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BSG - Entscheidung vom 15.07.2019

B 13 R 199/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 128 Abs. 1 S. 1

BSG, Beschluss vom 15.07.2019 - Aktenzeichen B 13 R 199/18 B

DRsp Nr. 2019/12937

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verstöße gegen die Grenzen der freien Beweiswürdigung

1. Verstöße gegen die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG können zur Aufhebung des Urteils in der Revision führen.2. Gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 SGG kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision - anders als die Revision selbst - nicht auf einen Verfahrensmangel wegen Verletzung des § 128 Abs. 1 S. 1 SGG gestützt werden.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Juli 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 128 Abs. 1 S. 1;

Gründe:

I

Mit Urteil vom 4.7.2018 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensmängel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG ).

II

Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

1. Die Klägerin beruft sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 11.10.2018 zunächst darauf, dass die Auseinandersetzung des LSG mit den im Verfahren eingeholten Gutachten einige Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) bzw das Urteil deswegen auf einem Verfahrensmangel beruhe (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Hierzu führt sie unter Punkt II.1. der Begründung aus, das LSG habe dem Sachverständigen Dr. L. unterstellt, nur rudimentär psychische Befunde erhoben zu haben, weshalb es dessen Gutachten für nicht überzeugend gehalten habe. Insoweit habe das Gericht eigene Sachkunde suggeriert, die es nicht besitze. Vielmehr hätte es einer sachverständigen Auseinandersetzung bedurft, die aber nicht stattgefunden habe. Es stelle sich die Frage, ob das LSG die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten habe. Unter Punkt II.2. der Begründung setzt sie sich damit auseinander, dass das LSG das Gutachten Dr. L. nicht als schlüssig bezeichnet habe, weil "depressive Störung und Angst" keine nach ICD-10 definierte Diagnose sei und entweder "rezidivierende Depression im Sinne einer affektiven Störung" oder "Angst und Depression gemischt" im Sinne einer neurotischen Störung vorliegen könne. Diesbezüglich stelle sich die Frage, ob ein Gericht in seiner Beweiswürdigung solche Wertungen treffen könne, "die dem ärztlichen oder Sachverständigenbereich zuzuordnen" seien. Schließlich habe das Gericht die Aussagen des Sachverständigen Dr. L. zur Frage, ob eine Besserung ihres (der Klägerin) Zustands zu erwarten sei, als widersprüchlich angesehen. Insoweit habe es aber im Rahmen der gebotenen Amtsermittlung eine mündliche Erläuterung des Sachverständigengutachtens veranlassen müssen, auch ohne dass ein Antrag hierzu hätte gestellt werden müssen (Punkt II.3. der Beschwerdebegründung). Abschließend macht sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache "insgesamt" geltend, weil sich der vorliegende Rechtsstreit von den durch das BSG und die Instanzen bisher zur Frage seelisch bedingter Störungen entschiedenen Konstellationen unterscheide (Punkt III. der Beschwerdebegründung).

2. Die Beschwerdebegründung der Klägerin genügt damit nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

a) Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - Juris RdNr 4). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG ) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ).

b) Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, wenn sie unter Bezugnahme auf die vom LSG vorgenommene Würdigung des Gutachtens Dr. L. unter Punkt II.1. der Begründung die Frage stellt, ob das LSG die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten habe und unter Punkt II.2. die Frage, ob ein Gericht in seiner Beweiswürdigung die dort beschriebenen Wertungen treffen könne. Zwar können Verstöße gegen die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 S 1 SGG zur Aufhebung des Urteils in der Revision führen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 128 RdNr 10 ff). Jedoch übersieht die Klägerin, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision - anders als die Revision selbst - nicht auf einen solchen Verfahrensmangel wegen Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann. Allein ein solcher Verfahrensmangel wird aber mit dem dargestellten Vorbringen zu Punkt II.1. und II.2. der Begründung angesprochen.

c) Die oben unter II.2.a) beschriebenen Anforderungen werden auch verfehlt, soweit die Klägerin eine Verletzung der gebotenen Amtsermittlung (§ 103 SGG ) rügt, weil das LSG keine mündliche Erläuterung des Sachverständigengutachtens veranlasst hat. Wie bereits ausgeführt ist eine solche Rüge nur statthaft, wenn sie sich auf einen vom LSG zu Unrecht übergangenen Beweisantrag bezieht. Die Beschwerdebegründung macht jedoch selbst deutlich, dass ein solcher Beweisantrag von der Klägerin nicht gestellt worden ist.

