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BVerwG - Entscheidung vom 29.03.2019

2 B 50.18

Normen:
SVG § 55b Abs. 3 S. 1
SVG § 55 Abs. 1 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 29.03.2019 - Aktenzeichen 2 B 50.18

DRsp Nr. 2019/7699

Klage gegen das teilweise Ruhen der Versorgungsbezüge eines Soldaten; Kürzung der Versorgungsbezüge infolge teilweiser Kapitalabfindung

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. April 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 70 973 € festgesetzt.

Normenkette:

SVG § 55b Abs. 3 S. 1; SVG § 55 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Klägerin wendet sich als Alleinerbin ihres im Jahr 2007 verstorbenen Ehemannes, der mit Ablauf des Jahres 1992 im Rang eines Oberstleutnants in den Ruhestand getreten war, gegen das Ruhen einbehaltener Teile seiner Versorgungsbezüge. Ihr Ehemann war von 1975 bis 1984 zur Dienstleistung an das NATO Hawk Management Office beurlaubt gewesen und hatte für diese Verwendung eine Kapitalabfindung erhalten. Mit bestandskräftig gewordenem Versorgungsfestsetzungsbescheid verfügte die Versorgungsbehörde, dass die Versorgungsbezüge des Ehemanns - gemessen an der Dauer seiner Beschäftigungszeit bei der NATO - in Höhe von 19,26 v.H. seiner ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge ruhen und nicht ausgezahlt werden.

2004 beantragte der Ehemann der Klägerin, die Kürzung des Ruhegehalts aufzuheben, weil die Summe der einbehaltenen Bezüge den empfangenen Kapitalbetrag inzwischen übersteige. Die Versorgungsbehörde lehnte den Antrag ab und das dagegen geführte Vor- und das Klageverfahren sind erfolglos geblieben.

Das Oberverwaltungsgericht hat dem Klägerbegehren mit der Begründung entsprochen, die einschlägige Ruhensvorschrift sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Ruhen der Versorgungsbezüge ende, wenn die einbehaltenen Beträge den Kapitalbetrag aufgezehrt hätten. Der Einbehalt eines Teils der Versorgungsbezüge sei nur gerechtfertigt, wenn und soweit die einbehaltenen Beträge durch eine Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse gedeckt seien.

Auf die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Verfahren daraufhin ausgesetzt, um beim Bundesverfassungsgericht im Wege des konkreten Normenkontrollverfahrens die Entscheidung einzuholen, ob die gesetzliche Bestimmung, auf der die weitere Kürzung der Versorgungsbezüge infolge teilweiser Kapitalabfindung beruhe, verfassungsgemäß sei. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 23. Mai 2017 entschieden, dass die hier einschlägigen gesetzlichen Regelungen zur versorgungsrechtlichen Berücksichtigung von Dienstzeiten in einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung sowie von im Rahmen solcher Tätigkeiten zugewandter Kapitalabfindungen - insbesondere § 55b Abs. 3 Satz 1 und § 55 Abs. 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz vom 5. März 1987 in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (BGBl. I 1987 S. 843 , SVG a.F.) - verfassungsgemäß sind.

In der Folge hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der angefochtene Ruhensbescheid sei im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig gewesen und während seiner Geltungsdauer auch nicht nachträglich rechtswidrig geworden. Die dem Bescheid zugrunde liegende Rechtsvorschrift sei vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß beurteilt worden. Eine Prüfung, ob die Anwendung einer durch das Bundesverfassungsgericht bereits als verfassungsgemäß bestätigten Norm (hier: § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F.) in dem betroffenen Einzelfall zu einem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügenden Ergebnis führe, sei im Soldatenversorgungsrecht insbesondere wegen der für diesen Rechtsbereich geltenden strikten Rechtsbindung ausgeschlossen.

2. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ), die ihr die Beschwerde der Klägerin beimisst.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage,

ob das Ruhen der Versorgungsbezüge eines Soldaten nach § 55b SVG a.F., das durch die Gewährung einer Kapitalabfindung von Seiten einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung ausgelöst ist, endet, wenn der Ruhensbetrag den Kapitalbetrag erreicht.

Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist nicht gerechtfertigt, weil die aufgeworfene Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen Ruhensregelung für Versorgungsbezüge von Berufssoldaten nach durchgeführter teilweiser Kapitalabfindung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abschließend geklärt ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 und 2 BvL 28/14 - (BVerfGE 145, 249 ) entschieden, dass es weder einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG ) gibt, der die Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten im Dienste einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung zwingend anordnet oder untersagt, noch einen solchen Grundsatz, nach dem sich der Umgang mit Kapitalabfindungen aus dem Dienst in zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen bestimmt. Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber durch Anrechnungs- und Ruhensvorschriften das Ziel verfolgen darf, eine Doppel- oder Überversorgung eines Beamten zu vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. November 1980 - 2 BvL 7/76 - BVerfGE 55, 207 <239>), sowie darauf, dass Alimentationsverpflichtungen des Dienstherrn durch Anrechnungs- oder Ruhensregelungen eingeschränkt sein können, sprechen auch keine systematischen Gründe des Alimentationsprinzips gegen eine Ruhensregelung, die im Ergebnis dazu führt, dass an die Stelle der - verfassungsrechtlich nicht gebotenen - Ruhegehaltfähigkeit von Auslandsdienstzeiten eine von der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährte Versorgungsleistung tritt (BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 u.a. - BVerfGE 145, 249 Rn. 82). Auch die möglicherweise nachteiligen Konsequenzen einer ohne zeitliche Begrenzung ("Deckelung") ausgesprochenen Ruhensanordnung führt nicht zu einem Verstoß der Ruhensvorschrift gegen Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 5 GG und verletzt im Übrigen auch nicht Art. 3 Abs. 1 GG . Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine am Ende der Auslandsdienstzeit ausgezahlte Kapitalabfindung im Hinblick auf die damit verbundenen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für ihren Empfänger einen wirtschaftlichen Wert haben oder erreichen kann, der bei typischem Verlauf auch durch eine zeitlich nicht eingeschränkte Addition von Ruhensbeträgen nicht überschritten wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Betroffene die Wahl hat, die Abfindung an seinen Dienstherrn auszukehren und sich auf diese Weise einen ungekürzten Versorgungsanspruch zu sichern.

An diesem generalisierenden Maßstab des Bundesverfassungsgerichts orientiert, bleibt für die von der Beschwerde geforderte Überprüfung einer versorgungsrechtlichen Ruhensregelung für Kapitalabfindungen aus dem Dienst in zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen nach § 55b Abs. 3 Satz 1 und § 55b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. im Einzelfall kein Raum. Die strikte Bindung an die Bestimmungen des Versorgungsrechts schließt eine solche am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte Einzelfallprüfung gerade aus. Soweit sich die Beschwerde zur Begründung auf die abweichenden Ausführungen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Sache vom 27. Januar 2011 - 2 C 25.09 - (Buchholz 449.4 § 55b SVG Nr. 1 Rn. 21) stützt, kann sie damit nicht durchdringen, weil diese Überlegungen infolge der vorstehend aufgeführten neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überholt sind und der Senat deshalb an ihnen nicht festhält.

3. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) zuzulassen.

Die Beschwerde legt bereits keine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar. Sie beschränkt sich auf den Vortrag, das Berufungsgericht weiche von dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - und von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 - 7 C 13.08 - ab, indem es entgegen diesen Entscheidungen nicht beachtet habe, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die konkreten Umstände, die von typisierenden Bestimmungen - wie vorliegend § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. - nicht oder nur unzureichend erfasst würden, stets auch unabhängig von der Geltung eines "strikten Gesetzesvorbehalts" zu würdigen seien.

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann i.S.d. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 28. August 2018 - 2 B 4.18 - Buchholz 235.2 LDiszG Nr. 59 Rn. 30). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).

Die von der Beschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch generalpräventive Ausweisung eines straffällig gewordenen, seit langem in Deutschland lebenden Ausländers (Kammerbeschluss vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - BVerfGK 12, 37) ist zu den Bestimmungen über die Ausweisung nach den §§ 53 ff. des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - AufenthG - vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950 ) und damit schon nicht zu derselben Rechtsvorschrift des revisiblen Rechts i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO - hier: § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. - ergangen. Auch das des Weiteren von der Beschwerde angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 - 7 C 13.08 - (Buchholz 401.85 VwKostG Nr. 9) ist nicht zu § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG a.F. und deshalb ebenfalls nicht zu derselben Rechtvorschrift i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ergangen, sondern zu § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse - Konsulargesetz - vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022 ). Soweit die Klägerin schließlich eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts in ihrem konkreten Fall sieht, kann dies eine für den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erforderliche Rechtssatzabweichung nicht begründen.

4. Ebenso wenig kommt eine Zulassung der Revision aufgrund eines Verfahrensmangels in Betracht. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ), das Berufungsgericht habe entgegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, liegt nicht vor. Ebenso wenig ist etwas für eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) durch das Berufungsgericht erkennbar. Dabei umfasst der Begriff des Verfahrensmangels i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO allein Verstöße des Gerichts gegen verwaltungsprozessrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze.

Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 47).

Das Berufungsgericht hat weder gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO noch gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, weil auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich war. Die von der Beschwerde beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zu Kompensations- oder Anlageerträgen einer Kapitalabfindung generell und konkret auf den zu beurteilenden Fall der Klägerin übertragbar sind, ist schon keine Tatsachenfrage und hat vom Standpunkt des Berufungsgerichts nicht mehr entscheidungserheblich werden können. Sie ist vom Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 und 2 BvL 28/14 - (BVerfGE 145, 249 ) abschließend im Sinn der Auslegung des Berufungsgerichts beantwortet worden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 63 Abs. 3 Nr. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG . Der Streitwert ist in der Höhe des dreifachen Jahresbetrags der Differenz zwischen dem innegehabten und dem erstrebten Teilstatus - hier: zwischen dem von der Beklagten festgesetzten und dem von der Klägerin erstrebten Ruhensbetrag - festzusetzen.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 20.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 1 A 282/07