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BVerwG - Entscheidung vom 12.12.2019

9 A 24.19

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 12.12.2019 - Aktenzeichen 9 A 24.19

DRsp Nr. 2020/2553

Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ; Darlegungsanforderung an eine Anhörungsrüge

Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht lässt.

Tenor

Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juni 2019 - 9 A 2.18 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

Die zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet. Der Senat hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO ).

Das Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, den Vortrag der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Es soll als Prozessgrundrecht insbesondere sicherstellen, dass die zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 <143> und vom 18. Januar 2011 - 1 BvR 2441/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Das Gericht ist jedoch weder verpflichtet, den Rechtsansichten eines Beteiligten zu folgen, noch muss es sich in seinen Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen ausdrücklich befassen (stRspr des BVerfG, vgl. nur Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 <180> und Beschluss vom 2. Juli 2018 - 1 BvR 682/12 - NVwZ 2018, 1561 Rn. 19 m.w.N.). In der Regel ist davon auszugehen, dass es den Vortrag der Beteiligten pflichtgemäß zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung berücksichtigt hat. Allein die Nichterwähnung einzelner Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens rechtfertigt daher nicht den Schluss, das Gericht habe sich mit diesen Argumenten nicht befasst (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.>; Beschlüsse vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 - BVerfGE 134, 106 Rn. 32 und vom 23. Mai 2018 - 1 BvR 97/14, 2392/14 - BVerfGE 149, 86 Rn. 63).

Aus den Darlegungen der Klägerin ergibt sich nicht, dass der Senat gegen diese Grundsätze verstoßen und das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt hat.

1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, die von ihr geltend gemachten Beeinträchtigungen und Gefährdungen von Fledermäusen seien im Rahmen der habitatschutzrechtlichen Prüfung nicht berücksichtigt worden. Wie sie selbst einräumt, hat der Senat ihr diesbezügliches Vorbringen zur Kenntnis genommen und in den Entscheidungsgründen behandelt (UA S. 18 Rn. 43). Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, der Senat habe zu Unrecht ihren Vortrag wegen fehlender Rügebefugnis "nicht berücksichtigt" und sich nicht materiell zu den Gefährdungen der Fledermäuse und den Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele zweier FFH-Gebiete geäußert. Zu einer vertieften Erörterung bestand allerdings nach Auffassung des Senats keine Veranlassung, weil er insoweit die Rügebefugnis der Klägerin verneint hat. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht lässt (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216> und Beschluss vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 <143 f.>).

Soweit die Klägerin demgegenüber anführt, der Senat sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die gerügten Mängel allenfalls kleinräumige Modifizierungen der geplanten Trasse ohne Auswirkungen auf das klägerische Grundstück beträfen, tatsächlich ließen sich die vorgetragenen erheblichen Beeinträchtigungen der beiden FFH-Gebiete aber nicht durch zusätzliche Maßnahmen an der geplanten Trasse vermeiden, macht sie der Sache nach geltend, der Senat habe ihrem Vorbringen in materieller Hinsicht nicht die richtige Bedeutung beigemessen und es inhaltlich nicht zutreffend ausgelegt und bewertet. Darauf lässt sich eine Gehörsrüge nicht stützen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Juni 2019 - 2 BvR 2579/17 - juris Rn. 23 m.w.N.). Der Hinweis der Klägerin auf eine unvollständige Prüfung der Abweichungsentscheidung berücksichtigt zudem nicht, dass die im Urteil überprüfte Abweichungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde nur die festgestellten erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets "Porphyrkuppenlandschaft nordwestlich Halle" betrifft. Die in den Entscheidungsgründen angesprochenen "naturschutzfachlichen Belange", die in die bipolare Abwägung einzustellen sind (UA S. 58 Rn. 127), beziehen sich daher ebenfalls nur auf dieses FFH-Gebiet, so dass die von der Klägerin im Zusammenhang mit den FFH-Gebieten "Muschelkalkhänge westlich Halle" und "Dölauer Heide und Lindbusch bei Halle" thematisierte "Fledermausproblematik" auch deshalb hier nicht zu berücksichtigen war.

2. Ebenfalls unbegründet ist der Einwand der Klägerin, das Gericht habe auch bei der artenschutzrechtlichen Prüfung ihren Vortrag zur Gefährdung der Fledermäuse zu Unrecht wegen der Annahme einer fehlenden Rügebefugnis "nicht berücksichtigt", obwohl sie aufgezeigt habe, dass der Verbotstatbestand nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erfüllt sei und die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG nicht gegeben seien. Auch insoweit rügt sie keine verfahrensfehlerhafte Außerachtlassung ihres Vortrags, der in Rn. 135 des Urteils angesprochen ist, sondern dessen unzutreffende Bewertung und damit die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung.

