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BVerwG - Entscheidung vom 25.06.2019

1 C 40.18

Normen:
AufenthG § 2 Abs. 9
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 6 Abs. 3
AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
DVAuslG 1980 Art. 1
ARB Art. 7 2/76

Fundstellen:
BVerwGE 166, 77

BVerwG, Urteil vom 25.06.2019 - Aktenzeichen 1 C 40.18

DRsp Nr. 2019/16973

Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung für Drittstaatsangehörige; Generelle Visumpflicht für türkische Staatsangehörige

Die generelle Visumpflicht für türkische Staatsangehörige (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 AufenthG ), die durch Art. 1 der Elften Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes ( DVAuslG ) vom 1. Juli 1980 mit Wirkung vom 5. Oktober 1980 eingeführt wurde, verstößt nicht gegen das "Stillhaltegebot" des Art. 7 ARB 2/76. Die Visumpflicht zur Familienzusammenführung fällt als "neue Beschränkung" zwar in den zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der assoziationsrechtlichen Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76, sie ist aber aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationskontrolle gerechtfertigt und geht mit Blick auf die Möglichkeit, nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG von der Einreise mit dem erforderlichen Visum abzusehen, bei unionsrechtskonformer Auslegung insbesondere nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus. Das Gleiche gilt in Bezug auf das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug (§ 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 9 AufenthG ). Auch dieses bewirkt zwar eine "neue Beschränkung" für den Ehegattennachzug, auch sie ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Insbesondere geht dieses Erfordernis nach Einfügung der Härtefallklausel des § 30 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 AufenthG nicht über das zur Zielerreichung Erforderliche hinaus; denn sie ermöglicht eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und verhindert, dass fehlende deutsche Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung eines Nachzugsantrags führen.

Tenor

Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13. November 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Normenkette:

AufenthG § 2 Abs. 9 ; AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ; AufenthG § 6 Abs. 3 ; AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ; DVAuslG 1980 Art. 1 ; ARB Art. 7 2/76;

Gründe

I

Die Klägerin, eine im Jahr 1964 geborene türkische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

Der Ehemann der Klägerin ist ebenfalls türkischer Staatsangehöriger. Er reiste 1995 nach Deutschland ein. Nach einem erfolglosen Asylverfahren heiratete er eine deutsche Staatsangehörige. Er ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und seit April 2006 bei einer Bäckerei beschäftigt. Nach Scheidung von seiner deutschen Ehefrau heiratete er im August 2004 die Klägerin. Das Ehepaar hat drei erwachsene Kinder, die in der Türkei bzw. in Deutschland und Österreich leben.

Bereits im Jahr 2007 hatte die Klägerin bei der deutschen Botschaft in A. ein Visum zum Ehegattennachzug zu ihrem Ehemann beantragt. Diesen Antrag sowie zwei weitere Visumanträge aus dem Jahr 2011 hatte die deutsche Botschaft wegen unzureichender Deutschkenntnisse der Klägerin abgelehnt.

Im März 2013 reiste die Klägerin mit einem von der niederländischen Botschaft in A. ausgestellten Schengen-Visum in die Niederlande ein, um ihre dort lebende Schwester zu besuchen. Im April 2013 reiste sie weiter zu ihrem Ehemann nach Deutschland.

Im Mai 2013 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Sie leide an einer chronischen Anämie sowie schlecht eingestelltem Diabetes mellitus (Typ 2) und sei außerdem Analphabetin. Sie sei deswegen auf die Hilfe ihres Ehemannes angewiesen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom März 2014 ab, weil die Klägerin nicht gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nachgewiesen habe, dass sie sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne, und weil sie ohne das erforderliche nationale Visum in das Bundesgebiet eingereist sei.

