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BVerwG - Entscheidung vom 12.09.2019

8 C 9.18

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 125a Abs. 1 S. 2
LVwVfG RP § 1 Abs. 1
VwVfG § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2
GastVO RP § 20 Abs. 2
LGlüG RP 2015 § 11d

BVerwG, Urteil vom 12.09.2019 - Aktenzeichen 8 C 9.18

DRsp Nr. 2020/203

Streit um den Widerruf einer Sperrzeitverkürzung für Spielhallen; Widerruf von Ausnahmegenehmigungen; Unbeschränkt vorbehaltener Widerruf wegen einer Rechtsänderung; Reichweite der Begründung des in einer Ausnahmegenehmigung enthaltenen Widerrufsvorbehalts

1. Die sechsstündige, ausnahmslose Sperrzeit für Spielhallen in Rheinland-Pfalz ist materiell verfassungsgemäß. Sie stellt eine verhältnismäßige Berufsausübungsregelung dar, die dem überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Spielsuchtprävention dient. Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Einschränkung des Spielhallenbetriebes im Widerspruch zu der faktischen Möglichkeit entsprechender Glücksspiele im Internet steht. 2. Es verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG , dass Spielhallen in Rheinland-Pfalz einer längeren Sperrzeit unterliegen als Spielbanken, für die nach § 2 der Landesverordnung über den Spielbetrieb in öffentlichen Spielbanken Rheinland-Pfalz höchstens eine vierstündige Sperrzeit gilt. Die höhere Verfügbarkeit von Spielhallen im Lebensumfeld potenzieller Spieler stellt einen hinreichenden Sachgrund für ihre unterschiedliche Behandlung gegenüber den an wenigen Standorten vorhandenen Spielbanken dar.

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; GG Art. 12 Abs. 1 ; GG Art. 125a Abs. 1 S. 2; LVwVfG RP § 1 Abs. 1 ; VwVfG § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2; GastVO RP § 20 Abs. 2 ; LGlüG RP 2015 § 11d;

[Tatbestand]

Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf der Verkürzung der Sperrzeit für eine von ihr betriebene Spielhalle.

Der Betrieb dieser Spielhalle wurde im Jahr 2010 sowie mit Bescheid vom 14. Juni 2017 nach Maßgabe des Glücksspielstaatsvertrages und des Landesglücksspielgesetzes Rheinland-Pfalz bis zum 30. Juni 2021 genehmigt. Auf Antrag der Klägerin verkürzte die Beklagte die Sperrzeit gemäß § 19 der Landesverordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes ( Gaststättenverordnung - GastVO RP) durch Ausnahmegenehmigung vom 28. Juli 2010 von 0:00 bis 6:00 Uhr auf die Zeit von 5:00 bis 6:00 Uhr. Die Ausnahmegenehmigung wurde "gemäß § 20 Abs. 2 GastVO unter den Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs" gestellt. In der Begründung des Bescheides verwies die Beklagte darauf, dass bei der Entscheidung über eine Ausnahme vor allem der Schutz der Nachtruhe der Nachbarschaft und die Störungsempfindlichkeit der Umgebung zu berücksichtigen seien. Aufgrund der örtlichen Lage der Spielhalle könne davon ausgegangen werden, dass eine Störung der Nachtruhe nicht erfolge. Sollte sich jedoch herausstellen, dass durch die Verkürzung der Sperrzeit Nachteile entstünden, könne die Sperrzeit jederzeit verlängert oder die Verkürzung aufgehoben werden.

