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BVerwG - Entscheidung vom 27.11.2019

8 B 32.19

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 133 Abs. 6

BVerwG, Beschluss vom 27.11.2019 - Aktenzeichen 8 B 32.19

DRsp Nr. 2020/1474

Fehlerhafte Anwendung der prozessrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit von Bescheidungsanträgen; Rechtsschutzbedürfnis für die Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag;

1. Zwar sind Ansprüche auf Erlass gebundener Verwaltungsakte grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage geltend zu machen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Maßgeblich ist vielmehr, ob im konkreten Fall ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag besteht. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Kläger - wie hier - die Gleichheitswidrigkeit der einschlägigen Regelungen zur Entschädigungsberechnung geltend macht und nicht absehen kann, in welcher Weise die geltend gemachte verfassungswidrige Ungleichbehandlung - falls sie vorliegen sollte - aufzulösen wäre.2. Sachentscheidungsvoraussetzungen sind prozessrechtlich vor und unabhängig von der Begründetheit der Klage zu klären. Danach kann sich eine Sachentscheidung, die nach dem Prozessrecht nicht hätte ergehen dürfen, auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 17. Oktober 2018 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ; VwGO § 133 Abs. 6 ;

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie rügt zu Recht, die Vorinstanz habe die Klage verfahrensfehlerhaft für unzulässig gehalten (1.). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung, da die Divergenz- und die Grundsatzrüge keine Revisionszulassung rechtfertigen (2.).

1. Die Beschwerdebegründung macht unter B. I. 1a. geltend, das Verwaltungsgericht habe die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen. Darin liegt eine Verfahrensrüge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO , weil der Kläger eine unzutreffende Anwendung der prozessrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit von Bescheidungsanträgen beanstandet. Die unter B. I. 1b. der Beschwerdebegründung gerügte Divergenz wird unter B. I. 1a. lediglich als Argument für die Unrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Zulässigkeitsbeurteilung herangezogen.

Die Annahme, die haupt- und hilfsweise gestellten Bescheidungsanträge seien unzulässig, ist in zweifacher Hinsicht prozessual fehlerhaft. Zum einen geht sie unzutreffend davon aus, ein Bescheidungsantrag dürfe nur gestellt werden, wenn der Kläger eine Ermessensentscheidung begehre oder das Gericht aus anderen Gründen gehindert oder zumindest nicht verpflichtet sei, die Sache spruchreif zu machen. Zwar sind Ansprüche auf Erlass gebundener Verwaltungsakte grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage geltend zu machen. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Maßgeblich ist vielmehr, ob im konkreten Fall ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschränkung auf einen Bescheidungsantrag besteht (BVerwG, Urteile vom 15. September 1988 - 3 C 63.86 - Buchholz 427.6 § 4 BFG Nr. 46 und vom 11. Juli 2018 - 1 C 18.17 - BVerwGE 162, 331 Rn. 23 ff., 30 f.). Das ist hier der Fall, weil der Kläger die Gleichheitswidrigkeit der einschlägigen Regelungen zur Entschädigungsberechnung geltend macht und nicht absehen kann, in welcher Weise die geltend gemachte verfassungswidrige Ungleichbehandlung - falls sie vorliegen sollte - aufzulösen wäre. Eine gegenteilige Beurteilung kann nicht auf die von der Vorinstanz in die Zulässigkeitsprüfung vorgezogenen Erwägungen zur Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften gestützt werden. Sachentscheidungsvoraussetzungen sind prozessrechtlich vor und unabhängig von der Begründetheit der Klage zu klären.

Das angegriffene Urteil beruht auf dem Verfahrensmangel, weil es nicht durch eine andere, revisionsrechtlich fehlerfreie Erwägung getragen wird. Eine solche Alternativbegründung liegt nicht in den Ausführungen zur Unbegründetheit der Klage. Zum einen können solche Erwägungen kein Prozessurteil, sondern nur ein Sachurteil tragen. Zum anderen hat das angegriffene Urteil die Klage als unzulässig und "zudem" unbegründet abgewiesen (UA S. 11). Damit hat es prozessrechtswidrig trotz Verneinens der Zulässigkeit in der Sache entschieden.

Eine entsprechende Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO kommt nicht in Betracht. Anders als in Fällen, in denen die Zulässigkeit der Klage zu Recht verneint wurde, kann hier nicht von einer Ergebnisrichtigkeit mit der Maßgabe ausgegangen werden, dass ein Prozessurteil vorliegt und die Begründetheitserwägungen als nicht geschrieben gelten (dazu vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - NVwZ 2019, 649 ). Andere als die vom Verwaltungsgericht - fehlerhaft - angenommenen Gründe für eine Unzulässigkeit von Haupt- oder Hilfsanträgen sind nicht erkennbar. Die Entscheidung kann folglich als Prozessurteil keinen Bestand haben. Ebenso wenig kann die zusätzliche, prozessrechtswidrige Abweisung der Klage als ("zudem") unbegründet in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO bestätigt werden. Eine Sachentscheidung, die nach dem Prozessrecht nicht hätte ergehen dürfen, kann sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweisen.

2. Da die Divergenz- und die Grundsatzrüge nicht durchgreifen und noch keine prozessordnungsgemäße tatrichterliche Sachentscheidung vorliegt, macht der Senat gemäß § 133 Abs. 6 VwGO von der Möglichkeit Gebrauch, das angegriffene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Divergenzrüge des Klägers rechtfertigt keine Revisionszulassung, weil sie keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, der einem die angebliche Divergenzentscheidung (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 ) tragenden Rechtssatz widerspräche. Gerügt wird lediglich, die Vorinstanz habe einen dort aufgestellten Rechtssatz unrichtig angewendet. Gleiches gilt für die Rüge, die vorinstanzliche Tatsachenwürdigung entspreche nicht den Vorgaben im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2007 - II ZR 222/06 -. Mit der Grundsatzrüge bezeichnet der Kläger keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die angestrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der fallübergreifende Bedeutung zukäme. Seine Ausführungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 - und dem Sondervotum arbeiten keine bestimmte Rechtsfrage heraus. Seine weiteren verfassungsrechtlichen Einwände kritisieren die Anwendung des § 7 EntschG im konkreten Fall, ohne rechtsgrundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen zu formulieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 , § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO . Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Dresden, vom 17.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 2870/16