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BVerwG - Entscheidung vom 19.12.2019

1 B 83.19

Normen:
AufenthG § 11 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 19.12.2019 - Aktenzeichen 1 B 83.19

DRsp Nr. 2020/3158

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision; Möglichkeit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate

Es ist geklärt, dass in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG in unionsrechtskonformer Auslegung des Aufenthaltsgesetzes regelmäßig eine von Art. 3 Nr. 6 Richtlinie 2008/115/EG geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbotes von bestimmter Dauer gesehen werden kann.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger zu 1, 3 und 4 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. September 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kläger zu 1, 3 und 4 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je 1/3.

Normenkette:

AufenthG § 11 Abs. 2 ;

Gründe

Die allein auf eine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 11. November 2011 - 5 B 45.11 - juris Rn. 3). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken. Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG , eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. April 2017 - 1 B 22.17 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 67 Rn. 4 und vom 27. Juni 2018 - 1 B 33.18 - juris Rn. 4).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

a) Die Beschwerde wirft zunächst als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf,

"ob eine Befristung auf 30 Monate (des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG ) vorgenommen werden darf, wenn lediglich keine Gründe für eine kürzere Befristungsdauer gegeben sind."

Dies bezeichnet nicht eine dem revisiblen Recht zuzuordnende Rechtsfrage, sondern macht der Sache nach geltend, dass das Oberverwaltungsgericht eine im Ergebnis unzutreffende Entscheidung getroffen hat. Die Einwände richten sich gegen die Auswahl und Gewichtung der Ermessenserwägungen und legen nicht in Auseinandersetzung mit der in der angegriffenen Entscheidung sowie der dort herangezogenen Rechtsprechung klärungsfähige oder -bedürftige Fragen zu gesetzesunmittelbaren Ermessensvorgaben dar. Welche Ermessenserwägungen anzustellen sind, ist indes eine Frage der Umstände des jeweiligen Einzelfalles, die sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt. Fallübergreifende verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden.

b) Die mit der Beschwerde weiter als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen,

"ob eine Befristung rechtmäßig erfolgen kann, wenn eine Entscheidung (über die) Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach der neuen Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG fehlt,

ob eine Befristungsentscheidung rechtmäßig sein kann, wenn keine Anordnungsentscheidung ergeht bzw. nicht ergangen ist und

ob die geänderte Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG immer zum Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes zwingt oder

ob diese Vorschrift auch in der jetzt geltenden Fassung richtlinienkonform dahin auszulegen ist, dass immer eine einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung zu ergehen (hat)."

rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind.

Eine von Art. 3 Nr. 6 Richtlinie 2008/115/EG geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbotes von bestimmter Dauer kann in unionsrechtskonformer Auslegung des Aufenthaltsgesetzes regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gesehen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 - Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 5 Rn. 72). Diese Rechtsprechung ist zu dem für die vorliegende Anfechtung gegen die Befristungsentscheidung in Ziffer 6 des angefochtenen Bescheides vom 21. Februar 2017 maßgeblichen § 11 Abs. 1 AufenthG i.d.F. des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386 ) ergangen. Ob die Befristungsentscheidung mit der Begründung auf Seite 10 des angefochtenen Bescheides vom Regelfall der Annahme einer Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes abweicht, ist eine der grundsätzlichen Klärung nicht zugängliche (Tat)Frage des Einzelfalles, worauf die Beschwerde selbst zutreffend hinweist. Da in der vorliegenden Anfechtungssituation gegen Ziffer 6 des Bescheides vom 21. Februar 2017 auf die genannte Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG abzustellen ist, kommt es auf die Frage, ob die Vorschrift in der "geänderten" Fassung des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294 ) zum Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes zwingt und immer eine Einzelfallentscheidung zu ergehen hat, entscheidungserheblich nicht an. Letztere Frage würde die Zulassung der Revision selbst bei unterstellter Entscheidungserheblichkeit schon deshalb nicht rechtfertigen, weil sie sich bei sachgerechter Gesetzesinterpretation (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>) unmittelbar aus dem Gesetz selbst und seiner Begründung beantworten lässt. Danach ist mit der Neufassung der Rechtsprechung des Senats Rechnung getragen worden, und anstelle des bisherigen Automatismus ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot durch Verwaltungsakt zu erlassen (BT-Drs. 19/10047 S. 31), der bereits gemäß der gesetzlichen Definition in § 35 Satz 1 VwVfG eine Regelung im Einzelfall darstellt.

Vor diesem Hintergrund ist die Revision - selbständig tragend - auch deswegen nicht zuzulassen, weil sie insoweit Fragen ausgelaufenen Rechts betrifft, ohne den insoweit erhöhten Anforderungen an die Darlegung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO , 25. Aufl. 2019, § 132 Rn. 11) zu entsprechen, soweit es das bei Erlass des angegriffenen Bescheides geltende Recht zur Prüfung hätten stellen wollen. Weiterhin verkennt die Beschwerdebegründung, dass auch eine Ermessensentscheidung die bei Fehlen individueller Gründe für die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes in bestimmter, durch ermessenslenkende Vorgaben geprägter Weise ergeht, auf einer einzelfallbezogenen Abwägungsentscheidung beruht, deren Gleichförmigkeit wegen des festzustellenden (und hier durch die Beklagte im Bescheid festgestellten) Fehlens individueller Gründe keinen Bedenken begegnet. Die von der Beschwerde vermissten Erwägungen zur "Befristung oberhalb der gesetzlichen Mindestfrist (= Null Monate)" folgen dann aus dem durch die Befristungsermächtigung gezogenen Rahmen und den allgemeinen Zwecken des zu befristenden Einreise- und Aufenthaltsverbotes.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG ; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 30.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 10789/19