Zum 1. Juli 2012 trat § 11 Abs. 8 Landesglücksspielgesetz Rheinland-Pfalz - LGlüG RP 2012 - vom 22. Juni 2012 (GVBl. S. 166) in Kraft, der für Spielhallen eine Sperrzeit von 0:00 bis 6:00 Uhr vorschrieb. Mit Schreiben vom 4. Juni 2013 teilte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion des Landes Rheinland-Pfalz den für das Glücksspielrecht zuständigen Vollzugsbehörden mit, dass Ausnahmen von dieser Sperrzeit nicht mehr erteilt werden könnten und bereits erteilte Sperrzeitverkürzungen widerrufen werden sollten. Daraufhin hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 20. August 2013 zum beabsichtigten Widerruf ihrer Ausnahmegenehmigung an und räumte ihr bis zum 6. September 2013 die Möglichkeit einer Stellungnahme ein. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2013 widerrief sie die Ausnahmegenehmigung. Während des Widerspruchsverfahrens trat am 22. August 2015 § 11d Landesglücksspielgesetz Rheinland-Pfalz i.d.F. des Ersten Landesgesetzes zur Änderung des Landesglücksspielgesetzes - LGlüG RP 2015 - vom 18. August 2015 (GVBl. S. 190) in Kraft. Absatz 1 der Regelung schreibt eine Sperrzeit für Spielhallen von 2:00 bis 8:00 Uhr vor; Absatz 2 schließt Ausnahmen von dieser Sperrzeit oder der Gaststättenverordnung aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Widerruf zurück. Ungeachtet des bereits rechtmäßigen Ausgangsbescheides sei die Ausnahmegenehmigung im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch wegen des Ausschlusses von Ausnahmen durch § 11d Abs. 2 LGlüG RP 2015 zu widerrufen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hiergegen abgewiesen.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der Widerruf der Ausnahmegenehmigung sei auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 LVwVfG RP i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG rechtmäßig. Der in ihr enthaltene Widerrufsvorbehalt trage auch einen Widerruf wegen einer Rechtsänderung zur Sperrzeit für Spielhallen. Die Begründung der Ausnahmegenehmigung schränke die Reichweite des Widerrufsvorbehaltes nicht ein. Der Widerruf sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Die Regelungen in § 11d LGlüG RP 2015 stünden in Einklang mit der Verfassung. Selbst wenn man den Widerruf als rechtswidrig ansähe, könne er in eine Rücknahme umgedeutet werden. Die Beklagte habe auch die mit Kenntnis des Schreibens der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vom 4. Juni 2013 in Lauf gesetzte Jahresfrist für einen Widerruf bzw. eine Rücknahme eingehalten.

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin geltend, der Widerruf ihrer Ausnahmegenehmigung könne nicht auf die Sperrzeitregelung des Landesglücksspielgesetzes gestützt werden. Die Ausnahmegenehmigung beschränke einen in ihr vorbehaltenen Widerruf sachlich auf Änderungen der örtlichen Verhältnisse. Jedenfalls aber sei der Widerruf nach Ablauf der Jahresfrist des § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erfolgt. Diese Frist sei bereits mit Inkrafttreten des Landesglücksspielgesetzes am 1. Juli 2012 in Lauf gesetzt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. August 2018 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 25. September 2017 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Stadtrechtsausschusses der Beklagten vom 19. Januar 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Berufungsurteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses meint, § 11d LGlüG RP 2015 sei mit Art. 125a Abs. 1 GG vereinbar. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe landesrechtliche Regelungen zur spielhallenspezifischen Sperrzeit bestätigt.

[Entscheidungsgründe]

Die Revision bleibt ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Widerruf der Genehmigung über eine Ausnahme von der Sperrzeit im Ergebnis in Einklang mit revisiblem Recht für rechtmäßig gehalten (§ 137 Abs. 1 VwGO ).

1. Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine Bedenken. Die Klägerin hat sie fristgerecht gegen das ihr am 17. September 2018 gemäß § 116 Abs. 2 Halbs. 1, § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 3 Satz 1, § 317 Abs. 1 , § 169 Abs. 4 ZPO in Form einer durch qualifizierte elektronische Signatur der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beglaubigten elektronischen Abschrift an Verkündungs statt zugestellte Berufungsurteil eingelegt. Die Papierfassung des handschriftlich unterzeichneten Urteils und des daran mit fortlaufender Paginierung anschließenden Streitwertbeschlusses des Berufungsgerichts stellt ein Schriftstück im Sinne von § 169 Abs. 4 ZPO dar, dessen elektronische Abschrift wirksam mit einer einzigen elektronischen Signatur beglaubigt worden ist.

2. Auch die Klage ist zulässig. Das Berufungsgericht hat zutreffend ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin bejaht. Der Ablauf der ursprünglichen Genehmigung für die Spielhallen und der Erlass einer neuen, befristeten Genehmigung nach Erlass des Widerspruchsbescheides haben die Wirksamkeit der widerrufenen Ausnahmegenehmigung nicht entfallen lassen. Diese war nicht an den Bestand einer bestimmten Genehmigung für den Betrieb der Spielhallen geknüpft, sondern setzte lediglich einen genehmigten Betrieb voraus, der nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts weiterhin gegeben ist.

