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BVerwG - Entscheidung vom 10.05.2019

6 B 20.19

Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1-2
GG Art. 12 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 10.05.2019 - Aktenzeichen 6 B 20.19

DRsp Nr. 2019/9207

Feststellung der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Platzverweises; Klärungsbedürftigkeit des Folgens eines Rehabilitationsinteresses automatisch aus der unberechtigten Einstufung als Störer im polizeirechtlichen Sinne während der Berufsausübung als Rechtsanwalt

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 8. Januar 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 113 Abs. 1 S. 4; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 -2; GG Art. 12 Abs. 1 ;

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines polizeilichen Platzverweises. Er ist Rechtsanwalt und war in den Nachtstunden des 25. Mai 2014 mit seinem Mandanten bei einem Familienstreit um den Betrieb eines Restaurants anwesend. Über den Notruf verständigte er die Polizei und forderte die Polizeibeamten nach ihrem Eintreffen auf, den Sohn des Mandanten, der sich rechtswidrig als Pächter geriere, zur Räumung des Restaurants zu zwingen. Die Polizeibeamten lehnten ein Einschreiten ab und verwiesen die streitenden Parteien auf eine zivilgerichtliche Klärung der Ansprüche. Daraufhin begaben sich der Kläger und sein Mandant in die zuständige Dienststelle der Polizei. Der dort anwesende vorgesetzte Polizeibeamte lehnte ein Einschreiten gleichfalls ab und erteilte dem Kläger und dessen Mandaten bis zum Morgen des 26. Mai 2014 einen Platzverweis für einen Umkreis von 250 m um das Restaurant. Es sei zu besorgen, dass der Kläger und sein Mandant das Restaurant noch in der Nacht erneut aufsuchen wollten und die Familienstreitigkeiten wie bereits in der Woche zuvor in einer körperlichen Auseinandersetzung münden könnten.

Die vom Kläger in eigenem Namen erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsurteil hat bereits ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Platzverweises verneint. Weder bestehe die Gefahr, dass es in absehbarer Zeit zu einer vergleichbaren Situation kommen und die Polizei erneut einen Platzverweis aussprechen werde, noch sei ein Rehabilitierungsinteresse des Klägers zu bejahen. Der auf der Polizeiwache und lediglich in Gegenwart des gleichfalls betroffenen Mandanten ausgesprochene Platzverweis sei nicht geeignet gewesen, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Eine Vorgreiflichkeit für Schadensersatzansprüche stehe nicht im Raum. Ein Feststellungsinteresse lasse sich auch nicht aus der in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Fallgruppe der tiefgreifenden Grundrechtseingriffe, gegen die nach dem typischen Verfahrensablauf gerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen sei, herleiten. Der Platzverweis sei mit Eingriffen, wie sie die Rechtsprechung vor allem bei Anordnungen, die die Unverletzlichkeit der Wohnung, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit der Person beträfen, anerkenne, nicht vergleichbar. Soweit eine Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit oder der körperlichen Bewegungsfreiheit vorgelegen haben sollte, erweise sich diese als marginal und ohne erkennbare nachteilige Wirkung für den Kläger. Das Gericht folge nicht der Auffassung, dass es die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes gebiete, auch weniger gravierende Maßnahmen dann einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, wenn es sich um sich typischerweise kurzfristig erledigende Eingriffsakte handle.

Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und einer Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer für die Revisionsentscheidung erheblichen konkreten Rechtsfrage und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerdebegründung muss daher erläutern, inwiefern das erstrebte Revisionsverfahren zur Entscheidung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann und weshalb diese Frage klärungsbedürftig sein soll (BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 1998 - 1 B 75.98 - juris Rn. 2). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

a. Das Beschwerdevorbringen wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig zunächst die Fragen auf,

"ob aus der unberechtigten Einstufung des Klägers als Störer im polizeirechtlichen Sinne während seiner Berufsausübung als Rechtsanwalt nicht bereits automatisch ein Rehabilitationsinteresse folgt?"

und

"ob ein vor den Augen seines Mandanten gegenüber einem Rechtsanwalt ausgesprochener unberechtigter Platzverweis durch einen Polizeibeamten nicht bereits per se geeignet ist, diesen in der Öffentlichkeit und im sozialen Umfeld herabzusetzen, mit der Anschlussfrage, ob nicht bereits der den Platzverweis aussprechende Polizeibeamte die Öffentlichkeit und der dabei anwesende Mandant das soziale Umfeld des Rechtsanwaltes sind?"

