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BVerwG - Entscheidung vom 18.06.2019

10 B 18.18

Normen:
VwVfG § 48 Abs. 4 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 18.06.2019 - Aktenzeichen 10 B 18.18

DRsp Nr. 2019/10270

Rücknahme des Entscheides eines Landrates zum Übergang landwirtschaftlich genutzter Grundstücke in gemeindliches Eigentum

Es ist geklärt, dass die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG erst mit Eingang der Stellungnahme des Betroffenen im Rahmen der Anhörung zu laufen beginnt und dass bei einer verzögerten Anhörung zur beabsichtigten Rücknahme einer Entscheidung gegebenenfalls die Grundsätze der Verwirkung eingreifen.

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. September 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Normenkette:

VwVfG § 48 Abs. 4 S. 1;

Gründe

Die klagende Gemeinde wendet sich gegen die Rücknahme eines noch im September 1990 auf Grundlage des Kommunalvermögensgesetzes der DDR ergangenen Entscheides des Landrates des Landkreises Gotha zum Übergang unter anderem acht landwirtschaftlich genutzter Grundstücke in ihr Eigentum. Die Beklagte hat diesen Entscheid 2016 aufgehoben und eine 1996 durch Sammelzuordnungsbescheid erfolgte Übertragung der Grundstücke an die Beigeladene bestätigt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Eigentumsübertragung an die Klägerin sei formell rechtswidrig gewesen und nachfolgend nicht geheilt worden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Zuordnung der Grundstücke, weil eine landwirtschaftliche Nutzung keine gemeindebezogene Aufgabe darstelle und die Klägerin auch kein Alteigentum nachgewiesen habe. Die Beklagte habe ihr Rücknahmeermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die hiergegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen der von der Klägerin geltend gemachten Abweichungen des Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen. Diese sind dem angegriffenen Urteil nicht zu entnehmen.

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen die jeweilige Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 - 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18). Daran fehlt es hier.

a) Die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 1972 - 4 C 106.68 - (Buchholz 407.4 § 8 FStrG Nr. 9) ab, indem es der nachträglichen Billigung eines von einer unzuständigen Behörde erlassenen Verwaltungsakts eine Rückwirkung abspreche. Einen dahingehenden abstrakten Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht aufgestellt. Es hat fallbezogen eine Heilung des Zuständigkeitsmangels des Entscheides des Landrates durch nachträgliche Siegelung seitens der Treuhandanstalt abgelehnt, weil diese nicht vom hierfür allein zuständigen Präsidenten der Anstalt vorgenommen worden sei und weil darüber hinaus selbst dessen Genehmigung materiell rechtswidrig gewesen wäre.

b) Die Klägerin rügt außerdem eine Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 - (Buchholz 340 § 5 VwZG Nr. 21). Das Verwaltungsgericht weiche von der Entscheidung mit dem abstrakten Rechtssatz ab, die Zustellung eines Bescheides müsse auf einem nach außen konkret und unmittelbar dokumentierten Zustellungswillen beruhen. Ein solcher Rechtssatz ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat eine zeitliche Beschränkung des Rücknahmeermessens der Beklagten selbst bei einer von ihm ausdrücklich offen gelassenen Anwendbarkeit des § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG als Ermessensdirektive auf Zuordnungsentscheidungen nach dem Kommunalvermögensgesetz verneint. Es sei nicht erkennbar, dass die in dieser Norm geregelte Zweijahresfrist gegenüber der Treuhandanstalt zu laufen begonnen habe, weil schon nicht erkennbar sei, wie der Entscheid des Landrates ihr zugegangen sei. Deshalb lasse sich auch nicht feststellen, ob diesem Zugang ein Zustellungswille zugrunde gelegen habe. Damit stellt das Verwaltungsgericht gerade nicht auf die Erkennbarkeit eines Zustellungswillens nach außen, sondern auf die Erkennbarkeit der Umstände des Zugangs ab, aus denen sich ein Zustellungswille ableiten lassen könnte. Im Übrigen lässt sich auch der von der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts der von ihr bezeichnete abstrakte Rechtssatz nicht entnehmen, der Zustellungswille könne sich mittelbar aus den Gesamtumständen ergeben. Die Entscheidung gibt im Kontext der Verneinung eines Aufklärungsmangels der Vorinstanz lediglich deren auf höchstrichterliche Rechtsprechung gestützte materiell-rechtliche Auffassung wieder, ein Zustellungswille liege bei einer Zuleitung des betreffenden Schriftstücks durch die Behörde an den Empfangsberechtigten vor. Da die Vorinstanz aus einer behördlichen Aushändigung auf den erforderlichen Zustellungswillen geschlossen habe, habe sie keinen weiteren Beweis zur Zustellung erheben müssen. Diesen ersichtlich einzelfallbezogenen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich ein abstrakter Rechtssatz in dem von der Klägerin behaupteten Sinne nicht entnehmen.

2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der von der Klägerin sinngemäß aufgeworfenen Frage zuzulassen,

ob die Anknüpfung des Beginns des Laufs der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG an die Anhörung des Betroffenen im Hinblick auf das für das Beitragsrecht anerkannte verfassungsrechtliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit zeitlich zu begrenzen sei.

Diese Frage wäre im vorliegenden Verfahren weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Die Klägerin ist als öffentlich-rechtliche Körperschaft durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden. Deshalb spricht Vieles dafür, dass sie sich auf die Vertrauensschutz gegenüber der Herstellung rechtmäßiger Zustände gewährleistende Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht berufen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2006 - 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 <14>). Jedenfalls kann der Gedanke der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, aus dem das Bundesverfassungsgericht die besondere zeitliche Begrenzung einer Beitragserhebung gegenüber dem Bürger abgeleitet hat (vgl. Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 41), nicht auf sie übertragen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2006 - 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 <12 f.>), so dass es nicht darauf ankommt, ob sich diese Begrenzung über das Beitragsrecht hinaus ausdehnen ließe. Unabhängig hiervon hat der Senat in seinen Urteilen vom 23. Januar 2019 ( 10 C 5.17 u.a. - juris Rn. 32) geklärt, dass die Rücknahmefrist erst mit Eingang der Stellungnahme des Betroffenen im Rahmen der Anhörung zu laufen beginnt und dass bei einer verzögerten Anhörung zur beabsichtigten Rücknahme einer Entscheidung gegebenenfalls die Grundsätze der Verwirkung eingreifen. Hierüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.

Vorinstanz: VG Berlin, vom 10.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 33 K 8.18