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BVerwG - Entscheidung vom 06.05.2019

8 B 2.19

Normen:
VwRehaG § 1 Abs. 1
VwRehaG § 1 Abs. 5
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 06.05.2019 - Aktenzeichen 8 B 2.19

DRsp Nr. 2019/8855

Klärungsbedürftigkeit der Kenntnis des Eingriffs in die psychische Gesundheit des Betroffenen als Erfordernis für die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit des Eingriffs i.R.e. verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsanspruchs

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 2. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwRehaG § 1 Abs. 1 ; VwRehaG § 1 Abs. 5 ; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Die Klägerin begehrt ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung für den Zeitraum 1981 bis 1989. Seit 1981 beantragte sie mehrmals die Ausreise aus der DDR, zuletzt im Januar 1989. Am 1. März 1989 erfolgte ihre Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. Im Mai 2006 beantragte die Klägerin ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung mit der Begründung, im Zusammenhang mit ihren Übersiedlungsersuchen habe sie eine gesundheitliche Schädigung erlitten. Der Antrag wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die dagegen eingelegte Beschwerde der Klägerin, die eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht und Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat keinen Erfolg.

1. Die Klägerin legt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar. Dazu hätte sie eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwerfen müssen, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme. Das leistet die Beschwerdebegründung nicht.

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,

ob die Kenntnis des Eingriffs in die psychische Gesundheit des Betroffenen ein Erfordernis für die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit des Eingriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 VwRehaG ist,

verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie für das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich war. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass im Zeitraum von 1981 bis 1989 gegenüber der Klägerin einzelne hoheitliche Maßnahmen schlichten Verwaltungshandelns - wie etwa zeitweilige Postkontrolle oder vereinzelte Gespräche in der Abteilung Inneres der Stadtdirektion A. und im Betrieb - getroffen wurden. Es hat den Rehabilitierungsanspruch gemäß § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwRehaG jedoch mit der tragenden Erwägung abgelehnt, dass es an einem Umstand gefehlt habe, der diese Maßnahmen zu einem Gesamtkomplex verbunden hätte. Die einzelnen Maßnahmen hat es als anlassbezogene Reaktion staatlicher Stellen auf das jeweilige Handeln der Klägerin gewertet, ohne dass diesen Maßnahmen ein einheitlicher Plan zur systematischen Zersetzung oder Zermürbung der Klägerin zugrunde gelegen hätte. Auf die weitere Frage, ob die festgestellten Maßnahmen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG mit den Grundsätzen des Rechtsstaats schlechthin unvereinbar gewesen sind, kam es aus der Sicht der Vorinstanz nicht mehr an (zum Prüfprogramm vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Oktober 2003 - 3 C 1.03 - BVerwGE 119, 102 <104>).

2. Das angegriffene Urteil leidet auch nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln.

a) Die Klägerin legt einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht dar. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind. Diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 8 B 22.18 - juris Rn. 24 m.w.N.). Die Einhaltung der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Verpflichtung des Tatrichters ist jedoch nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter aus dem vorliegenden Tatsachenmaterial andere Schlüsse ziehen will als das Tatsachengericht. Eine aktenwidrige Feststellung des Sachverhalts liegt darüber hinaus nur dann vor, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher, keiner weiteren Beweiserhebung bedürftiger, zweifelsfreier Widerspruch gegeben ist. (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2019 - 6 B 120.18 - juris Rn. 13 f.). Gemessen daran begründet der Vortrag der Klägerin, das Verwaltungsgericht sei von einem aktenwidrigen, falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen, keinen Verfahrensmangel. Im Einzelnen:

Die Klägerin macht geltend, das Verwaltungsgericht sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass sie die in ihrer Person unstreitig vorliegende Schwerbehinderung (GdB 50) lediglich behaupte. Außerdem habe es den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den 1981 beginnenden Zersetzungsmaßnahmen der staatlichen Behörden der DDR und der Schwerbehinderung verkannt. Damit ist eine aktenwidrige Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht hat die Schwerbehinderung der Klägerin im Tatbestand des angegriffenen Urteils als Begründungselement ihres Rehabilitierungsantrags angeführt und deshalb in indirekter Rede wiedergegeben. Das steht mit dem Akteninhalt im Einklang. Feststellungen zu einem Zusammenhang zwischen den festgestellten staatlichen Maßnahmen der Behörden der DDR und der Schwerbehinderung der Klägerin hat das Gericht nicht getroffen, weil es aus seiner Sicht darauf nicht ankam. Insoweit kritisiert die Klägerin lediglich die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und setzt ihr ihre hiervon abweichende, eigene Würdigung entgegen.

Gleiches gilt für den Vortrag, das Verwaltungsgericht gehe unzutreffend davon aus, dass Grund für ihre Ausreiseanträge die problematische Wohnungssituation gewesen sei und ihr Ausreisebegehren wegen der Eigenschaft einiger Familienmitglieder als "Geheimnisträger" abgelehnt worden sei. Darüber hinaus habe das Gericht den Sachverhalt unvollständig wiedergegeben, weil es der Versetzung und der Kündigung der Klägerin seitens des Arbeitgebers im Jahr 1985 keinerlei Bedeutung für seine Entscheidung beigemessen habe. Weiterhin gehe es in seinem Urteil von dem unrichtigen Sachverhalt aus, dass die Klägerin bei einem Gespräch 1983 von den staatlichen Organen der DDR über die strafrechtlichen Konsequenzen des Aufsuchens der ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR lediglich belehrt worden sei. Auch mit diesem Vorbringen zeigt die Klägerin keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz auf, sondern wendet sich allein gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht.

b) Die vorbezeichneten Rügen führen - ebenso wie das weitere Vorbringen der Klägerin - auch nicht auf eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO ). Dazu hätte nicht nur eine aufklärungsbedürftige tatsächliche Frage benannt, sondern darüber hinaus dargelegt werden müssen, welche Ermittlungen sich dem Verwaltungsgericht nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung auch ohne förmlichen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis eine entsprechende Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwieweit dies zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2019 - 8 B 8.19 - juris Rn. 10 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Vortrag der Klägerin, das Gericht habe wichtige Äußerungen von ihr missverstanden oder fehlinterpretiert, bezeichnet keinen Aufklärungsmangel, sondern wendet sich allein gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung des Sachverhalts durch die Vorinstanz. Das gilt für das Vorbringen, das Gericht habe den Zusammenhang zwischen den staatlichen Maßnahmen und dem Abbruch familiärer Beziehungen verkannt, ihre Äußerungen zu ihren Gesprächen mit dem Staatssicherheitsdienst und zu dessen Drohung, "ihr Gesicht zu verändern", zu Unrecht für nicht glaubhaft gehalten und die Bedeutung ihres Einreiseantrags in die DDR fehlinterpretiert. Die Vorinstanz hat diese Umstände lediglich anders bewertet als die Klägerin. Die Beschwerdebegründung legt auch nicht dar, weshalb sich dem Verwaltungsgericht die von ihr vermisste Vernehmung sämtlicher Familienmitglieder oder weiterer Zeugen hätte aufdrängen müssen. Dass die Vorinstanz die Klägerin nicht auf die Möglichkeit eines förmlichen Beweisantrags hingewiesen hat, um eine Zeugenvernehmung zu erwirken, die nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts "ins Blaue hinein" erfolgt wäre, begründet auch keinen Verstoß gegen die gerichtliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO ).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Chemnitz, vom 02.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 K 1961/14