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BSG - Entscheidung vom 29.07.2019

B 13 R 277/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 29.07.2019 - Aktenzeichen B 13 R 277/18 B

DRsp Nr. 2019/12335

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Merkmale eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags Nicht anwaltlich vertretener Kläger

1. Für Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags gelten geringere Anforderungen, wenn ein Kläger in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war. 2. Aber auch ein unvertretener Kläger muss dem Gericht gegenüber verdeutlichen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 2018 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe:

I

Mit Urteil vom 27.7.2018 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab Februar 2005 verneint. In einem früheren gerichtlichen Verfahren war der Beginn der Rente vergleichsweise auf Januar 2011 festgelegt worden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich ausschließlich auf einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ) durch das LSG. Mit der Beschwerdeschrift hat er zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt.

II

1. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.7.2018 ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114 , 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG ua nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die vom Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG nicht erfolgreich sein kann. Der Kläger hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 28.12.2018 bereits begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 S 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt wäre. Solche Erfolgsaussicht besteht hier nicht, weil die Beschwerde unzulässig ist (dazu unten 2.).

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

2. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 S 3 SGG und ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

In der Beschwerdebegründung macht der Kläger ausschließlich den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ) durch das LSG geltend. Dem LSG habe auffallen müssen, dass es den Verweisungsberuf des Verdrahtungstechnikers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gebe. Zudem habe im Rahmen der Amtsermittlung die von ihm (dem Kläger) immer wieder behauptete und bereits am 5.4.2005 durch Dr. R. als seit 1991 bestehend attestierte soziale Phobie mehr Beachtung finden müssen. Darüber hinaus hätten die durch Frau Dr. G. 2010 festgestellten orthopädischen Beeinträchtigungen mehr erforscht werden müssen. Vor dem Hintergrund der sozialen Phobie habe seine Willenserklärung beim Abschluss des Vergleichs über Zahlung und Beginn der Rente hinterfragt werden müssen. Wenn das LSG ausführe, der Vergleich sei nicht nach § 119 BGB anfechtbar, verkenne es, dass kein unbeachtlicher Motivirrtum vorliege. Vielmehr mache er einen vom Erklärungsinhalt abweichenden Willen geltend. Die Begründung der Auslegung der Willenserklärung durch das LSG überzeuge nicht. "Gleiches" gelte auch für die vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Das LSG habe sich gedrängt sehen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Damit genügt der Kläger nicht den Anforderungen an die Bezeichnung des vermeintlichen Verfahrensmangels. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - anders als hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 18c mwN). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn der Kläger in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war (vgl BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 6; BSG Beschluss vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - Juris RdNr 5). Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - Juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 27.7.2016 - B 1 KR 38/16 B - RdNr 4). Erfolgt eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit eines unvertretenen Klägers, hat er diese Verdeutlichung grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung vorzunehmen. Schweigt darüber die Sitzungsniederschrift, genügt es, dass ausnahmsweise besondere Umstände den Schluss nahe legen, dass er auch in der mündlichen Verhandlung an der Forderung nach weiterer Beweiserhebung festgehalten hat ( BSG Beschluss vom 8.5.2018 - B 1 KR 3/18 B - Juris RdNr 5).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht, weil in ihr nicht dargelegt wird, dass und in welcher Weise der Kläger im Berufungsverfahren den von ihm nunmehr angemahnten Aufklärungsbedarf deutlich gemacht hat. Darüber hinaus geht die Beschwerdebegründung des Klägers allenfalls ansatzweise darauf ein, inwiefern die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf der vermeintlich verfahrensfehlerhaft unterlassenen weiteren Sachaufklärung beruhen könnte. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung aber auch darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrundezulegen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - Juris RdNr 23).

Etwas anderes folgt auch nicht aus den mit der Beschwerdebegründung sowie mehreren nach Ende der Begründungsfrist am 28.12.2018 eingegangenen Schriftsätzen vorgelegten persönlichen Schreiben des Klägers sowie den eingereichten medizinischen und andersartigen Unterlagen. Diese verdeutlichen, dass sich der Kläger im Kern seines Vorbringens - wie bereits in der Beschwerdebegründung vom 21.12.2018 - vorrangig gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils wendet. Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 27.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 14 R 238/17
Vorinstanz: SG Dortmund, vom 17.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 61 R 1125/15