Das Verwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 30 Abs. 1 AufenthG . Dem stehe nicht entgegen, dass sie sich unstreitig nicht, wie es § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfordere, in deutscher Sprache verständigen könne. Denn diese Bestimmung stehe nicht im Einklang mit den Stillhalteklauseln des Assoziationsrechts (Art. 7 ARB 2/76 bzw. Art. 13 ARB 1/80). Auch der Verstoß gegen das Visumerfordernis (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 AufenthG ) könne der Klägerin nicht entgegengehalten werden. Denn die Notwendigkeit für türkische Staatsangehörige, ein Visum zum Ehegattennachzug einzuholen, verstoße gegen die Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76. Die Einführung der Visumpflicht für den Ehegattennachzug durch die am 5. Oktober 1980 in Kraft getretene Elfte Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 1. Juli 1980 (BGBl. I S. 782 ) bewirke eine neue Beschränkung im Sinne der Stillhalteklauseln, weil das Visumerfordernis aufgrund des Prüfungsumfangs, der damit verbundenen Kosten und der Verfahrensdauer sowie der Folgen einer möglichen Ablehnung eine nicht unerhebliche Erschwernis für den begünstigten türkischen Arbeitnehmer mit sich bringe. Zwar habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seiner jüngsten Rechtsprechung Einschränkungen zu Lasten der Arbeitnehmer und Selbstständigen zugelassen, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Diese Voraussetzung sei hier jedoch nicht erfüllt.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen (Sprung-)Revision hat die Beklagte insbesondere geltend gemacht, der Klägerin könne wegen der fehlenden Sprachkenntnisse und zudem auch deshalb keine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug erteilt werden, weil sie nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Visum eingereist sei. Das Visumerfordernis verstoße nicht gegen eine Stillhalteklausel.

Mit Beschluss vom 26. Januar 2017 - BVerwG 1 C 1.16 - hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Fragen betreffend die Auslegung der assoziationsrechtlichen Stillhalteklauseln des Art. 7 ARB 2/76 und Art. 13 ARB 1/80 eingeholt.

Mit Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - hat der EuGH entschieden, dass Art. 7 ARB 2/76 dahin auszulegen ist, dass eine in der Zeit vom 20. Dezember 1976 bis 30. November 1980 eingeführte Maßnahme des nationalen Rechts wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung für Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines türkischen Arbeitnehmers sind, der sich regelmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält, davon abhängt, dass diese Staatsangehörigen vor der Einreise in das Hoheitsgebiet dieses Staates ein Visum zur Familienzusammenführung einholen, eine "neue Beschränkung" im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Eine solche Maßnahme kann jedoch aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationsströme gerechtfertigt sein; sie ist aber nur zulässig, soweit die Einzelheiten ihrer Umsetzung nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinausgehen.

Die Beklagte trägt im fortgesetzten Revisionsverfahren vor: Mit dem Urteil des EuGH vom 7. August 2018 stehe bindend fest, dass in der Zeit vom 20. Dezember 1976 bis 30. November 1980 eingeführte Maßnahmen des deutschen Rechts, mithin auch die Einführung der allgemeinen Visumpflicht für türkische Staatsangehörige im Jahr 1980, eine "neue Beschränkung" im Sinne des Art. 7 ARB 2/76 darstellten. Die Einführung des Visumverfahrens könne aber aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationsströme gerechtfertigt sein, soweit diese Maßnahme nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinausgehe. Zur Klärung der Frage, ob der Klägerin unter Härtefallgesichtspunkten eine Ausreise in ihr Heimatland zur Nachholung des Visumverfahrens zumutbar sei und ob in ihrem Fall von dem Nachweis von Deutschkenntnissen abzusehen sei (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG ), sei der Rechtsstreit an das Tatsachengericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin trägt vor: Nach der Entscheidung des EuGH vom 7. August 2018 sei davon auszugehen, dass der im Jahr 1980 eingeführte Visumzwang für türkische Staatsangehörige gegen die Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 verstoße. Die Rechtfertigung einer solchen Maßnahme aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationsströme setze nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Prüfung des konkreten Einzelfalls voraus, die von der Beklagten nicht vorgenommen worden sei. Ihr - der Klägerin - sei die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar, da sie aufgrund gesundheitlicher und sonstiger Einschränkungen auf die Lebenshilfe und den persönlichen Beistand ihres Ehemannes angewiesen sei.

Der Vertreter des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an.

