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BVerwG - Entscheidung vom 17.10.2019

2 B 33.19, 2 PKH 2.19

Normen:
LDG NRW § 13
LDG NRW § 67 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 17.10.2019 - Aktenzeichen 2 B 33.19, 2 PKH 2.19

DRsp Nr. 2019/16807

Klage eines Polizeikommissar gegen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision; Mängel des Disziplinarverfahrens

Eine Spielsucht stellt nur dann eine die Schuldfähigkeit ausschließende krankhafte seelische Störung dar, wenn sie zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt oder der Täter bei Geldbeschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

LDG NRW § 13 ; LDG NRW § 67 S. 1;

Gründe

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind unbegründet.

1. Der 1965 geborene Beklagte steht als Polizeikommissar im Dienst des klagenden Landes. In den Jahren 2007 und 2008 wurde der Beklagte mehrfach wegen des Diebstahls von Leergut zu Geldstrafen verurteilt. Zudem wurde der Beklagte 2007 wegen Betrugs verurteilt. Gegenstand der Disziplinarklage ist neben diesen strafgerichtlich rechtskräftig abgeurteilten Taten der Vorwurf, der Beklagte sei ab Ende 2012 bis Ende März 2014 als Auslieferungsfahrer für ein Restaurant und für mehrere Apotheken tätig gewesen, ohne diese Nebentätigkeiten angezeigt oder eine Genehmigung beantragt zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Das behördliche Disziplinarverfahren weise keine wesentlichen Mängel auf. Der Beklagte habe mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen, die ein einheitlich zu beurteilendes, teils innerdienstliches, teils außerdienstliches schwerwiegendes Dienstvergehen darstellten. Bei Würdigung aller Aspekte sei festzustellen, dass der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Auf der Grundlage des vom Senat eingeholten schriftlichen fachpsychiatrischen Gutachtens (nach ambulanter Untersuchung und fachpsychologischer Testung des Beklagten) und der mündlichen Erläuterungen des Gutachtens in der Berufungsverhandlung sei davon auszugehen, dass der Beklagte bei den einzelnen Dienstpflichtverletzungen mangels des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale nicht i.S.v. § 20 StGB schuldunfähig gewesen sei. Zwar sei auch eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Beamten unterhalb der Schwelle eines Eingangsmerkmals i.S.v. §§ 20 und 21 StGB für die Bemessungsentscheidung nach § 13 LDG NRW unter Würdigung sämtlicher be- und entlastender Umstände relevant. Die Persönlichkeitsakzentuierung und auch die Spielsucht des Beklagten habe dies zwar zur Tatzeit beeinträchtigt, allerdings in einem Rahmen, der ganz erheblich unterhalb der Schwelle eines Eingangsmerkmals gelegen und die Steuerungsfähigkeit nicht im Rechtssinne nachteilig beeinflusst habe.

2. Die Beschwerde hat keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann (§ 67 Satz 1 LDG NRW und § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ).

Die Ausführungen zu Beginn der Beschwerdebegründung ("wesentliche Mängel im Disziplinarverfahren" und "Frist zu setzen zur Behebung der wesentlichen Mängel") deuten darauf hin, dass ein Verstoß des Oberverwaltungsgerichts gegen die für das Berufungsverfahren geltenden Vorschriften der § 65 Abs. 1 und 2 und § 54 LDG NRW gerügt werden soll. Die weiteren Darlegungen lassen aber erkennen, dass es der Beschwerde um die - nach ihrer Auffassung unzureichende - Aussagekraft des vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens zur Frage einer (verminderten) Schuldfähigkeit des Beklagten bei Begehung der Dienstpflichtverletzungen geht.

Die damit der Sache nach geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 57 Abs. 1 LDG NRW, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO erfordert nach § 67 Satz 1 LDG NRW i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Aufklärungsrüge stellt zudem kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom 29. März 2017 - 2 B 26.16 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 13 Rn. 7 f. und vom 19. Februar 2018 - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6).