3. Der Widerruf der Ausnahmegenehmigung ist rechtmäßig. Er stützt sich zutreffend auf § 1 Abs. 1 LVwVfG RP i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG und den in der Ausnahmegenehmigung enthaltenen Widerrufsvorbehalt. Die Einwände der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides greifen nicht durch.

a) Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Unter diesen Voraussetzungen erlaubt die Vorschrift in entsprechender Anwendung auch den Widerruf eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2018 - 8 C 16.17 - BVerwGE 163, 102 Rn. 14). Deshalb kann dahinstehen, ob die Ausnahmegenehmigung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides als der letzten behördlichen Entscheidung über ihren Widerruf rechtswidrig geworden war.

aa) Der in die bestandskräftige Ausnahmegenehmigung aufgenommene Vorbehalt eines jederzeitigen Widerrufs enthält keine Einschränkung und ermöglichte auch den Widerruf allein aus Anlass einer Änderung der rechtlichen Regelungen über die von der Klägerin zu beachtende Sperrzeit. Gegen eine sachliche Einschränkung spricht außerdem, dass der Tenor der Ausnahmegenehmigung auf § 20 Abs. 2 der Landesverordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes ( Gaststättenverordnung - GastVO RP) vom 2. Dezember 1971 (GVBl. S. 274), zum maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 11. August 2005 (GVBl. S. 365), hinwies, wonach jede Ausnahmegenehmigung unter Widerrufsvorbehalt zu erteilen ist. Bereits der Verweis auf diese Regelung ließ aus der Sicht eines objektiven Empfängers des Bescheides nach §§ 133 , 157 BGB keinen Zweifel daran, dass für einen Widerruf der Sperrzeitverkürzung keine bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen erforderlich waren. Durch den Vorbehalt eines "jederzeitigen" Widerrufs ermöglichte die Beklagte in Übereinstimmung mit ihrer landesrechtlichen Verpflichtung aus § 20 Abs. 2 GastVO RP eine Aufhebung der Sperrzeitverkürzung nicht nur zeitlich uneingeschränkt, sondern auch aus jedem sachlich tragfähigem Anlass.

Die Reichweite des Widerrufsvorbehaltes ist auch in der bei der Auslegung des Bescheides zu berücksichtigenden Begründung des Bescheides (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 8 C 18.16 - BVerwGE 160, 193 Rn. 14) nicht begrenzt worden. Gegen die Auslegung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit ihrem Hinweis auf die Möglichkeit künftig erkennbar werdender Nachteile lediglich beispielhaft einen besonders naheliegenden Fall des Widerrufs veranschaulicht, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Sie wird dadurch gestützt, dass die Begründung der Ausnahmegenehmigung nur "vor allem" und somit nicht ausschließlich auf Aspekte der Nachtruhe und des Schutzes der Nachbarschaft abstellte. Die Begründung der Ausnahmegenehmigung schränkte die für deren Erteilung und für den in ihrem Tenor vorbehaltenen Widerruf maßgeblichen Gesichtspunkte daher nicht auf eine Veränderung der tatsächlichen Auswirkungen des Spielhallenbetriebes auf die Umgebung ein. Der gegenteiligen Auslegung der Klägerin vermag der Senat nicht zu folgen. Insbesondere war aus der Sicht eines objektiven Empfängers nicht zu erwarten, dass die Begründung des Bescheides mögliche künftige Rechtsänderungen als Anlass eines Widerrufes der Sperrzeitverkürzung ausdrücklich erwähnen würde. Vielmehr versteht sich von selbst, dass der uneingeschränkt tenorierte Widerrufsvorbehalt die Anpassung des Bescheides an eine künftige geänderte Rechtslage ermöglicht.

