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BVerwG - Entscheidung vom 28.01.2019

1 B 72.18

Normen:
VwGO § 166
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 133 Abs. 3 S. 3
ZPO § 114
GG Art. 116 Abs. 1
BVFG § 1
BVFG § 2

BVerwG, Beschluss vom 28.01.2019 - Aktenzeichen 1 B 72.18

DRsp Nr. 2019/3569

Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten; Prüfung des Vorliegens einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage im Rahmen des Vertriebenenrechts

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2018 wird verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 166 ; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 ; VwGO § 133 Abs. 3 S. 3; ZPO § 114 ; GG Art. 116 Abs. 1 ; BVFG § 1 ; BVFG § 2 ;

Gründe

I. Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ).

II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt hat.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

1.1 Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (BVerwG, Beschluss vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 m.w.N.).

1.2 Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

a) Soweit die Beschwerde für klärungsbedürftig hält,

"ob ein nach dem 01.01.1993 im Bundesgebiet (also im Bereich des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937) aufgenommener Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit, dessen Vertriebenenstatus vor dem 01.01.1993 bereits entstanden war, Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG geworden ist"

und

"ob der Abkömmling dieses Vertriebenen, der aufgrund der Verhältnisse in den Vertreibungsstaaten nicht ausgereist ist, dann, wenn er aufgrund einer Zustimmung einer deutschen Behörde Aufnahme gefunden hat, [D]eutscher im Sinne des Grundgesetzes wird, obwohl seine Eltern noch nicht aufgenommen wurden",

setzt sich die hierauf bezogene Beschwerdebegründung schon nicht hinreichend mit dem Hinweis des Berufungsgerichts auseinander, dass Art. 116 Abs. 1 GG einen Gesetzesvorbehalt enthält, der jedenfalls für Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (dazu Kokott, in: Sachs, GG , 8. Aufl. 2018, Art. 116 Rn. 2) durch das Bundesvertriebenengesetz ausgefüllt wird, welches umfassend und grundsätzlich abschließend die Voraussetzungen sowohl der Vertriebeneneigenschaft als auch der Aufnahme regelt.

Die bloße Behauptung eines vom ausgestaltenden Bundesvertriebenengesetz , insbesondere der Legaldefinition der §§ 1 ff. BVFG , losgelösten weitergehenden verfassungsunmittelbaren Vertriebenenbegriffs im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG scheidet umso mehr aus, als bereits § 1 Abs. 2 BVFG (in der Fassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 19. Mai 1953, BGBl. I S. 201 ) den Vertriebenenbegriff über den verfassungsrechtlichen Begriff des sog. Statusdeutschen erweitert. Dass die im Jahre 1961 in K. (Sibirien/Russland) geborene Klägerin in dem Sinne unmittelbar von Vertreibung und Verfolgung während oder unmittelbar nach Ende des Krieges betroffen war und damit im Sinne unabhängig von den erweiternden Regelungen des Bundesvertriebenengesetzes des Art. 116 Abs. 1 GG ein "Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit" (s. Vedder/Lorenzmeier, in: von Münch/Kunig, GG , Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 116 Rn. 37) sein könnte, ist von dem Berufungsgericht nicht festgestellt und scheidet auch sonst aus. Unabhängig davon folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 116 Abs. 1 GG , dass ohne die Erweiterung durch das Bundesvertriebenengesetz Abkömmlinge nur dann erfasst sind, wenn sie gemeinsam mit einem Flüchtling oder Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit Aufnahme gefunden haben. Soweit die Klägerin mithin rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf in Bezug auf Art. 116 Abs. 1 GG geltend macht, steht einer hinreichenden Darlegung entgegen, dass die Klägerin die Auseinandersetzung der diese Regelung kraft verfassungsgesetzlicher Ermächtigung ausformenden einfachgesetzlichen Regelungen durch Rechtsbehauptungen ersetzt.

b) Unzureichend sind auch die Darlegungen zu den als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen,

"ob die Klägerin, unabhängig von ihrem Status als Abkömmling eines Vertriebenen, dadurch, dass sie als Spätaussiedlerin durch Erteilung des Aufnahmebescheides im Bundesgebiet Aufnahme gefunden hat, Deutsche im Sinne des Grundgesetzes ist und zwar auch dann, wenn ihr keine Spätaussiedlerbescheinigung erteilt wurde",

und

"ob [die Klägerin] unabhängig davon, ob sie eine Spätaussiedlerbescheinigung hat oder nicht, die Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG erworben hat".

Die Beschwerde setzt sich bereits nicht hinreichend mit der eindeutigen einfachgesetzlichen Rechtslage auseinander, dass nach § 4 Abs. 3 BVFG in der Fassung, die diese Regelung zum 1. Januar 1993 erhalten hat, Personen, die - wie die Klägerin - nach dem 1. Januar 1993 die im Bundesvertriebenengesetz bezeichneten Aussiedlungsgebiete verlassen haben, nur noch dann "Aufnahme" in die Bundesrepublik Deutschland finden, wenn sie Spätaussiedler i.S.d. § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG , mithin im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes deutscher Volkszugehörigkeit (§ 6 BVFG ) sind, wobei hierfür grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Übersiedlung (hier also das Jahr 1998) abzustellen ist. Dann aber gehen mit Blick auf die vom Berufungsgericht festgestellte rechtskräftige Ablehnung der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG die Erwägungen zur Trennung der Spätaussiedlereigenschaft von der Erteilung der Spätaussiedlereigenschaft, die zudem an das zu einer anderen Problemkonstellation ergangene Urteil des Senats vom 25. Oktober 2017 (- 1 C 21.16 - BVerwGE 160, 128 ) anknüpfen, ins Leere.

