahren mit Blick auf dessen Zweck vernünftigerweise zu leisten ist" (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 - Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33 S. 9; BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 - BVerfGE 134, 106 Rn. 40).

Entsprechend ist eine Teilzulassung der Berufung (nur) möglich, wenn das Berufungsgericht bei den eigenen über den Akteninhalt hinausgehenden Ermittlungen keinen unverhältnismäßig großen Aufwand betreiben muss, um einen Teil des Streitgegenstands abzuschichten, sondern eine Aufteilung unter Berücksichtigung von Zweck und Grenzen des Zulassungsverfahrens ohne größeren Aufwand klar und zweifelsfrei vornehmen kann.

Danach war der vorliegende Streitgegenstand entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht anhand des Betrages teilbar, der sich unter Zugrundelegung der Einordnung in die vom Berufungsgericht angenommene Ortsklasse ergab. Hierbei handelte es sich nicht lediglich um den Austausch eines Faktors gegen einen anderen, feststehenden Faktor. Vielmehr beruhte der vom Berufungsgericht herangezogene Betrag seinerseits auf erstmals im Zulassungsverfahren angestellten komplexen, von weiteren rechtlichen Bewertungen abhängigen Berechnungen, deren Ergebnis ihrerseits zwischen den Beteiligten in Streit stand und den das Berufungsgericht im Umfang der teilweisen Nichtzulassung erstmals - und zwar unmittelbar rechtskräftig - entschied. Die Beklagte hatte in dem angefochtenen Bescheid der Ermittlung der Jahresrohmiete die Ortsklasse IV statt III zugrunde gelegt, was zu einer Ausgangsmonatsrohmiete 1,90 DM/qm führte. Das Berufungsgericht erachtete dies im Zulassungsverfahren als fehlerhaft, sah sich jedoch zu einer Teilzulassung noch nicht in der Lage und forderte von der Beklagten eine entsprechende Vergleichsberechnung. Diese konnte die Beklagte wiederum erst nach einer Rücksprache mit dem Finanzamt erstellen, weil die maßgeblichen Übersichten zum Mietspiegel verschiedene Ortsklassenkategorien enthalten. So ist für das Objekt der Klägerin (Baujahr 1957) im Ortsklassenverzeichnis die Kategorie III vorgesehen; für später erbaute Objekte wechselt die Einordnung dann in die Kategorien A, B und S. Nach der Übersicht II zum Mietspiegel beliefe sich die Ausgangsrohmiete für das Objekt der Klägerin danach auf 1,30 DM/qm. Nach Rücksprache mit dem Finanzamt ordnete die Beklagte - und ihr folgend das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Klägerin das Objekt jedoch in die Übersicht IV zum Mietspiegel ein und legte dort die Ortsklasse B zugrunde; die Ausgangsrohmiete betrug danach 1,65 DM/qm. Der sich daraus ergebenden Ausgangsjahresrohmiete wurden sodann die verschiedenen Zuschläge hinzugerechnet, woraus sich die Grundlage (Jahresrohmiete) für die Ermittlung der Zweitwohnungssteuer ergab. Unter diesen Umständen konnte das Oberverwaltungsgericht nicht (bereits) die Zulassung der Berufung auf den aufwendig ermittelten Teilbetrag beschränken.

bb) Das Bundesverwaltungsgericht kann in der Sache über die Anschlussrevision entscheiden, denn weitere Feststellungen sind nicht erforderlich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO ). Die angefochtenen Bescheide sind in vollem Umfang aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ), weil sie auf keine gültige Satzungsgrundlage gestützt werden können. Hierzu wird auf die Ausführungen zur Revision der Beklagten Bezug genommen. Der Ausspruch zur Rückzahlung zu Unrecht festgesetzter und bezahlter Zweitwohnungssteuer findet seine Rechtsgrundlage in § 113 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 VwGO . Die zuerkannten Zinsen beruhen auf der landesrechtlichen Grundlage des § 11 Abs. 1 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Schleswig-Holstein i.V.m. §§ 236 , 238 AO , deren Anwendung vorliegend unstreitig ist.

Die Kostenentscheidung ergibt aus § 154 Abs. 1 VwGO .

Vorinstanz: VG Schleswig-Holstein, vom 05.04.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 2 A 96/14
Vorinstanz: OVG Schleswig-Holstein, vom 30.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 LB 92/18
Fundstellen
BVerwGE 167, 137
DVBl 2020, 634
DÖV 2020, 490
NVwZ 2020, 1357