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BSG - Entscheidung vom 19.08.2019

B 14 AS 183/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 134 Abs. 2
SGG § 153 Abs. 1
SGG § 153 Abs. 3 S. 1

BSG, Beschluss vom 19.08.2019 - Aktenzeichen B 14 AS 183/18 B

DRsp Nr. 2019/13872

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Fehlendes Originalurteil in der Gerichtsakte Geltendmachung einer verspäteten Übermittlung des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle

1. Fehlt das Original eines Urteils in der Gerichtsakte, ist deshalb noch nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen hinreichend dargelegt.2. Um eine verspätete Übermittlung des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle geltend zu machen, muss deshalb in Fällen, in denen sich die Urschrift des Urteils nicht in der Akte befindet, dargelegt werden, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Übergabe zu erfahren.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 20. Februar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt B aus H beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 134 Abs. 2 ; SGG § 153 Abs. 1 ; SGG § 153 Abs. 3 S. 1;

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG ).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Keiner dieser geltend gemachten Zulassungsgründe ist in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) erfordert ua eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Schon daran fehlt es bezogen auf die vom Kläger formulierte Rechtsfrage, ob ein Leistungsträger von einem Antragsteller im Rahmen des § 60 SGB I verlangen kann, dass dieser die Richtigkeit seiner Angaben gesondert bekräftigt, versichert oder bestätigt. Die Beschwerdebegründung befasst sich - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - nicht ansatzweise mit der Rechtsprechung des BSG zu den Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I .

Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36 ; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung, ausgehend von der Rechtsansicht des LSG, auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).

Die Beschwerdebegründung wird auch diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Der Kläger rügt zunächst als absoluten Revisionsgrund nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO , das Urteil des LSG sei nicht mit Gründen versehen, weil ein mit Unterschriften der Berufsrichter versehenes Urteil in der Gerichtsakte fehle; diese enthalte nur eine beglaubigte Abschrift. Wegen der mittlerweile verstrichenen Frist könnten die Unterschriften auch nicht mehr nachgeholt werden. Die Beschwerde übersieht dabei die Möglichkeit und Notwendigkeit, Originalurteile außerhalb der Gerichtsakte aufzubewahren, um Urteilsausfertigungen oder Urteilsabschriften auch dann noch erteilen zu können, wenn die Akten nach Abschluss des Verfahrens nicht (mehr) am Gericht, das die Entscheidung getroffen hat, aufbewahrt werden. Das Fehlen der Urschrift eines Urteils in der Gerichtsakte belegt deshalb noch nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen (vgl BSG vom 18.5.2015 - B 9 V 73/14 B - RdNr 6). Um eine verspätete Übermittlung des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle (§ 134 Abs 2 iVm § 153 Abs 1 und 3 Satz 1 SGG ) geltend zu machen, bedarf es deshalb in Fällen, in denen sich die Urschrift des Urteils nicht in der Akte befindet, der Darlegung, dass und mit welchem Ergebnis versucht worden ist, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Übergabe zu erfahren (vgl BSG vom 29.9.1994 - 4 RA 52/93 - SozR 3-1500 § 164 Nr 6; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 218a). Daran fehlt es.

Soweit die Beschwerde darüber hinaus geltend macht, die vorliegenden Entscheidungsgründe entsprächen auch nicht den Anforderungen des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG , hätte sie weiter darlegen müssen, warum die vom Kläger dargestellten - also unzweifelhaft vorhandenen - Entscheidungsgründe so mangelhaft sein sollten, dass sie einem völligen Fehlen von Gründen gleichstehen (dazu im Einzelnen etwa BSG vom 3.5.2018 - B 11 AL 2/17 R - BSGE 126, 25 = SozR 4-4300 § 159 Nr 6, RdNr 14). Allein geltend zu machen, das LSG habe weitere rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte behandeln müssen, reicht nicht aus (vgl nur Voelzke in jurisPK- SGG , 2017, § 160a RdNr 161 mwN).

Schließlich ist auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - der Kläger meint, das LSG habe seinen Vortrag nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und erwogen - nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG , der dem schon in Art 103 Abs 1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht (vgl nur Neumann in Hennig, SGG , § 62 RdNr 6 ff, Stand Juni 2015), ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, auch wenn es das Vorbringen in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich behandelt, denn das Gericht ist nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet, jedes Vorbringen extra zu bescheiden. Art 103 Abs 1 GG ist nur verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen ergibt, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist (vgl etwa BSG vom 21.3.2018 - B 13 R 254/15 B - juris RdNr 5). Solche besonderen Umstände zeigt der Kläger nicht auf. Seinem Vorbringen ist nur zu entnehmen, dass er trotz der von ihm dargestellten breiten Argumentation des LSG weiterhin anderer Ansicht ist, was die Zulassung der Revision indes nicht rechtfertigen kann.

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

PKH ist dem Kläger nicht zu bewilligen, da seine Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO ). Da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, ist auch sein Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 20.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 9 AS 1813/15
Vorinstanz: SG Hannover, vom 22.12.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 5 AS 4319/10