II

Die (Sprung-)Revision der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) hat Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht, indem es davon ausgeht, dass der Klägerin der Verstoß gegen das Visumerfordernis (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 AufenthG ) nicht entgegengehalten werden könne, weil das Visumerfordernis mit der Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 nicht vereinbar sei (1.). Es hat weiterhin verkannt, dass das Spracherfordernis (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG ) unionsrechtskonform ist, weil zum Zeitpunkt seiner Entscheidung mit der Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG bereits eine weitere Ausnahme vom Erfordernis der deutschen Sprachkenntnisse galt, ohne dass es die Voraussetzungen dieser Härtefallregelung geprüft hat (2.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen, unter denen im Einzelfall von Spracherwerbsbemühungen abzusehen ist (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG ), und den Möglichkeiten, nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausnahmsweise vom Visumerfordernis abzusehen, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden; die Sache ist daher an das Verwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ) (3.).

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, BVerwG Urteil vom 28. April 2015 - 1 C 21.14 - BVerwGE 152, 76 Rn. 12 m.w.N.). Der revisionsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet ( Aufenthaltsgesetz - AufenthG ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162 ), zuletzt geändert mit Wirkung vom 1. August 2018 durch das Gesetz zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (Familiennachzugsneuregelungsgesetz) vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147 ).

1. Bundesrecht verletzt die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass das nach nationalem Recht bestehende Visumerfordernis beim Ehegattennachzug zu einem türkischen Arbeitnehmer, dem die Klägerin unterfällt (1.1), mit der assoziationsrechtlichen Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 nicht vereinbar sei, sodass der Klägerin schon deswegen ein Verstoß gegen das Visumerfordernis (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 AufenthG ) nicht entgegengehalten werden könne (1.2).

1.1 Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nach der nationalen Rechtslage visumpflichtig ist, sie ohne das erforderliche Visum nach Deutschland eingereist ist und daher die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 AufenthG nicht erfüllt (s.a. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 C 1.16 - BVerwGE 157, 221 Rn. 22 f.).

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 sowie Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 81 S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung (EU) 2017/850 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 133 S. 1), bedürfen türkische Staatsangehörige für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich der vorherigen Erteilung eines Visums. Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. November 2010 - 1 C 17.09 - BVerwGE 138, 122 Rn. 19 und vom 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 - BVerwGE 138, 353 Rn. 20).

Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts erstrebte die Klägerin von Anfang an einen Daueraufenthalt, um die Ehe mit ihrem türkischen Ehemann zu führen. Die Klägerin ist demgegenüber "nur" mit einem niederländischen Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum (§ 6 Abs. 3 AufenthG ) eingereist.

Die Klägerin ist auch nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung ( AufenthV ) ausnahmsweise berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, denn auch bei unterstelltem Anspruch auf ein Visum zum Ehegattennachzug (dazu 2.) ist hier die Ehe als wesentliche Voraussetzung für den Ehegattennachzug nicht nach der Einreise (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 - BVerwGE 138, 353 Rn. 26 f.), sondern bereits vor der Einreise der Klägerin in das Bundesgebiet (am 3. August 2004 in der Türkei) geschlossen worden.

1.2 Die generelle Visumpflicht für türkische Staatsangehörige, die durch Art. 1 der Elften Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes ( DVAuslG ) vom 1. Juli 1980 (BGBl. I S. 782 ) mit Wirkung vom 5. Oktober 1980 eingeführt wurde, verstößt entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht gegen das "Stillhaltegebot" des Art. 7 ARB 2/76. Die Visumpflicht zur Familienzusammenführung fällt als "neue Beschränkung" zwar in den zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich der assoziationsrechtlichen Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 (1.2.1). Sie ist aber aus Gründen der effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationskontrolle gerechtfertigt und geht mit Blick auf die Möglichkeit, nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Einreise mit dem erforderlichen Visum abzusehen, bei unionsrechtskonformer Auslegung insbesondere nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus (1.2.2).

1.2.1 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seinem Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 [ECLI:EU:C:2018:632], Yön - entschieden, dass die Einführung des Visumzwanges mit Wirkung vom 5. Oktober 1980 sowohl in den zeitlichen (Rn. 40 ff.) als auch in den sachlichen (Rn. 57 ff.) Anwendungsbereich des Art. 7 ARB 2/76 fällt und eine "neue Beschränkung" für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch einen türkischen Staatsangehörigen bewirkt (Rn. 71), weil sie die Voraussetzungen für die Familienzusammenführung verschärft (Rn. 68, 71; s.a. EuGH, Urteil vom 29. März 2017 - C-652/15 [ECLI:EU:C:2017:239], Tekdemir - Rn. 31).