Von einem unbeschränkten Widerrufsvorbehalt im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG darf nicht nur aus denjenigen Gründen Gebrauch gemacht werden, die in der Begründung des Vorbehaltes als möglicher Anlass für einen Widerruf aufgeführt wurden. Der unbeschränkt vorbehaltene Widerruf eines begünstigenden Bescheides muss sich auch nicht auf denselben Grund beziehen, aus dem der Bescheid erlassen wurde. Eine dahingehende Anforderung lässt sich weder § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 noch § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG entnehmen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 16. April 1969 - 5 C 15.67 - BVerwGE 32, 12 ). Erst recht gilt dies, wenn das im Zeitpunkt des Widerrufs geltende Recht den erneuten Erlass des widerrufenen Bescheides ausschließt.

bb) Ein unbeschränkt vorbehaltener Widerruf darf gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG auch wegen einer Rechtsänderung erklärt werden, aufgrund deren die Behörde den Verwaltungsakt nicht mehr erlassen dürfte, ohne dass - zusätzlich - die Voraussetzungen der Nummer 4 der Vorschrift vorliegen müssten. Die Regelung in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG , die den Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts aufgrund einer geänderten Rechtsvorschrift einschränkenden Voraussetzungen unterstellt, schließt die Anwendung von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG in Verbindung mit dem Widerrufsvorbehalt im Falle einer Rechtsänderung nicht aus. Die Widerrufstatbestände des § 49 Abs. 2 Satz 1 VwVfG stehen selbständig nebeneinander. Sie bringen das öffentliche Interesse an der Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts mit der jeweils unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit des Widerrufsadressaten in abgestufter Weise zum Ausgleich. Während die Widerrufstatbestände der Nummern 2 bis 4 der Vorschrift ein durch den begünstigenden Verwaltungsakt entstandenes Vertrauen des Empfängers auf dessen Bestand berücksichtigen und dessen Widerruf deshalb an besondere Voraussetzungen knüpfen, verhindert ein Widerrufsvorbehalt nach Nummer 1 der Regelung schon das Entstehen von Vertrauen auf Seiten des Adressaten des Verwaltungsakts. Dieser gesetzlichen Abstufung der Schutzbedürftigkeit des Begünstigten liefe es zuwider, § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG als abschließende, Nummer 1 der Vorschrift verdrängende Regelung zu verstehen.

b) Die Beklagte hat ihr Ermessen fehlerfrei zugunsten eines Widerrufs der Ausnahmegenehmigung ausgeübt. Das hat das Berufungsgericht in Einklang mit revisiblem Recht angenommen.

Die gerichtliche Kontrolle einer behördlichen Ermessensentscheidung beschränkt sich gemäß § 114 Satz 1 VwGO darauf, anhand der von der Behörde tatsächlich angestellten Erwägungen zu prüfen, ob die Verwaltung den ihr eingeräumten Ermessensspielraum ausgeschöpft hat, ob sie die gesetzlichen Grenzen der Ermessensbetätigung überschritten hat und ob sie die nach dem Zweck der Ermessensermächtigung für die Entscheidung relevanten Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat (§ 40 VwVfG , vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2016 - 10 C 8.15 - Buchholz 316 § 49a VwVfG Nr. 14 Rn. 13). Danach tragen die Ermessenserwägungen der Beklagten den verfügten Widerruf.

aa) Die Widerspruchsbehörde hat ihr Ermessen erkannt und entsprechend dem Zweck der Ermächtigung in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG ausgeübt. Diese Regelung soll die Anpassung eines Verwaltungsakts, dessen Widerruf gegenüber dem Adressaten ausdrücklich vorbehalten wurde, an eine geänderte Sach- oder Rechtslage erleichtern. Hier hat der Stadtrechtsausschuss der Beklagten den Widerruf der Ausnahmegenehmigung in seiner Widerspruchsentscheidung mit dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten von § 11d LGlüG RP 2015 begründet. Absatz 2 dieser Vorschrift ersetzt nach der für das Revisionsgericht bindenden berufungsgerichtlichen Auslegung nicht revisiblen Landesrechts (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO ) die im Zeitpunkt der Erteilung der Ausnahmegenehmigung maßgebliche Regelung des § 20 GastVO RP und schließt jegliche Ausnahmen von der in § 11d Abs. 1 LGlüG RP 2015 festgelegten Sperrzeit aus. Die Anpassung der für die Spielhalle der Klägerin geltenden Einzelfallregelung an diese Neuregelung stellte einen hinreichenden Sachgrund für den Widerruf dar und wahrte damit die Ermessensgrenze des Willkürverbotes aus Art. 3 Abs. 1 GG .

bb) Die Beklagte konnte ihre Ermessensentscheidung auf § 11d LGlüG RP 2015 stützen. Die Regelung steht mit Verfassungsrecht in Einklang.

