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BSG - Entscheidung vom 11.09.2019

B 1 KR 62/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 11.09.2019 - Aktenzeichen B 1 KR 62/18 B

DRsp Nr. 2019/14156

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Keine Verpflichtung zum Hinweis auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung Keine allgemeine Erörterungspflicht

1. Gerichte sind nicht verpflichtet, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern.2. Insbesondere muss ein Gericht nicht auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung zur Rechtssache und zu den Erfolgsaussichten zu erkennen geben.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung von 12 324,80 Euro Kosten der privatärztlichen Operation seiner Induratio Penis Plastica (IPP) durch Dr. K. im Deutschen Zentrum für Urologie und Phalloplastische Chirurgie in Darmstadt nach der sog Grafting-Methode bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, ein Anspruch aufgrund Genehmigungsfiktion (§ 13 Abs 3a S 7 SGB V ) sei durch die fristwahrende Ablehnung des Antrags (Eingang 4.2.2014, Ablehnung 6.2.2014) nicht entstanden. Die Beklagte habe den Antrag rechtmäßig abgelehnt, da auch zugelassene Leistungserbringer den Kläger hätten operieren können. Ihm seien durch die Ablehnung der Leistung auch keine Kosten entstanden, da er ohnehin fest zur bereits im Januar vereinbarten Privatbehandlung entschlossen gewesen sei. Europarecht sei nicht tangiert, da der Kläger als Inländer einen Leistungserbringer im Inland aufgesucht habe (Beschluss vom 18.6.2018).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ; dazu 1.) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ; hierzu 2.).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus. Er formuliert zwar als Rechtsfrage,

"ob ein Dienstleistungserbringer aus einem anderen Mitgliedstaat im Inland eine Dienstleistung für einen Inländer erbringen kann, dieser infolge der zu gewährenden Dienstleistungsfreiheit auch einen Erstattungsanspruch gegen seine inländische Krankenversicherung hat, gegebenenfalls hilfsweise analog der Bestimmung von § 13 Abs. 5 SGB V ."

Der Kläger zeigt jedoch die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht auf. Der Kläger legt nicht dar, wieso es unter Berücksichtigung der Vorschriften des deutschen Rechts zur Ermächtigung von Ärzten aus Mitgliedstaaten der EU zur Erbringung von Dienstleistungen ohne Begründung einer Niederlassung einem Zweifel unterliegt, dass Versicherte bei solcherart zugelassenen Leistungserbringern GKV-Leistungen im Inland zu Lasten ihrer KK in Anspruch nehmen können, dass Gleiches aber außerhalb von Notfällen und Fällen des Systemversagens nicht für die Inanspruchnahme nicht zugelassener Leistungserbringer gilt, seien sie im Inland niedergelassen oder Ärzte aus Mitgliedstaaten der EU, die Dienstleistungen ohne Begründung einer Niederlassung erbringen.

2. Der Kläger bezeichnet mit seinem Vorbringen keinen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensmangel. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist eine Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend macht, muss die Umstände bezeichnen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24 , 36).

a) Der Kläger legt den Verfahrensmangel der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG ) nicht hinreichend dar. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag (zur ausreichenden Wiedergabe nicht protokollierter Beweisanträge in den Entscheidungsgründen vgl BSG Beschluss vom 23.7.2013 - B 1 KR 84/12 B - RdNr 5 mwN) bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN). Nach ständiger Rspr des BSG gehört zur Bezeichnung eines Beweisantrags die Darlegung, dass ein - wie hier der Kläger - anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und auch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; BSG Beschluss vom 10.4.2006 - B 1 KR 47/05 B - Juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 1.2.2013 - B 1 KR 111/12 B - RdNr 8). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 S 1 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG muss ein - wie hier - anwaltlich vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das LSG keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der die schriftsätzlich gestellten Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, innerhalb der vom LSG gesetzten Frist diesem ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen ( BSG Beschluss vom 28.6.2019 - B 1 KR 50/18 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG Beschluss vom 16.1.2013 - B 1 KR 25/12 B - Juris RdNr 5). Der Kläger trägt nicht vor, dass er nach der erfolgten Anhörungsmitteilung einen Beweisantrag aufrechterhalten oder neue Beweisanträge gestellt hat.

b) Der Kläger bezeichnet auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht ausreichend. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG , Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK ) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern die Entscheidung auf diesem Sachverhalt beruhen kann (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Eine gerichtliche Entscheidung darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (vgl BVerfG [Kammer] Beschluss vom 12.6.2003 - 1 BvR 2285/02 - BVerfGK 1, 211, 213 mwN; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - Juris RdNr 7 mwN). Der Grundsatz soll indes lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Auffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Der Kläger legt indes nicht dar, wieso dies der Fall gewesen sein sollte.

Soweit der Kläger rügt, das LSG habe überraschend und sachlich unzutreffend den griechischen Arzt Dr. Konstantinidis als "Inländer" qualifiziert, setzt er sich nicht damit auseinander, dass das LSG in tatsächlicher Hinsicht lediglich festgestellt hat, dass der Kläger "als Inländer" einen "Leistungserbringer im Inland" aufgesucht hat. Der Kläger legt hierzu nicht dar, was an diesen Feststellungen überraschend sein gewesen könnte, da er auch nach seinem eigenen Vorbringen in Darmstadt operiert wurde. Soweit das LSG anschließend ausführt, schon aus diesem Grund seien die vom Kläger angeführten Gerichtsentscheidungen mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, legt der Kläger ebenfalls nichts dar, was ihn rechtsrelevant überrascht haben könnte. Denn das LSG geht davon aus, dass die vom Kläger angeführten Entscheidungen wie insbesondere das Urteil vom 13.7.2004 (vgl BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4) andere Sachverhaltskonstellationen betreffen als die Inanspruchnahme von GKV-Leistungen durch einen Inländer im Inland.

Soweit der Kläger schließlich den nächsten Satz des LSG als überraschend ansieht, die Grundfreiheiten seien vorliegend nicht tangiert, legt er ebenfalls nicht schlüssig dar, was ihn hieran überrascht haben könnte. Der Kläger hat sich selbst im Verfahren auf die Grundfreiheiten berufen. Ein Beschwerdeführer kann aber nicht zulässig im Wege einer Gehörsrüge als Verfahrensfehler geltend machen, dass das LSG seinem Vorbringen in seiner Entscheidung inhaltlich nicht gefolgt ist.

Es besteht auch kein allgemeiner Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl zB BSG Beschluss vom 1.2.2017 - B 1 KR 90/16 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG Beschluss vom 17.10.2006 - B 1 KR 104/06 B - Juris RdNr 9). Das Gericht muss nicht auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung zur Rechtssache bzw zu den Erfolgsaussichten zu erkennen geben (vgl zB BSG Beschluss vom 1.2.2017 - B 1 KR 90/16 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 10.8.2007 - B 1 KR 58/07 B - Juris RdNr 7 mwN).

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 18.06.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 166/16
Vorinstanz: SG Berlin, vom 23.02.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 182 KR 2247/14