1.2.2 Der EuGH hat in seinem Urteil aber auch seine inzwischen gefestigte Rechtsprechung (s. nur EuGH, Urteile vom 7. November 2013 - C-225/12 [ECLI:EU:C:2013:725], Demir - Rn. 40; vom 10. Juli 2014 - C-138/13 [ECLI:EU:C:2014:2066], Dogan - Rn. 37; vom 12. April 2016 - C-561/14 [ECLI:EU:C:2016:247], Genc -Rn. 51 ff. und vom 29. März 2017 - C-652/15 - Rn. 39 ff.) bekräftigt, dass eine neue Beschränkung im Sinne von Art. 7 ARB 2/76 zulässig sein kann, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten und nicht über das dafür Erforderliche hinausgeht. Dies ist hier der Fall (s. bereits BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 C 1.16 - BVerwGE 157, 221 Rn. 34 f.).

Die Einführung des Visumzwanges für türkische Staatsangehörige war hier im Interesse einer effektiven Einwanderungskontrolle und der Steuerung der Migrationsströme und damit aus auch unionsrechtlich anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 77) geeignet und erforderlich (s. bereits BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 C 1.16 - BVerwGE 157, 221 Rn. 35 f.). Das für die Einreise zum Ehegattennachzug erforderliche Visum soll gewährleisten, dass die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für den Nachzug bereits vor der Einreise geprüft werden (s.a. EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 79 f.).

Die Visumpflicht geht auch nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus (zu diesem Erfordernis EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 81 ff.) und ist in diesem Sinne auch verhältnismäßig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Visumverfahren nur eine Verzögerung, nicht aber eine dauernde Verhinderung des ehelichen Zusammenlebens bewirkt (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 - BVerwGE 138, 353 Rn. 31). Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit auch im Einzelfall ermöglicht das nationale Recht in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mittels einer Härtefallklausel, durch die besonderen Umständen des Einzelfalls, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar machen, Rechnung getragen werden kann. Die Einreise ohne das erforderliche Visum führt danach nicht "automatisch" zur Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Vielmehr ist vor einer derartigen Ablehnung in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf eine Nachholung des Visumverfahrens aufgrund besonderer Umstände zu verzichten ist. Bei dieser Entscheidung sind auch die Grundrechte der Betroffenen - namentlich das Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC - zu berücksichtigen. Um einer nicht mehr verhältnismäßigen nachträglichen Beschränkung der Nachzugsvoraussetzungen entgegenzuwirken, ist § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in diesen Fällen unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass bei Unzumutbarkeit, das Visumverfahren im Herkunftsland nachzuholen, das der Behörde eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist (s.a. EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 86).

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht weiterhin dadurch, dass es in Bezug auf das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 9 AufenthG ) einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln des Assoziationsrechts bejaht und dabei verkannt hat, dass mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juni 2015 (BGBl. I S. 1386 ), das am 1. August 2015 in Kraft getreten ist, mit § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG eine weitere Ausnahme vom Erfordernis der deutschen Sprachkenntnisse eingeführt worden war. Das Spracherfordernis bewirkt zwar eine "neue Beschränkung" für den Ehegattennachzug (2.1), die aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (2.2) und insbesondere nicht über das zur Zielerreichung Erforderliche hinausgeht (2.3).

2.1 Die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I S. 1970) zum 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (auch) zu einem sich ordnungsgemäß in Deutschland aufhaltenden türkischen Arbeitnehmer, dass der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ), ist eine "neue Beschränkung" im Sinne der assoziationsrechtlichen Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 bzw. Art. 7 ARB 2/76. Denn sie hat dazu geführt, dass hierdurch die erstmalige Aufnahme der Ehegatten türkischer Staatsangehöriger in Deutschland strengeren Voraussetzungen unterworfen wird, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stillhalteklauseln galten (EuGH, Urteile vom 12. April 2016 - C-561/14 - Rn. 44, 50; vom 29. März 2017 - C-652/15 - Rn. 31; vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 68; vgl. auch zu Art. 41 Abs. 1 ZP: EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-138/13 - Rn. 36; s.a. BVerwG, Urteil vom 6. November 2014 - 1 C 4.14 - BVerwGE 150, 276 Rn. 14).