Hinsichtlich eines zusätzlich einzuholenden Sachverständigengutachtens ist den Tatsachengerichten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 und 412 ZPO Ermessen eröffnet. Holt das Gericht kein zusätzliches Gutachten ein, so ist dies nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits eine sachverständige Äußerung zu einem Beweisthema vor, muss es ein weiteres Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters bestehen (BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45>; Beschlüsse vom 29. Mai 2009 - 2 B 3.09 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 Rn. 7 und vom 26. September 2014 - 2 B 14.14 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 18 f. m.w.N.). Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (BVerwG, Urteile vom 15. Oktober 1985 - 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 S. 122, vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2 und vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 47; Beschlüsse vom 27. März 2013 - 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 109 Rn. 4, vom 21. Juli 2016 - 2 B 40.16 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 46 Rn. 15 und vom 16. Mai 2018 - 2 B 12.18 - Buchholz 239.1 § 36 BeamtVG Nr. 3 Rn. 9 f.).

Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht nach diesen Grundsätzen gehalten war, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.

Gegen die Annahme, es hätte sich dem Oberverwaltungsgericht auch ohne entsprechenden Antrag des Beklagten die Einholung eines weiteren Gutachtens aufdrängen müssen, spricht zunächst das Verhalten des Beklagten in der Berufungsverhandlung. Ausweislich der Niederschrift über die Berufungsverhandlung befragte der damalige Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Sachverständige und hatte zudem die Möglichkeit, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Nach dem Berufungsurteil (UA S. 25) hatte der damalige Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht nur keine Einwände gegen die Methodik und Wissenschaftlichkeit des Gutachtens erhoben, sondern war vielmehr der Einschätzung der Sachverständigen gefolgt und hatte auch eine verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten verneint.

Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB , die auch die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit des Beamten ausschließt, setzt das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, von Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit voraus. Die Annahme der verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB , die dem Ausspruch der Höchstmaßnahme regelmäßig entgegensteht (BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 34), erfordert eine erhebliche Verminderung der Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit des Täters, die ihre Ursache in einer der in § 20 StGB bezeichneten psychischen Störungen hat.

Dass beim Beklagten zum Zeitpunkt der verschiedenen Dienstpflichtverletzungen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB erfüllt gewesen sei, hat das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage der Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen verneint. Mit den Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zum Merkmal einer Persönlichkeitsstörung (UA S. 21 f.), die das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erfüllt und die das Berufungsgericht beim Beklagten als nicht gegeben ansieht, befasst sich die Beschwerdebegründung nicht substanziiert. Auch die Darlegungen in der Beschwerdebegründung zum Gesichtspunkt der Spielsucht führen nicht dazu, dass sich dem Berufungsgericht auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag des Beklagten die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage seiner Schuldunfähigkeit hätte aufdrängen müssen.

Für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts maßgeblich. Danach ist die in der Beschwerdebegründung geschilderte "Eskalation der Spielsucht" in den letzten Monaten vor dem Klinikaufenthalt des Beklagten nicht von entscheidender Bedeutung. Denn dieser Therapie hat sich der Beklagte nach der Beschwerdebegründung erst im Jahr 2018 unterzogen. Gegenstand der Disziplinarklage, die nach § 59 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme durch das Gericht maßgeblich ist, sind aber Verhaltensweisen des Beklagten im Zeitraum von Mitte Dezember 2006 bis Ende März 2014. Das Berufungsgericht hat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beklagten im Rahmen des gerichtlichen Disziplinarverfahrens - zutreffend - auf dessen Zustand im Zeitpunkt der jeweiligen Dienstpflichtverletzung, d.h. auf den Zeitraum von Mitte Dezember 2006 bis Ende März 2014, abgestellt.

Im Übrigen ist das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon ausgegangen, dass die Spielsucht nur dann eine die Schuldfähigkeit ausschließende krankhafte seelische Störung darstellt, wenn sie zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt oder der Täter bei Geldbeschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten habe (UA S. 22 f.). Solche Veränderungen hat das Berufungsgericht beim Beklagten nicht feststellen können. Auf der Grundlage dieser für das Bestehen eines Verfahrensfehlers maßgeblichen Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts, die auch der des Bundesverwaltungsgerichts entspricht (BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 S. 7 m.w.N), hätte die Beschwerdebegründung darlegen müssen, dass im Zeitraum von Dezember 2006 bis Ende März 2014 Anhaltspunkte für solche Zustände gegeben waren. Dies ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

3. Aus den Darlegungen zu 2. ergibt sich zugleich, dass auch der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten unbegründet ist. Die Rechtsverfolgung des Beklagten bietet auch unter Berücksichtigung des insoweit geltenden niedrigeren Maßstabs (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347 <357>) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW und § 154 Abs. 2 VwGO . Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 13.05.2019 - Vorinstanzaktenzeichen A 2254/16