Das Land Rheinland-Pfalz war gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zum Erlass einer Regelung über die Sperrzeit als einer Bundesrecht ersetzenden Anforderung an die Art und Weise des Betriebes von Spielhallen befugt (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 - BVerwGE 157, 126 Rn. 29, 33 und vom 5. April 2017 - 8 C 16.16 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 304 Rn. 26; BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - BVerfGE 145, 20 Rn. 97 ff.). Der Landesgesetzgeber hat mit § 11d LGlüG RP 2015 auf der Grundlage von § 26 Abs. 2 des Glücksspielstaatsvertrages der Länder i.d.F. des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland ( Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag - Erster GlüÄndStV) vom 15. Dezember 2011 (GVBl. 2012, 166, 173) eine besondere Regelung über die Sperrzeit für Spielhallen geschaffen und eine Ausnahme von ihr auch nach Gaststättenrecht ausgeschlossen. Die Vorschrift betrifft den abgegrenzten Regelungsgegenstand des Betriebes von Spielhallen und führt nicht zu einer verfassungswidrigen Mischlage von Bundes- und Landesrecht. Sie ersetzt die bundesrechtliche Ermächtigung für die Festsetzung von Sperrzeiten durch eine Rechtsverordnung der Landesregierung aus § 18 Abs. 1 Gaststättengesetz - GastG - i.d.F. des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1666 ) für diesen Regelungsgegenstand vollständig und ändert nicht nur einzelne Vorschriften. Dies wird den Anforderungen des Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG gerecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 2017 - 8 C 16.16 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 304 Rn. 28).

Die sechsstündige, ausnahmslose Sperrzeit für Spielhallen ist materiell verfassungsgemäß. Sie stellt eine verhältnismäßige Berufsausübungsregelung dar, die dem überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Spielsuchtprävention dient (vgl. bereits zu der achtstündigen Sperrzeit in Berlin BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 - BVerwGE 157, 126 Rn. 69, 38 ). Der Einwand der Klägerin im Parallelverfahren 8 C 7.18, die Einschränkung des Spielhallenbetriebes stehe im Widerspruch zu der faktischen Möglichkeit entsprechender Glücksspiele im Internet, führt zu keiner abweichenden Bewertung. Sie käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Beklagten eine derartige faktische Möglichkeit - etwa wegen ihrer Duldung oder wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits bei der Bekämpfung von öffentlichem Glücksspiel im Internet unter Verstoß gegen § 4 GlüStV - zuzurechnen wäre. Tatsächliche Feststellungen, aus denen sich dies ergeben könnte, hat das Berufungsgericht jedoch nicht getroffen.

Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG , dass Spielhallen in Rheinland-Pfalz einer längeren Sperrzeit unterliegen als Spielbanken, für die nach § 2 der Landesverordnung über den Spielbetrieb in öffentlichen Spielbanken Rheinland-Pfalz (Spielordnung - SpielO RP 2008) vom 21. Juli 2008 (GVBl. S. 135), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juni 2012 (GVBl. S. 166), höchstens eine vierstündige Sperrzeit gilt. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die höhere Verfügbarkeit von Spielhallen im Lebensumfeld potenzieller Spieler einen hinreichenden Sachgrund für ihre unterschiedliche Behandlung gegenüber den an wenigen Standorten vorhandenen Spielbanken darstellt (vgl. für Rheinland-Pfalz BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 4.16 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 303 Rn. 30; allg. vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 u.a. - BVerfGE 145, 20 Rn. 174). Das Berufungsgericht hat sich dem angeschlossen (UA S. 20 f.) und keine Tatsachen festgestellt, die das höhere Gefährdungspotenzial von Spielhallen gegenüber demjenigen von Spielbanken in Frage stellen.

cc) Besondere Gesichtspunkte, die eine Unverhältnismäßigkeit der gegenüber der Klägerin getroffenen Ermessensentscheidung im Einzelfall begründeten, sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils nicht ersichtlich.

c) Die Beklagte hat die Ausnahmegenehmigung innerhalb der Jahresfrist des § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG widerrufen. Diese Frist begann erst mit Eingang der Stellungnahme der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung zum beabsichtigten Widerruf am 5. September 2013 zu laufen und war bei Erlass des Widerrufsbescheides am 5. Dezember 2013 bei weitem noch nicht verstrichen. Soweit das Berufungsurteil für den Beginn der Jahresfrist auf die Kenntnis der Beklagten von dem Hinweisschreiben der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion des Landes Rheinland-Pfalz vom 4. Juni 2013 abgestellt hat, verletzt es Bundesrecht. Es ist jedoch im Ergebnis richtig, weil es die Einhaltung der Jahresfrist für den Widerruf ausgehend von diesem Zeitpunkt ebenfalls bejaht.

