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BVerwG - Entscheidung vom 15.10.2019

4 BN 48.19

Normen:
VwGO § 121 Nr. 1

BVerwG, Beschluss vom 15.10.2019 - Aktenzeichen 4 BN 48.19

DRsp Nr. 2020/631

Richterliche Kontrolle einer Landschaftsschutzverordnung; Reichweite der Rechtskraft eines Urteils

Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 121 Nr. 1 ;

Gründe

Die auf alle Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Soweit sie den Darlegungsanforderungen genügt, ist sie jedenfalls unbegründet.

I. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>).

1. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob die Neuabgrenzung eines Vogelschutzgebiets rechtlich in der Lage ist, die Bindungswirkungen früherer allgemeinverbindlicher Urteile zur Unwirksamkeit eines Bebauungsplans - hier einer Umgehungsstraße - aufzuheben.

Grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde damit nicht auf. Nach ihrer Auffassung steht § 121 Nr. 1 VwGO dem Erlass der angegriffenen Verordnung entgegen, weil der Senat mit Urteil vom 27. März 2014 - 4 CN 3.13 - (BVerwGE 149, 229 ) den Bebauungsplan Nr. 67 der Stadt Esens und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Urteil vom 10. April 2013 - 1 KN 33/10 - (NuR 2013, 424 ) den Bebauungsplan Nr. 72 (einschließlich seiner 1. Änderung) der Stadt Esens für unwirksam erklärt haben. Der Einwand ist unbegründet. Denn nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Der Antragsgegner war indes nicht Beteiligter der genannten, gegen die Stadt Esens geführten Verfahren. Etwas Anderes folgt nicht aus § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO . Danach erklärt das Oberverwaltungsgericht eine Rechtsvorschrift für unwirksam, wenn es zu der Überzeugung kommt, dass sie ungültig ist. Diese Entscheidung ist allgemein verbindlich. Verfahrensgegenstand der seinerzeitigen Verfahren waren indes Bebauungspläne und nicht - wie hier - eine Verordnung über ein Landschaftsschutzgebiet. Fragen eines Normwiederholungsverbots werden daher nicht aufgerufen.

2. Die Beschwerde sieht weiter rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf,

ob eine Verordnung über ein Landschaftsschutzgebiet zulässig ist, die in maßgeblicher Weise den Erhalt eines Straßenbaus in einem Vogelschutzgebiet unterstützt, dessen Erstellung gegen die strengen planungsrechtlichen Vorschriften verstoßen hat, wie gerichtlich rechtskräftig festgestellt worden ist.

Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Der Antragsteller hält die angegriffene Verordnung für rechtswidrig, weil sie maßgeblich dem Erlass des Bebauungsplanes Nr. 89 für die bereits errichtete Umgehungsstraße diene. Das Oberverwaltungsgericht hat indes einen solchen Zweck nicht festgestellt (vgl. UA S. 28). Es hat vielmehr angenommen, das unter Schutz gestellte Gebiet sei im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG schutzwürdig und schutzbedürftig. Die Umgehungsstraße lasse weder Schutzwürdigkeit noch -bedürftigkeit entfallen (UA S. 16). An die tatsächlichen Feststellungen, die dieser Bewertung zugrunde liegen, wäre das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind. Die Beschwerde beschränkt sich insoweit darauf, der Tatsachenwürdigung der Vorinstanz die abweichende Sicht des Antragstellers im Stil eines zulassungsfreien Rechtsmittels entgegenzusetzen.

Im Übrigen ist geklärt, dass es für die richterliche Kontrolle einer Landschaftsschutzverordnung auf das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens ankommt, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitwirkt (BVerwG, Urteil vom 29. November 2018 - 4 CN 12.17 - NVwZ 2019, 1047 Rn. 9; vgl. UA S. 29). Daran geht die Beschwerde vorbei.

3. Weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht in der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangten Form dar.

Der Text der Beschwerde enthält weitere, in indirekter Rede formulierte und weitgehend auf den Einzelfall zugeschnittene Fragen, legt aber deren grundsätzliche Bedeutung nicht dar. Denn für eine solche Darlegung bedarf es einer Sichtung und rechtlichen Durchdringung des Streitstoffes durch den Prozessbevollmächtigten und eines Mindestmaßes an Geordnetheit des Vorbringens. Eine umfangreiche Beschwerdebegründung entspricht jedenfalls dann nicht den formellen Erfordernissen, wenn - wie hier - die Ausführungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter, unklarer und kaum auflösbarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Beschwerdeverfahren sonst unerheblichen Fragen vermengt sind. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einem derartigen Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (BVerwG, Beschlüsse vom 30. September 2005 - 1 B 26.05 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 82 Rn. 3 und vom 8. Juli 2014 - 4 BN 16.14 - juris Rn. 4).

II. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

Die Beschwerde verfehlt die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO . Eine die Revision nach dieser Vorschrift eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die jeweilige Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Dem genügt die Beschwerde nicht.

Die Beschwerde entnimmt dem Senatsurteil vom 27. März 2014 - 4 CN 3.13 - (BVerwGE 149, 229 Rn. 30 und LS. 2) den Rechtsgedanken, dass das strenge Schutzregime für faktische Vogelschutzgebiete auch bezweckt, eine an ornithologisch-fachlichen Kriterien ausgerichtete Gebietsausweisung und -abgrenzung offen zu halten und nicht durch vorangehende beeinträchtigende Planungen unrealistisch werden zu lassen. Diese Ausführungen beschreiben den Zweck einer Rechtsfigur. Sie formulieren aber keinen Rechtssatz, der den Inhalt einer Norm durch einen abstrakten richterrechtlichen Obersatz unterhalb des Abstraktionsgrades des Gesetzeswortlauts und oberhalb der Rechtsanwendung auf den konkreten Einzelfall beschreibt (BVerwG, Beschluss vom 11. April 2017 - 4 B 11.17 - ZfBR 2017, 587 Rn. 4 m.w.N.).

Hiervon unabhängig benennt die Beschwerde keinen abweichenden abstrakten Rechtssatz der Vorinstanz. Sie meint, das Oberverwaltungsgericht habe mit Blick auf den Bebauungsplan Nr. 89 der Stadt Esens nicht die zutreffenden Folgerungen aus dem Senatsurteil gezogen. Der Vorwurf einer unrichtigen Rechtsanwendung im Einzelfall führt indes nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Beschwerde möchte dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ferner den Rechtssatz entnehmen, ein wirtschaftlicher Grund wie die Zulassung eines Bebauungsplans zur nachträglichen Legalisierung einer rechtswidrigen Straße dürfe die Gebietsauswahl unter mehreren in demselben Lebensraum vorhandenen Flächen maßgeblich beeinflussen. Diesen Rechtssatz hat das Oberverwaltungsgericht indes nicht aufgestellt. Der Antragsteller folgert ihn vielmehr aus abweichenden tatsächlichen Annahmen (Beschwerdeschrift S. 24 ff.), die für die Beurteilung einer Divergenz aber außer Betracht bleiben müssen.

III. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

1. Der Antragsteller hat hilfsweise beantragt, die Verordnung für einen näher umschriebenen Zeitraum für unwirksam zu erklären. Das Oberverwaltungsgericht hat den Hilfsantrag als jedenfalls unbegründet abgelehnt. Anders als die Beschwerde meint, ist die Entscheidung auch insoweit mit Gründen versehen.

Der absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO bezieht sich auf den notwendigen (formellen) Inhalt eines Urteils (§ 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ). Im Urteil müssen die Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt werden, welche für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO ). Daran fehlt es nicht nur, wenn der Entscheidungsformel überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind (BVerwG, Urteil vom 28. November 2002 - 2 C 25.01 - BVerwGE 117, 228 <230 f.>). Von einem solchen Mangel kann keine Rede sein. Die Vorinstanz hat den Hilfsantrag mit der Begründung abgelehnt, die Verordnung sei rechtmäßig und damit wirksam. Der Hilfsantrag ist also aus denselben Gründen wie der Hauptantrag gescheitert. Diese Gründe legt das Urteil ausführlich dar. Warum es einer weiteren Begründung bedurft haben sollte, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Dies gilt auch, soweit die Beschwerde den Vorwurf eines Gehörsverstoßes andeutet.

2. Die Rüge, bei dem Umgriff der Verordnung habe der Antragsgegner gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG verstoßen, bezeichnet keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO , sondern betrifft das materielle Recht.

3. Die Beschwerde zeigt keine Verletzung des Anspruchs auf gerichtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO auf. Sie verfehlt die Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO .

Wird eine Gehörsrüge darauf gestützt, dass das Tatsachengericht relevantes Vorbringen übergangen habe, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie deutet mit Stichworten erstinstanzliches Vorbringen an, ohne sich mit dem Urteil und seinen Gründen auseinanderzusetzen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, auf eine solche Rüge das erstinstanzliche Vorbringen durchzusehen, den angegebenen Stichwörtern zuzuordnen und sodann zu prüfen, ob und in welcher Weise dieses Vorbringen in das Urteil Eingang gefunden hat. Soweit die Beschwerde ihr Vorbringen an Beispielen weiter erläutert, rügt sie die Tatsachen- und Beweiswürdigung durch die Vorinstanz, legt aber keinen Gehörsverstoß dar.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 21.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 KN 141/17