Unabhängig davon ist die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Fragen nicht dargelegt. Denn berufungsgerichtlich ist weder festgestellt, dass die Klägerin Spätaussiedlerin ist, noch dass sie im Bundesgebiet im Rechtssinne Aufnahme "gefunden" habe. Die der Klägerin erteilte Aufnahmebescheinigung klärt nicht die Spätaussiedlereigenschaft, die sich zudem von derjenigen eines Vertriebenen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG unterscheidet; sie erlaubt zudem auch nur die Einreise im Wege des Aufnahmeverfahrens, ohne selbst den Aufnahmevorgang zu beenden.

c) Bei der weiterhin aufgeworfenen Frage,

"ob die Gesetzesänderung auch erworbene Vertriebenenstatuten trifft und ob es überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist, dass ein noch im Ausland lebender Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder deutscher Staatsangehörigkeit, der diesen Status bereits erworben hat, von seinen Rechten und Vergünstigungen inklusive de[s] Erwerb[s] der Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ausgeschlossen werden kann",

fehlt es bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, weil sie einen "Statuserwerb" einer noch im Vertreibungs- bzw. Aussiedlungsgebiet lebenden Person voraussetzt, ohne dass der behauptete "Statuserwerb" - die Stellung einer Statusdeutschen kann damit schon deswegen nicht gemeint sein, weil dieser an eine auch im Rechtssinne erfolgte "Aufnahme" anknüpft - im Einklang mit dem Art. 116 Abs. 1 GG ausformenden Bundesvertriebenengesetz nachvollziehbar hergeleitet wird. Namentlich setzt sich die Beschwerde nicht mit den Ausführungen auseinander, mit denen das Berufungsgericht eine abgeleitete Vertriebeneneigenschaft der Klägerin nach § 7 Satz 1 BVFG (a.F.) abgelehnt hat (UA S. 11 f.). Soweit die Frage dahin zu verstehen sein sollte, ob der Gesetzgeber befugt ist, die Rechtsfolgen, die an eine Vertriebeneneigenschaft anknüpfen, oder die Voraussetzungen für die Aufnahme der Vertriebenen im Zeitverlauf zu verändern, wäre sie weder in dieser Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich noch mit Blick auf den Gesetzesvorbehalt in Art. 116 Abs. 1 GG klärungsbedürftig.

2. Das Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe wesentliche Teile des Vorbringens der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, legt eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) ebenfalls schon nicht hinreichend dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

2.1 Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Das Gericht ist rechtlich nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen, auch schützt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht vor Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Februar 1967 - 2 BvR 658/65 - BVerfGE 21, 191 <194> und vom 12. Oktober 1988 - 1 BvR 818/88 - BVerfGE 79, 51 <62>); er gebietet auch nicht, der Rechtsauffassung oder Bewertung eines Beteiligten zu folgen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 6. August 2012 - 5 B 55.12 - juris Rn. 3). Die Umstände, die hiernach eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör möglich erscheinen lassen, sind darzulegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

2.2 Solche besonderen Umstände legt die Beschwerde nicht dar.

a) Soweit die Klägerin ein Übergehen ihres Vorbringens rügt, sie habe als Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit oder deutscher Staatsangehörigkeit Aufnahme in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 gefunden, ist dieses Vorbringen ausweislich des Tatbestandes (UA S. 5 und 7) zur Kenntnis genommen und in den Entscheidungsgründen (UA S. 12) der Sache nach erwogen worden.

b) Der Einwand der Beschwerde, die Bezugnahme auf das Urteil vom 19. Juni 2001 - 1 C 26.00 - des Bundesverwaltungsgerichts sei fehlerhaft und irrelevant, beanstandet eine Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, ohne einen Gehörsverstoß zu bezeichnen.

c) Das Oberverwaltungsgericht hat entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht § 100 BVFG übersehen, sondern der Sache nach im Zusammenhang mit den Erwägungen zu § 7 BVFG a.F. (UA S. 11 f.) erwogen, ebenso § 100 Abs. 2 Satz 3 BVFG (UA S. 12).

d) Das Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es Art. 116 Abs. 1 GG i.V.m. § 4 BVFG nicht angewandt habe, rügt im Gewand der Gehörsrüge von vornherein allein eine - vermeintlich - fehlerhafte Rechtsanwendung des Berufungsgerichts.

3. Die Beschwerde ist zu verwerfen, soweit mit ihr begehrt wird, die Revision wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage zuzulassen. Weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, so ist zwar gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Berufung zuzulassen; einen entsprechenden Zulassungsgrund sieht indes § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision nicht vor.

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Thüringen, vom 30.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen KO