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BSG - Entscheidung vom 09.12.2019

B 1 KR 91/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 09.12.2019 - Aktenzeichen B 1 KR 91/18 B

DRsp Nr. 2020/1299

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Kenntnisnahme von Parteivortrag

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. November 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Die Klägerin, die unter der Einzelfirma BBP Bewehrungsbau Petersen ein Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern betrieb, bevollmächtigte Herrn Y, Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen "aus den Vorjahren im Rahmen der U1 und U2 nach dem AAG " mit der beklagten Krankenkasse abzurechnen und die Erstattungsbeträge in Empfang zu nehmen (2.1.2012). 65 % der Erstattungsbeträge sollten bei Herrn Y verbleiben; der Rest an die Klägerin ausgezahlt werden. Hierfür händigte die Klägerin dem Bevollmächtigten die Lohn- und Gehaltsunterlagen für die Jahre 2008 bis 2011 aus. Die Beklagte erstattete aufgrund von Anträgen des Herrn Y für angebliche, tatsächlich nicht stattgefundene jeweils dreitägige Krankheitszeiten für zwei Mitarbeiter der Klägerin insgesamt 6542,72 Euro. Die Gelder überwies sie auf ein in der Vollmacht genanntes Konto des Herrn Y. Nachdem es zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen Herrn Y gekommen war, forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattungsbeträge zurück (§ 4 Abs 2 Aufwendungsausgleichsgesetz - AAG ), zuletzt in Höhe von 6493,50 Euro. Klage und Berufung der Klägerin hiergegen sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat - teilweise unter Bezugnahme auf die Gründe des SG -Urteils - ausgeführt, die Klägerin habe zumindest fahrlässig gehandelt. Soweit die Klägerin pauschal bestreite, die Vollmachtsurkunde vom 2.1.2012 unterzeichnet zu haben, habe der Senat hieran im Hinblick auf die Identität der darauf befindlichen Unterschrift und des Firmenstempels mit denjenigen auf der von der Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen zugestandenen Einverständniserklärung keinen ernsthaften Zweifel. Y habe trotz des Missbrauchs der ihm wirksam erteilten Vertretungsmacht nicht als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt. Die Risiken einer vom Innenverhältnis nicht gedeckten Ausübung der Vertretungsmacht träfen grundsätzlich den Vertretenen, der sich im Außenverhältnis gleichwohl die Erklärungen des Vertreters und dessen Kenntnisse zurechnen lassen müsse (§§ 164 Abs 1 Satz 1, 166 Abs 1 BGB ). Die Auflistungen der Erstattungsbeträge gegenüber der Klägerin stellten keine Verwaltungsakte dar, die der geltend gemachten Rückforderung entgegenstehen könnten (Hinweis auf BSG Urteil vom 31.5.2016 - B 1 KR 17/15 R - juris; LSG-Beschluss vom 15.11.2018).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ; dazu 1.) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ; dazu 2.).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.

Die Klägerin sieht als von der Revision zu klärende Rechtsfrage an, "ob die Krankenkasse - hier die Beklagte - vom Arbeitgeber - hier der Klägerin - gezahlte Erstattungsbeiträge nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 AAG auch dann zurückfordern kann, wenn der Arbeitgeber die Erstattungsbeiträge gar nicht selbst erhalten hatte".

Hierzu erläutert sie, die Erstattungsbeträge seien von der Beklagten an Y gezahlt worden, der sie nicht an sie weitergeleitet habe.

Die Klägerin legt jedoch schon die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage nicht dar. Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass die Leistung an einen Dritten - wie hier die Zahlungen an Y - Erfüllungswirkung herbeiführt, wenn dieser vom Gläubiger entsprechend § 185 Abs 1 BGB ermächtigt ist, im eigenen Namen die Leistung in Empfang zu nehmen (§ 362 Abs 2 BGB ; zur entsprechenden, durch die Regelung des § 6 Abs 2 AAG nur eingeschränkten Anwendung der Grundsätze des bürgerlichen Rechts vgl BSGE 121, 194 = SozR 4-7912 § 96 Nr 1, RdNr 19).

2. Die Klägerin bezeichnet auch einen Verfahrensfehler nicht hinreichend. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24 , 36). Daran fehlt es.

a) Die Klägerin legt nicht in der gebotenen Weise dar, dass das LSG gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen hat (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG , Art 47 Abs 2 Charta der Grund- rechte der EU, Art 6 Abs 1 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK ). Sie trägt vor, das LSG habe ihren Vortrag, Y habe die ihm eingeräumte Vertretungsmacht offensichtlich missbraucht und dies sei der Beklagten aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht aufgefallen, übergangen. Die Klägerin legt jedoch nicht dar, wieso das LSG ihr Vorbringen nicht dadurch zur Kenntnis genommen hat, dass es ihren erstinstanzlichen Vortrag mit den Worten wiedergibt: "Im Übrigen trage die Beklagte ein Mitverschulden. Die Vollmacht und die Einverständniserklärung hätten Anlass für Nachfragen geben müssen, da eine Überweisung an Dritte unüblich sei. Die Beklagte habe bei Antragsbearbeitung schwerste Fehler gemacht, die sie jetzt nicht ihr aufbürden könne". Entsprechendes gilt, soweit das LSG den Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren wie folgt wiedergibt: "Im Übrigen treffe die Beklagte ein erhebliches Mitverschulden. Anders als bspw. die AOK habe sie die Anträge des Y nicht zum Anlass genommen, mit dem Lohnbüro der Klägerin Rücksprache zu halten". Das Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht regelmäßig nur dazu, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es beinhaltet indes keinen Anspruch auf Übernahme des von einem Beteiligten vertretenen Rechtsstandpunkts (vgl BSG Beschluss vom 31.8.2012 - B 1 KR 32/12 B - RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2013 - B 1 KR 68/12 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.5.2018 - B 1 KR 99/17 B - juris RdNr 6).

b) Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe es "unterlassen zu ermitteln - bzw. der Beklagten aufzugeben zu erläutern -, wie sich die geforderten Erstattungsbeträge der Höhe nach zusammensetzen", legt sie den Verfahrensmangel der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG ) nicht hinreichend dar. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - juris RdNr 5). Hierzu gehört nach stRspr des BSG die Darlegung, dass ein - wie hier die Klägerin - anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 10.7.2019 - B 1 KR 52/18 B - juris RdNr 8 mwN).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 Satz 1 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das LSG keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, innerhalb der vom LSG gesetzten Frist diesem ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 5 mwN).

Die Klägerin legt keinen Verfahrensmangel in diesem Sinne dar. Sie benennt bereits keinen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren förmlichen Beweisantrag. Sie trägt lediglich vor, weder das SG noch das LSG habe die Zusammensetzung des geforderten Betrages geprüft. Dass sie nach Zugang der Anhörungsmitteilung einen entsprechenden förmlichen Beweisantrag gestellt habe, behauptet sie selbst nicht.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG . Die Klägerin zählt im Streit über die Umlagepflicht nach dem AAG zu den kostenprivilegierten Beteiligten (vgl entsprechend BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 9 RdNr 22-23; BSGE 121, 185 = SozR 4- 7862 § 11 Nr 1, RdNr 20; vgl auch BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 3 RdNr 8 f).

Vorinstanz: LSG Mecklenburg-Vorpommern, vom 15.11.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 6 SV 1/18
Vorinstanz: SG Rostock, vom 26.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 1 SV 2/14