3. Aus denselben Gründen geht auch die Rüge der Klägerin fehl, der Senat habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör wegen Nichtberücksichtigung ihres Vortrags zur Unanwendbarkeit des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a und zur fachlich unzulässigen Herleitung dieser Schwelle im Stickstoffleitfaden Straße verletzt, er habe ihre Kritik an den Erkenntnissen dieses Leitfadens nicht aufgenommen und das Vorbringen zu genaueren Messmethoden und zur fehlenden fachlich begründbaren Herleitung der Messuntergrenzen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen. Wie die Klägerin selbst ausführt, hat sich der Senat in seinen Entscheidungsgründen mit der Thematik befasst (zum Stickstoffleitfaden Straße allgemein UA S. 28 f. Rn. 63 f., zum Abschneidekriterium UA S. 31 f. Rn. 69 - 72) und dabei die Frage der Bedeutung messtechnischer Nachweise - insbesondere auch im Hinblick auf die Zuordnung von Stickstoffdepositionen zu einer bestimmten Quelle (UA S. 32 Rn. 71) - behandelt. In diesem Zusammenhang wurden auch die Argumente der Klägerin in Betracht gezogen und damit "erwogen", ohne ihnen allerdings inhaltlich zu folgen. Dass sie dabei nicht ausdrücklich jeweils im Einzelnen abgehandelt worden sind, begründet keine Gehörsverletzung, weil Art. 103 Abs. 1 GG dies - wie ausgeführt - nicht verlangt.

4. Mit ihren weiteren Einwänden gegen die angebliche Nichtberücksichtigung ihres Vortrages zur Befolgungsquote von Tempolimits einschließlich der Bedenken gegen die Anwendbarkeit der im HBEFA angegebenen Emissionsfaktoren sowie ihrer Kritik an der Anwendung des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N/ha/a bei der Verrechnung der verkehrsbedingten Stickstoffeinträge mit der geplanten Minderung von Stickstoffeinträgen aus benachbarten Ackerflächen und an der Validität der vom Beklagten zugrunde gelegten Verkehrsprognose legt die Klägerin ebenfalls keinen Gehörsverstoß dar. Der Sache nach rügt sie auch hier jeweils nur die materielle Unrichtigkeit der Entscheidung, die sie auf eine unzureichende inhaltliche Auseinandersetzung mit den von ihr vorgebrachten Argumenten zurückführt. Der Senat hat sich - wie die Klägerin selbst einräumt - in seinem Urteil mit allen genannten Aspekten befasst (zur Berücksichtigung der Geschwindigkeitsbeschränkungen UA S. 35 ff. Rn. 80 - 85, zur Verrechnung des Düngeverzichts unter Anwendung des Abschneidekriteriums UA S. 47 Rn. 104, zur Verkehrsprognose und den Kritikpunkten der Klägerin UA S. 53 ff. Rn. 114 - 123, speziell zu den gutachterlichen Stellungnahmen des Planungsbüros Stadt Verkehr Umwelt (SVU) Dr.-Ing. H. vom 21. November 2013 und dessen Teilaktualisierung vom 11. Februar 2019 Rn. 122 f.). Er hat dabei die Kritik der Klägerin thematisiert und ihre Argumente in Erwägung gezogen. Dass er ihnen inhaltlich nicht gefolgt ist, mag die Klägerin für falsch halten, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt darin jedoch nicht.

5. Schließlich begründet es auch keinen Gehörsverstoß, dass im Urteil zu der geltend gemachten Gefahr der Entstehung eines Kurzschlusses zwischen dem oberen und dem zweiten Grundwasserleiter nicht explizit Stellung genommen worden ist. Der Senat hat die von der Klägerin angesprochenen wasserrechtlichen Probleme in Bezug auf das Grundwasser zusammenfassend als etwaige Störungen der Grundwasserströme, physikalische bzw. mechanische Beeinträchtigung der Grundwasserkörper oder Zerschneidung und Zerstörung von Grundwasserleitern bezeichnet und sich mit diesem Vortrag einschließlich der vorgelegten Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. S. näher befasst (UA S. 68 f. Rn. 149 f.). Er hat die Ausführungen aber insgesamt als zu unsubstantiiert, abstrakt und auf bloße Vermutungen beschränkt bewertet. Dies schließt ersichtlich auch die von der Klägerin unter anderem formulierte Besorgnis eines Durchstoßens des oberen Grundwasserleiters nach unten mit Entstehung eines Kurzschlusses zum zweiten Grundwasserleiter mit ein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO . Eine Streitwertfestsetzung ist nicht notwendig, weil sich die Gerichtsgebühr aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz ergibt.