Zu diesen Fragen erläutert der Kläger, er habe in seiner Funktion als Organ der Rechtspflege erwarten dürfen, dass er gegenüber unberechtigten polizeilichen Eingriffen geschützt werde und ihm bei Zuwiderhandlungen der Staatsmacht eben dieses grundsätzliche Interesse zugebilligt werde. Andernfalls wäre bei gleichen Sachverhalten polizeilichen Platzverweisen kaum Einhalt zu gebieten. Auch der in der Wache anwesende Polizeibeamte und sein Mandant stellten bereits die Öffentlichkeit dar. Die rechtswidrige und erniedrigende Behandlung durch den Polizeibeamten vor den Augen des Mandanten habe für ihn nachteilige gesellschaftliche Auswirkungen gehabt, weil der Mandant davon ausgehe, dass der Kläger gegen unberechtigte und diskriminierende Maßnahmen der Polizei nichts ausrichten könne. Auch beruflich bestehe eine Auswirkung, weil sowohl der Mandant als auch der Polizist davon ausgingen, dass der Kläger in einem vergleichbaren Fall derselben Behandlung unterzogen werden könne, ohne dass er dagegen rechtlich vorgehen könne.

Diese Darlegungen entsprechen den genannten Anforderungen ersichtlich nicht, denn sie zeigen keine grundsätzlich klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf. Die Beschwerde zielt mit diesen Fragen auf das im Berufungsurteil verneinte Rehabilitierungsinteresse. Das Berufungsurteil hat zur Frage des Rehabilitierungsinteresses auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rekurriert, wonach ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung nur dann besteht, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 284 Rn. 25). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht solche Wirkungen des Platzverweises infolge der besonderen tatsächlichen Umstände und räumlichen Begebenheiten in der Polizeidienststelle verneint (UA S. 6 f.). Dieser tatrichterlichen Würdigung stellt die Beschwerde lediglich ihre eigene Würdigung entgegen, ohne damit aufzuzeigen, dass sich daraus eine grundsätzlich klärungsfähige Rechtsfrage zu der vom Berufungsgericht herangezogenen Rechtsprechung ergäbe. Im Übrigen ergibt sich aus den nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts kein Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Behauptung, der Kläger sei erniedrigt oder diskriminiert worden.

b. Weiter wirft die Beschwerde die Frage auf,

"ob ein Feststellungsinteresse des Klägers nicht bereits aus einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff gegeben ist (vgl. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2016, 1 BvR 1705/15)?"

und begründet dies damit, dass der Kläger durch den Platzverweis in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt worden sei. Er sei ausschließlich in seiner Funktion als Anwalt im Rahmen seiner Berufsausübung als Organ der Rechtspflege zusammen mit seinem Mandanten zur Wache gegangen, um mit Hilfe der Polizei dessen Rechte wahrzunehmen. Der Leiter der Polizeistation habe eine fallgerechte Berufsausübung verhindert, weil der Platzverweis jegliche weitere rechtliche Handhabe hinsichtlich der Besetzung der Gewerberäume an diesem Abend unmöglich gemacht habe. Darin liege ein tiefgreifender und nachhaltiger Grundrechtseingriff, wie auch das verlorengegangene Vertrauen des Mandanten in seine Fähigkeit zeige, gegen die Polizei etwas auszurichten und sein eigenes Zögern, bei gleichen Sachverhalten erneut die Polizei zu rufen. Überdies sei er durch den rechtswidrigen Platzverweis tiefgreifend in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit und in seiner Fortbewegungsfreiheit verletzt, weil er zwei Hauptverkehrsstraßen auf dem Weg zu seiner Wohnadresse an diesem Abend nicht mehr habe befahren dürfen.