2.2 Das nach der nunmehr maßgeblichen aktuellen Rechtslage geltende Spracherfordernis ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteile vom 7. November 2013 - C-225/12 - Rn. 41, vom 10. Juli 2014 - C-138/13 - und vom 12. April 2016 - C-561/14 -) gerechtfertigt; denn es dient der Integration der Nachzugswilligen (s.a. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 C 1.16 - BVerwGE 157, 221 Rn. 15 f., 18 f.).

In der Rechtssache Dogan hat der EuGH zwar noch offengelassen, ob die von der deutschen Regierung für diese Beschränkung angeführten Gründe, die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und die Förderung der Integration, zwingende Gründe des Allgemeininteresses sein können. Er hat jedoch in der jüngeren Rechtsprechung eindeutig zu erkennen gegeben, dass das Ziel der Gewährleistung einer erfolgreichen Integration einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann (EuGH, Urteil vom 12. April 2016 - C-561/14 - Rn. 55 f.). In diesem Zusammenhang wies er auf die Bedeutung hin, die Integrationsmaßnahmen im Rahmen des Unionsrechts beigemessen wird, wie es sich aus Art. 79 Abs. 4 AEUV und aus mehreren Richtlinien (u.a. die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung <ABl. L 251 S. 12>) ergibt, denen zufolge die Integration von Drittstaatsangehörigen entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts beiträgt (EuGH, Urteil vom 12. April 2016 - C-561/14 - Rn. 55). Im Urteil vom 9. Juli 2015 - C-153/14 [ECLI:EU:C:2015:453], K. und A. - Rn. 53, betreffend die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 - hat der Gerichtshof im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ferner ausgeführt, dass der Erwerb von Sprachkenntnissen die Verständigung zwischen den Drittstaatsangehörigen und den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats deutlich erleichtert und darüber hinaus die Interaktion und die Entwicklung sozialer Beziehungen zwischen ihnen begünstigt. Auch erleichtert der Erwerb von Sprachkenntnissen den Zugang zu Berufsausbildung und Arbeitsmarkt. Das Spracherfordernis ist daher geeignet, das Ziel einer erfolgreichen Integration zu gewährleisten.

2.3 Nach der Einfügung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG geht das Erfordernis des Spracherwerbs vor der Einreise auch nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus. Denn dem Gesetzgeber ging es gerade um eine Verbesserung der Ausgangslage der Nachziehenden; den Nachweis von Deutschkenntnissen nach der Einreise sah er als nicht in gleichem Maße wirksam an, ein eigenständiges Sozialleben in Deutschland zu ermöglichen, wie die Nachweispflicht vor der Einreise (BT-Drs. 16/5065 S. 173; vgl. auch Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 19. März 2015 - C-153/14 - Rn. 35).

Die Verhältnismäßigkeit im Übrigen wird - jedenfalls bei deren unionsrechtskonformer Auslegung und Anwendung - durch die Härtefallklausel des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG , die während des Klageverfahrens in Kraft getreten ist, gesichert. Denn sie ermöglicht eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und verhindert, dass fehlende deutsche Sprachkenntnisse automatisch zur Ablehnung eines Nachzugsantrags führen (BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 C 1.16 - BVerwGE 157, 221 Rn. 17). Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit des Bemühens um den Erwerb einfacher Sprachkenntnisse können in der Person des Ehegatten oder in äußeren Umständen liegende Gründe sein, z.B. Alter, Gesundheitszustand des Betroffenen, seine kognitiven Fähigkeiten, die Erreichbarkeit von Sprachkursen oder die zumutbare tatsächliche Verfügbarkeit eines Sprachlernangebots (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses BT-Drs. 18/5420 S. 26).

3. Der Rechtsstreit ist zur weiteren Klärung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ), weil für eine abschließende Entscheidung des Senats die erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowohl für die Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG (3.1) als auch zur Frage fehlen, ob nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eine Ausnahme vom Visumerfordernis zu machen ist (3.2).