Daher kann diesem Vorbringen auch keine zulässige Rüge des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) entnommen werden. Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BSG , dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG , § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397 , 402 , 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (vgl BSG Beschluss vom 27.9.2018 - B 9 V 14/18 B - Juris RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13 mwN). Eine Verletzung dieses Rechts setzt aber einen entsprechenden Antrag voraus, den die Klägerin ausweislich der Beschwerdebegründung gerade nicht gestellt hat.

3. Darüber hinaus genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 S 3 SGG , soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft.

a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG , wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - Juris RdNr 6 mwN).

b) Die Klägerin formuliert unter Punkt II.1. die Frage:

"Darf ein Gericht eine fachliche Beurteilung über das eingeholte Sachverständigengutachten abgeben, insbesondere über die Art und Weise, wie die zur Beurteilung notwendigen Befunde gewonnen werden bzw. ob ausreichend Befunde erhoben worden sind?"

Zudem wirft sie unter Punkt II.2. die Fragen auf,

"ob ein erkennendes Gericht bei der Beweiswürdigung eigene fachärztliche Bewertungen des Sachverständigengutachtens vornehmen darf?", bzw

"ob ein Gericht in seiner Beweiswürdigung solche Wertungen treffen kann, die dem ärztlichen oder Sachverständigenbereich zuzuordnen sind".

Diese Fragen erfüllen die Zulässigkeitsanforderungen schon deshalb nicht, weil sie sich alle auf die Grenzen der Beweiswürdigung des Gerichts, insbesondere im Zusammenhang mit der Beurteilung von Sachverständigengutachten beziehen. Entscheidungserheblich wären diese Fragen nur, wenn das LSG den im Revisionsverfahren festzustellenden Maßstäben nicht genügt hätte und das angegriffene Urteil somit wegen einer Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG verfahrensfehlerhaft wäre. Zwar können prinzipiell auch prozessuale Fragen grundsätzliche Bedeutung haben und eine Rechtsfortbildung im Verfahrensrecht erfordern. Dies darf aber nicht zur Umgehung von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG führen, soweit dieser die Nachprüfbarkeit von Verfahrensmängeln einschränkt ( BSG Beschluss vom 25.6.2013 - B 12 KR 83/11 B - Juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - Juris RdNr 22). Die Klägerin hat ausweislich der Beschwerdebegründung selbst erkannt, dass sich die von ihr unter Punkt II.1. und II.2. vorgebrachten Rügen im Kern auf einen vermeintlichen Verfahrensmangel wegen Verstoßes gegen die Grenzen der freien Beweiswürdigung beziehen, deren Geltendmachung mit der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch ausgeschlossen ist (siehe oben unter 1.). Damit ist ihr gleichzeitig der Weg versperrt, die damit zusammenhängenden prozessualen Fragen erfolgreich zum Gegenstand einer Grundsatzrüge zu machen.

c) Soweit sich die Klägerin abschließend unter Punkt III. ihrer Beschwerdebegründung nochmals auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft, werden auch hier die diesbezüglichen Anforderungen verfehlt. Es mangelt bereits an der Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage. Diese ist aber unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 181).

Zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache trägt die Klägerin unter Punkt III. vor, die Rechtsprechung des BSG habe seelische Störungen immer wie körperliche Krankheiten behandelt, wenn sie durch Willensentschlüsse des Betroffenen nicht oder nicht mehr zu beheben sind (Hinweis auf BSG Urteil vom 12.9.1990 - 5 RJ 88/89 - SozVers 1991, 81 ). Dem seien die Instanzgerichte gefolgt. Der vorliegende Rechtsstreit weiche von den bisher entschiedenen Konstellationen dadurch ab, dass Dr. L. ihr attestiert habe, dass ihre Beschwerden zunehmend chronifiziert und fixiert seien und er lediglich unter optimalen Bedingungen eine geringe Heilungschance sehe. Die grundsätzliche Bedeutung bestehe darin, dass oftmals nur nach jahrelanger Behandlung zuverlässig zu beurteilen sei, ob noch eine Heilungschance bestehe. Deshalb habe das LSG zumindest eine Rente auf Zeit prüfen müssen.

Damit hat die Klägerin gerade keine abstrakt-generelle Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - Juris RdNr 8 mwN). Vielmehr zielt ihr Vorbringen im Kern ausschließlich auf die Rechtsanwendung durch das LSG im Einzelfall, mithin auf die inhaltliche Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Hierauf kann aber - wie bereits oben ausgeführt - die Beschwerde nicht zulässig gestützt werden.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 04.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 4830/16
Vorinstanz: SG Heilbronn, vom 14.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 190/15