Mit diesen Ausführungen wendet sich die Beschwerde im Kern gegen die vom Berufungsgericht im vorliegenden Einzelfall vorgenommene Würdigung, die Betroffenheit des Klägers in seiner Berufsausübungs- und allgemeinen Handlungsfreiheit erweise sich als nicht tiefgreifend, ohne aufzuzeigen, welche höchstrichterlich noch ungeklärten Fragen des revisiblen Rechts damit verbunden wären. Dies gilt auch dann, wenn man die Frage von ihrer einzelfallbezogenen tatsächlichen Einkleidung befreit und darin den generellen rechtlichen Aspekt angesprochen sieht, wie ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse eines Rechtsanwalts in Bezug auf polizeiliche Maßnahmen, die seine Anwaltstätigkeit betreffen, zu beurteilen ist. Nach dem bisherigen Stand der Rechtsprechung des Senats ist ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Eingriffsmaßnahme wie dem vorliegenden Platzverweis nicht nur in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben. Auch die Art des mit der Klage gerügten Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, kann die Anerkennung eines Feststellungsinteresses rechtfertigen, wenn sich die unmittelbare Belastung durch den schwerwiegenden Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in der die Entscheidung des Gerichts kaum zu erlangen ist. Eine (fortwirkende) diskriminierende Wirkung der behördlichen Maßnahme ist dafür nicht Voraussetzung (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7 f. und vom 25. Oktober 2017 - 6 C 46.16 [ECLI:DE:BVerwG: 2017:251017U6C46.16.0] - BVerwGE 160, 169 Rn. 20 jeweils m.w.N.). Der Beschwerdevortrag des Klägers bietet keinen Anlass, diese Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren in Frage zu stellen oder fortzuentwickeln. Insbesondere eignet sich der Fall nach dem vom Oberverwaltungsgericht bindend festgestellten Sachverhalt nicht, um die Voraussetzungen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu klären, wann polizeiliche Maßnahmen die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte anwaltliche Berufsausübung tangieren. Zwar stand der Platzverweis gegen den Kläger in Zusammenhang mit dessen beruflicher Tätigkeit als Rechtsanwalt. Die Maßnahme hatte jedoch keine berufsregelnde Tendenz. Weder zielte sie darauf ab noch war sie objektiv geeignet, die Berufsausübung des Klägers zu beeinflussen. Der Platzverweis wurde spätabends bis um acht Uhr des nächsten Morgens, d.h. für eine Nacht, ausgesprochen. Die Verantwortlichen der Polizei hatten gegenüber dem Kläger unmissverständlich erklärt, dass sie dessen Forderung, die Gastwirtschaft im Haus seines Mandanten in dieser Nacht zu räumen, nicht nachkommen würden. Weder hat der Kläger dargetan noch ist sonst ersichtlich, welches berufliche Interesse er daran hätte haben können, die Gastwirtschaft in der Nacht zu betreten oder sich ihr nochmals zu nähern.

2. Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass die Beschwerde darlegt, mit welchem, die Entscheidung tragenden, abstrakten Rechtssatz das Berufungsurteil von einem Rechtssatz abweicht, der sich dem herangezogenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2016 - 1 BvR 1705/15 - (NJW 2017, 545 ) entnehmen lässt. Eine solche Bezeichnung und Gegenüberstellung abstrakter Rechtssätze nimmt die Beschwerde nicht vor, sondern lässt es bei dem Vortrag bewenden, das Berufungsurteil beruhe auf einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung eines Rechtssatzes, den das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss aufgestellt habe. Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtsprechungsdivergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht bezeichnet. Es fehlt in der Begründung der Beschwerde ein Beleg dafür, dass das Berufungsurteil mit dem von ihm unter Berufung auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ausdrücklich in Betracht gezogenen Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen (UA S. 7 f.) von der zitierten Entscheidung abgewichen wäre.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Bremen, vom 08.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 LB 252/18