3.1 Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG nicht geprüft und deswegen keine hinreichenden Tatsachenfeststellungen zu der Frage getroffen, ob es der Klägerin aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen.

Das Verwaltungsgericht wird in diesem Zusammenhang zu prüfen haben, ob es der Klägerin angesichts ihres Gesundheitszustandes und des geltend gemachten Betreuungsbedarfs zumutbar ist, in der Türkei über einen längeren Zeitraum selbstständig zu leben und an Sprachkursen teilzunehmen, oder ob sie so stark von der Hilfe und persönlichen Unterstützung ihres Ehemannes abhängig ist, dass er sie in die Türkei begleiten müsste, damit sie dort das Verfahren zur Erteilung des erforderlichen Visums nachholen kann (s. EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 86 <zur Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG>).

Ferner sind Feststellungen dazu erforderlich, ob der Klägerin aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten der Erwerb der erforderlichen einfachen Kenntnisse der deutschen Sprache innerhalb angemessener Zeit möglich ist. Es sind weiterhin Feststellungen zur Verfügbarkeit, Erreichbarkeit und den Kosten von Sprach- und Alphabetisierungskursen in der Nähe des letzten - bzw. eines möglichen - Wohnortes der Klägerin in der Türkei zu treffen. Bemühungen zum Erwerb einfacher schriftlicher und mündlicher Kenntnisse der deutschen Sprache sind allenfalls dann von vornherein unzumutbar, wenn ausgeschlossen werden kann, dass diese innerhalb eines Jahres zu einem irgendwie gearteten Fortschritt führen. Ein Bemühen um Spracherwerb ist auch von demjenigen zu verlangen, bei dem aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten nur der Erwerb mündlicher Sprachkenntnisse erfolgversprechend erscheint (BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 - BVerwGE 144, 141 Rn. 28).

Diese Feststellungen sind nach den bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO ) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht schon nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG entbehrlich. Denn hiernach ist die Klägerin vom Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse nicht deswegen befreit, weil ihr der Spracherwerb wegen einer Krankheit oder Behinderung unmöglich ist. Auch die mit einer Erstalphabetisierung im Erwachsenenalter allgemein verbundenen Schwierigkeiten reichen für eine Ausnahme nach § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2010 - 1 C 8.09 - BVerwGE 136, 231 Rn. 16 und vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 - BVerwGE 144, 141 Rn. 17).

3.2 Hinreichende tatsächliche Feststellungen fehlen weiterhin zu der Frage, ob im Fall der Klägerin aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls von dem Erfordernis eines Visumverfahrens abgesehen werden kann bzw. abzusehen ist.

Es kann schon nicht festgestellt werden, ob die Voraussetzungen eines (gebundenen) Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ), weil dies von der auf der Grundlage der vorliegenden Feststellungen nicht möglichen Entscheidung über das Eingreifen der Härtefallklausel des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG abhängt (s. II 3.1).

Für eine Prüfung, ob gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG in unionsrechtskonformer Auslegung (s.o. II 1.2.2) von dem Visumerfordernis abzusehen ist, weil es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen, fehlen ebenfalls hinreichende Feststellungen.

Für diese Prüfung ist insbesondere erheblich, ob die Klägerin aufgrund gesundheitlicher Probleme oder anderer Schwierigkeiten so stark von der Hilfe und persönlichen Unterstützung ihres Ehemannes abhängig ist, dass dieser sie in die Türkei begleiten müsste, damit sie in diesem Drittstaat das Verfahren zur Erteilung des erforderlichen Visums nachholen kann (EuGH, Urteil vom 7. August 2018 - C-123/17 - Rn. 86). Auch kommt es darauf an, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes voraussichtlich dauert und welche Auswirkungen eine vorübergehende Ausreise der Klägerin für die Ehe und ihren Ehemann hätte (BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 Rn. 26).

3.3 Wegen des möglichen Wegfalls einer Tatsacheninstanz sieht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 5 Satz 1 VwGO ) ab und verweist den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurück.

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG ).

Vorinstanz: VG Stuttgart, vom 13.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 3155/15
Fundstellen
BVerwGE 166, 77