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BVerwG - Entscheidung vom 24.06.2019

8 B 33.18

Normen:
VermG § 1 Abs. 6
NS-VEntschG § 1 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 24.06.2019 - Aktenzeichen 8 B 33.18

DRsp Nr. 2019/10670

Entschädigungsanspruch für den Verlust einer Aktienbeteiligung an einem Unternehmen während des NS-Regimes i.R.e. mehraktigen oder "gestreckten" Schädigung

In Bezug auf § 1 Abs. 6 VermG und § 1 Abs. 1 NS-VEntschG setzt eine mehraktige oder gestreckte Schädigung voraus, dass mehrere in einem inneren Zusammenhang stehende Teilakte auf die Entziehung desselben Vermögenswerts gerichtet sind und dessen faktische Enteignung erst mit dem letzten Teilakt vollendet wird.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 108 620,03 € festgesetzt.

Normenkette:

VermG § 1 Abs. 6 ; NS-VEntschG § 1 Abs. 1;

Gründe

Der Kläger, dem eine Entschädigung für den Verlust einer 24,925 %igen Aktienbeteiligung des Dr. S. F. an der ehemaligen M. Aktiengesellschaft, vormals A. P. (P. AG) zuerkannt wurde, begehrt eine Berechtigungsfeststellung und Entschädigung bezüglich weiterer 11,55 % (insgesamt: 36,475 %) Aktienbeteiligung an diesem Unternehmen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die dagegen eingelegte Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, hat keinen Erfolg.

1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage:

"Führte die Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 03.12.1938 (RGBl 1938 I S. 170) i.V.m. der Verfügung vom 28.08.1941 des Reichswirtschaftsministers, dass Aktien in Reichsschatzanweisungen umzuwandeln sind, und der 13. VO zum Reichsbürgergesetz vom 01.07.1943 (RGBl 1943 S. 1146), wonach das Vermögen eines Juden nach dem Tod an das Reich verfällt, zu einer gestreckten Schädigung und damit zu einer faktischen Enteignung, die einen Vermögensverlust im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG darstellt?",

verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht erheblich wäre. Sie geht von Tatsachen aus, die das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat, ohne dass der Kläger dagegen wirksame Verfahrensrügen erhoben hätte (dazu unter 2.). Die Frage würde sich nur stellen, wenn die nach Auffassung des Klägers noch zu entschädigenden, im November 1938 im Depot des Bankhauses B. für Dr. S. F. verwahrten Aktien der P. AG aufgrund der Verfügung des Reichswirtschaftsministers vom 28. August 1941 in Reichsschatzanweisungen umgetauscht worden wären. Eine solche Feststellung hat die Vorinstanz jedoch abgelehnt mit dem Hinweis, dass im Depot bereits 1941 und 1942 keine Aktien der P. AG mehr nachweisbar seien, die Reichsschatzanweisungen nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen jedoch erst seit 1943 zum Bestand gehörten.

Unabhängig davon ist die gestellte Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie ohne Weiteres anhand der bisherigen Rechtsprechung zu § 1 Abs. 6 VermG und § 1 Abs. 1 NS-VEntschG - verneinend - zu beantworten ist. Eine mehraktige oder "gestreckte" Schädigung setzt voraus, dass mehrere in einem inneren Zusammenhang stehenden Teilakte auf die Entziehung desselben Vermögenswerts gerichtet sind und dessen faktische Enteignung erst mit dem letzten Teilakt vollendet wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2003 - 7 C 10.02 - Buchholz 428 § 2a VermG Nr. 7 und vom 22. April 2004 - 7 C 15.03 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 41 S. 74 f., Beschlüsse vom 27. Juni 2006 - 3 B 183.05 - Buchholz 428.42 § 1 NS-VEntschG Nr. 2 Rn. 5 f. je a.E. und vom 23. März 2012 - 8 B 84.11 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 79 Rn. 6 f.). Eine Aktienbeteiligung geht als Mitgliedschaftsrecht an einem Unternehmen schon durch den Zwangsumtausch der Aktien in Reichsschatzanweisungen endgültig verloren. Deren Verfall kann keine Entziehung der Aktien mehr darstellen, sondern nur eine Entziehung der durch den Zwangsumtausch erworbenen Wertpapiere.

2. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

a) Zur Substantiierung eines Aufklärungsmangels (§ 86 Abs. 1 VwGO ) hätte der Kläger im Einzelnen darlegen müssen, welche tatsächlichen Fragen aufklärungsbedürftig waren, welche Beweise er angetreten hat oder welche Ermittlungen sich der Vorinstanz trotz seiner anwaltlichen Vertretung dort auch ohne förmlichen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen. Außerdem hätte der Kläger aufzeigen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich erbracht hätte und inwieweit dies nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer für ihn günstigeren Entscheidung hätte führen können (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 1998 - 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177 <182> und vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <303>). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Soweit sie sich auf die im angegriffenen Urteil als Depotauszüge aufgeführten, vom Kläger als Depotprüfungsberichte bezeichneten Unterlagen aus den Jahren 1937 bis 1942, auf die Telefonnotiz der P. AG vom 7. November 1938 und auf den im Tatbestand des Urteils zutreffend zitierten, an anderer Stelle versehentlich als Depotauszug bezeichneten Vermerk des Oberfinanzpräsidenten vom 14. Oktober 1943 bezieht, legt sie keine Ermittlungsversäumnisse dar, sondern wendet sich gegen die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung der genannten Unterlagen. Damit macht sie der Sache nach einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz geltend (dazu unten 2. c). In Bezug auf das Depot bei dem Bankhaus Ph. rügt der Kläger zwar das Unterbleiben weiterer Ermittlungen im Sächsischen Hauptstaatsarchiv. Insoweit bezeichnet er aber kein voraussichtliches Ermittlungsergebnis und legt auch nicht dar, inwieweit dieses nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer ihm günstigeren Entscheidung geführt haben könnte.

b) Die Rüge einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß substantiiert. Die Ausführungen der Beschwerdebegründung zu diesem Punkt erschöpfen sich in der Bezugnahme auf angebliche, ihrerseits nicht wirksam gerügte Ermittlungsmängel (dazu oben 2. a) und auf die ebenfalls nicht durchgreifende Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (dazu sogleich unter 2. c).

c) Verfahrensmängel wegen eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 VwGO sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Die Beschwerdebegründung legt keine unzulässige selektive Beweiswürdigung dar (aa). Aus ihrer Kritik an der verwaltungsgerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung ergibt sich auch keine sonstige als Verfahrensmangel einzuordnende Verletzung dieser Vorschrift, auf der das angegriffene Urteil nach der ihm zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Rechtsauffassung beruhen kann (bb).

aa) Der Kläger legt nicht substantiiert dar, dass das Verwaltungsgericht aus dessen Sicht entscheidungserhebliche Teile des erstinstanzlichen Prozessstoffs übergangen hätte. Dass die Depotunterlagen trotz verwaltungsgerichtlicher Aufklärungsverfügung gemäß § 87b VwGO vom 12. März 2018 erst im Beschwerdeverfahren vollständig vorgelegt wurden, ist nicht der Vorinstanz anzulasten. Die rechtzeitig vorgelegten Unterlagen hat diese im angegriffenen Urteil berücksichtigt und gewürdigt. Der Einwand des Klägers, dabei seien Depotprüfungsvermerke über stichprobenartige Prüfungen als Depotauszüge betreffend den gesamten Depotbestand fehlgedeutet worden, rügt kein Übergehen einzelner Beweismittel, sondern deren Auslegung und Würdigung.

bb) Auch insoweit führt die Beschwerdebegründung nicht auf Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz, die als Verfahrensmängel einzuordnen wären und auf denen das angegriffene Urteil beruhen könnte.

(Vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig dem sachlichen Recht zuzuordnen. Sie können deshalb grundsätzlich keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen. Eine Ausnahme kommt nur bei Fehlern in Betracht, die allein die Tatsachenfeststellung und nicht auch die Subsumtion unter die materiell-rechtliche Norm betreffen. Dazu gehören aktenwidrige Feststellungen, denkgesetzwidrige Schlussfolgerungen von Indizien auf Haupttatsachen oder sonst objektiv willkürliche Feststellungen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 Rn. 8, vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 und vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - juris Rn. 31). In diesem Sinne verfahrensfehlerhafte Feststellungen zu Tatsachen, die nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich waren, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

Mit dem Vortrag, bei den als Depotauszüge bezeichneten Unterlagen handele es sich um Depotprüfungsberichte zu nur stichprobenartigen Prüfungen, die sich jedenfalls 1941 nicht auf die Aktien der P. AG erstreckt hätten, sind keine solchen Mängel dargetan. Nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz kam es nicht darauf an, welche der - auch in der Klageerwiderung nebeneinander verwendeten - Bezeichnungen als Depotauszüge, Depotprüfungsberichte oder Depotnachweise die vorgelegten Urkunden zum Depotbestand am treffendsten beschrieb. Entscheidungserheblich war aus der Sicht der Vorinstanz vielmehr, ob die am 6. April 1939 noch als Depotbestand ausgewiesenen Aktien der P. AG im Nennwert von insgesamt 92 400 RM bereits 1941 und 1942 nicht mehr zum Bestand gehörten oder ob sie erst später durch Zwangsumtausch in Reichsschatzanweisungen daraus ausschieden.

Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich keine Aktenwidrigkeit der verwaltungsgerichtlichen Annahme, die P. AG-Aktien hätten bereits 1941 und 1942 nicht mehr zum Depotbestand gehört. Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem zweifelsfreien, ohne weitere Beweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen und dem Akteninhalt vor (BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1999 - 4 BN 41.99 - juris Rn. 24 und vom 25. Mai 2016 - 7 BN 1.15 - W+B 2016, 152 <154>). Ein solcher Widerspruch ist hier nicht dargelegt. Der Hinweis des Klägers auf die einleitenden Bemerkungen im Depotnachweis für 1941 reicht dazu nicht aus. Zweifelsfrei lassen sie allenfalls erkennen, dass die Depotprüfung 1941 auf einen Teilbestand ("Aktien bis mit K ... und vier Gattungen fest verzinslicher Werte") beschränkt wurde, der etwa vorhandene P. AG-Aktien nicht umfasste. Zur Frage, ob diese Aktien noch zum restlichen, 1941 ungeprüften Teilbestand des Depots gehörten, verhalten sich die vom Kläger bezeichneten Ausführungen nicht. Der Kläger legt auch nicht dar, dass sonstiger Akteninhalt diese Frage für 1941 - und erst recht für 1942 - offensichtlich und ohne weitere Beweiswürdigung zweifelsfrei in seinem Sinne beantwortete.

Ein Verstoß gegen die Denkgesetze ist ebenfalls nicht dargetan. Denkgesetzwidrig ist eine Schlussfolgerung nicht schon, wenn sie nach Auffassung des Beschwerdeführers unrichtig, fernliegend, nicht zwingend oder unwahrscheinlich ist. Es muss sich vielmehr um Schlussfolgerungen handeln, die aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 Rn. 8 m.w.N.). Das trifft auf die verwaltungsgerichtliche Annahme, die P. AG-Aktien hätten bereits 1941 und 1942 nicht mehr im Depot des Bankhauses B. gelegen, nicht zu. Sollte die Urkunde für 1941 sich nur auf andere Aktien beziehen, wäre sie insoweit unergiebig. Die Schlussfolgerung wäre dann nicht zwingend, aufgrund dieser Urkunde aber auch nicht denklogisch ausgeschlossen. Mit den übrigen Einwänden gegen die verwaltungsgerichtliche Annahme, die betreffenden Aktien seien möglicherweise in das Depot bei dem Bankhaus Ph. verlagert und jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zwangsweise in Reichsschatzanweisungen umgetauscht worden, wird gleichfalls kein Verstoß gegen die Denkgesetze und keine sonst objektiv willkürliche Beweiswürdigung dargetan. Der Kläger stellt insoweit lediglich der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung seine eigene, abweichende Würdigung der vorgelegten Urkunden und der Konsequenzen diskriminierender Verfügungsbeschränkungen entgegen.

Schließlich legt der Kläger nicht dar, dass die von ihm für zutreffend gehaltene Beweiswürdigung zu einer ihm günstigeren Entscheidung hätte führen können. Die Beschwerdebegründung bezeichnet es nur als "durchaus möglich", dass die jedenfalls bis 1939 im Depot des Bankhauses B. verwahrten Aktien der P. AG im Nennwert von 92 400 RM, (jedenfalls) "zuletzt" 60 400 RM, Dr. F. noch im Zeitpunkt seiner Ermordung zustanden und verfolgungsbedingt dem Reich verfielen. Eine vorherige Umwandlung in Reichsschatzanweisungen hält der Kläger für "wahrscheinlich" (vgl. Seite 5 der Beschwerdebegründung). Beide Annahmen betreffen einander ausschließende Geschehensabläufe, ohne darzutun, dass entweder der eine oder der andere sich mit der vom Verwaltungsgericht - ungerügt - für erforderlich gehaltenen überwiegenden Wahrscheinlichkeit realisiert hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: VG Berlin, vom 03.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 29 K 92.16