aa) Erhält die Behörde Kenntnis vom Widerrufsgrund und von den für die Widerrufsentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen, so ist gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG der Widerruf nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde den Grund für den Widerruf des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Widerrufsentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (stRspr, BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 1987 - 3 C 27.86 - Buchholz 451.511 § 6 MOG Nr. 2 und vom 24. Januar 2001 - 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 ; zur Rücknahme vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - GrSen 1.84 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 ). Maßgeblich ist die Kenntnis des zuständigen Amtswalters (BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2001 - 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 <362 f.>). Entsprechendes gilt für die Rücknahme eines Verwaltungsakts.

Vollständige Kenntnis von dem für den Widerruf oder die Rücknahme des Verwaltungsakts erheblichen Sachverhalt hat die Behörde erlangt, wenn sie ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens darüber zu entscheiden. Die Jahresfrist ist dementsprechend keine Bearbeitungsfrist, sondern eine Entscheidungsfrist (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2012 - 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 Rn. 27).

Die vollständige Kenntnis auch von den für die Ausübung des Widerrufs- bzw. Rücknahmeermessens maßgeblichen Umständen erlangt die Behörde regelmäßig nur infolge einer - mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme verbundenen - Anhörung des Betroffenen (BVerwG, Urteile vom 24. Januar 2001 - 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 und vom 8. Mai 2003 - 1 C 15.02 - BVerwGE 118, 174 <179>). Die Anhörung selbst setzt die Frist noch nicht in Lauf; erst mit der Stellungnahme des Betroffenen erhält die Behörde Kenntnis von den Umständen, die gegebenenfalls bei ihrer Ermessensausübung zu berücksichtigen sind, jedenfalls aber die Gewissheit, dass ihre bisherige Kenntnis vollständig ist (BVerwG, Urteil vom 20. September 2001 - 7 C 6.01 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103); dann läuft die Frist. Entsprechendes gilt, wenn der Betroffene die gesetzte Frist verstreichen lässt, ohne Stellung zu nehmen (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019 - 10 C 5.17 - GewArch 2019, 233 , juris Rn. 30 ff.).

Die Beklagte hatte eine Ermessensentscheidung über den Widerruf der Ausnahmegenehmigung zu treffen und darin etwaige Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Widerrufs im Einzelfall der Klägerin von Bedeutung waren. Eine Anhörung war deshalb nach § 28 Abs. 1 VwVfG geboten. Die Klägerin hat am 5. September 2013 eine Stellungnahme abgegeben. Mit ihrem Eingang begann die Jahresfrist zu laufen. Auf den Zeitpunkt, in dem die Beklagte Kenntnis von der Rechtsänderung zur Sperrzeit für Spielhallen durch § 11 Abs. 8 LGlüG RP 2012 hatte oder hätte haben müssen, kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an.

bb) Eine Verwirkung der Widerrufsbefugnis der Beklagten liegt angesichts der zeitlichen Nähe des Widerrufs zum Abschluss der Anhörung fern.

Die Jahresfrist war schließlich auch nicht nach Inkrafttreten des § 11d LGlüG RP 2015 als der nach dem Widerspruchsbescheid maßgeblichen Rechtsänderung erneut einzuhalten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG ist eine Frist für die Entscheidung und nicht für die Begründung der Entscheidung. Sie dient dem Schutz des Vertrauens des Adressaten auf den Bestand des Bescheides (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2006 - 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 Rn. 25). Dieses wird bereits durch den Widerruf im Ausgangsbescheid zerstört. Für einen erneuten Vertrauensschutz des Widerrufsadressaten im weiteren Verwaltungsverfahren besteht keine Grundlage. Ist die Widerrufsfrist - wie hier - durch den Ausgangsbescheid gewahrt, so bleibt der im Widerspruchsverfahren zu überprüfende Widerruf fristgerecht, selbst wenn der Widerspruchsbescheid die Begründung für seine materielle Rechtmäßigkeit ändert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO .

Vorinstanz: VG Neustadt a.d.W., vom 25.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 K 325/17
Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 23.08.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 11730/17