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BSG - Entscheidung vom 16.07.2019

B 5 R 131/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 227 Abs. 1 S. 1
SGG § 202

BSG, Beschluss vom 16.07.2019 - Aktenzeichen B 5 R 131/18 B

DRsp Nr. 2019/12817

Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Anspruch auf Terminsverlegung Erheblicher Grund für eine Verlegung Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten

1. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes für eine Terminsverlegung und eine ordnungsgemäße Beantragung einer Verlegung begründet auch unter Beachtung des allgemeinen Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung.2. Die Verhinderung eines Rechtsanwalts wegen eines anderen Termins oder wegen einer Urlaubsabwesenheit kann ein erheblicher Grund in diesem Sinne jedenfalls dann sein, wenn eine Prozesspartei nicht zumutbar auf eine anderweitige Vertretung verwiesen werden kann.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. April 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; ZPO § 227 Abs. 1 S. 1; SGG § 202 ;

Gründe:

I

Der Kläger, der seit dem 1.2.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, begehrt die Bewilligung dieser Rente bereits ab dem 18.1.2011. Mit Urteil vom 25.4.2018 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen solchen Anspruch des Klägers verneint, das zusprechende Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, mit der er Verfahrensfehler geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

II

Die Beschwerde ist unzulässig. Einen Verfahrensfehler hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG .

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

1. Der Kläger hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde, indem sein Antrag auf Terminsaufhebung abgelehnt wurde. Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO iVm § 202 SGG vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet dies auch unter Beachtung des allgemeinen Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (vgl BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 7.7.2011 - B 14 AS 35/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 12.5.2017 - B 8 SO 69/16 B - Juris RdNr 7 mwN). Die Verhinderung eines Rechtsanwalts wegen eines anderen Termins oder wegen einer Urlaubsabwesenheit kann ein erheblicher Grund sein, der die Verlegung eines Termins erfordert (vgl Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 110 RdNr 5 mwN). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger nicht zumutbar auf eine anderweitige Vertretung verwiesen werden kann. Dass ein solcher Fall vorlag, hat der Kläger nicht dargetan.

Er hat vorgetragen, seine Prozessbevollmächtigte sei an der Teilnahme an der Sitzung am 25.4.2018 gehindert gewesen, weil sie wegen eines familiären Ereignisses (Geburt eines Enkelkindes) vom 23.4. bis 30.4.2018 urlaubsabwesend gewesen sei. Er hat auch dargelegt, dass die Bevollmächtigte dies dem Gericht mitgeteilt hat (Schreiben vom 20.3.2018, 9.4.2018, 16.4.2018, 20.4.2018 und 23.4.2018). Da die Bevollmächtigte ihre Kanzlei allein mit ihrem Ehemann betreibt und dieser aus demselben Grund verhindert war, kam eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt der Kanzlei nicht in Betracht. Es kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen bei urlaubsbedingter Verhinderung des Prozessbevollmächtigten die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts außerhalb der Kanzlei zumutbar ist (vgl dazu BSG SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 12; BSG Beschluss vom 18.6.2003 - B 13 RJ 223/02 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 18.2.2014 - B 5 R 406/13 B - nicht veröffentlicht RdNr 19). Jedenfalls dann, wenn wie hier nach dem Vortrag des Klägers, ein anderer Rechtsanwalt seit Jahren regelmäßig als Vertreter der Bevollmächtigten tätig wird und darüber hinaus mit dem Rechtsgebiet vertraut ist, kann der Kläger auf die Vertretung durch diesen Anwalt verwiesen werden.

Der Kläger hat zwar dargelegt, dass der in der Kanzlei während der Urlaubszeit üblicherweise tätige Vertreter die Wahrnehmung des Termins abgelehnt hat. Er hat dem LSG ein entsprechendes Schreiben des vertretenden Rechtsanwalts vorgelegt, wonach dieser sich im konkreten Einzelfall angesichts der erforderlichen Vorbereitungszeit an einer Terminswahrnehmung gehindert sah. Angesichts der umfangreichen medizinischen Ermittlungen, der Angriffe des Klägers auf die Beweisanordnungen des Gerichts, seiner zahlreichen weitergehenden Anträge und der Androhung von Mutwillenskosten durch das Gericht ist zwar nachvollziehbar, dass eine nicht nur kurzzeitige Vorbereitung auf den Termin erforderlich gewesen wäre. Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, warum er nicht unmittelbar nach Eingang der Ladung am 20.3.2018 den Vertreter über den Termin informiert hat. Zu diesem Zeitpunkt stand die Ortsabwesenheit der Bevollmächtigten bereits fest, wie sich aus ihrem Schreiben vom selben Tag an das LSG ergibt. Warum ein Zeitraum von ca 5 Wochen bis zum Termin nicht ausreichend gewesen sein sollte, um den Vertreter ausreichend zu instruieren und ihm Gelegenheit zur Einarbeitung zu geben, legt der Kläger nicht dar. Das Schreiben, in dem der Vertreter eine Terminswahrnehmung ablehnt, datiert vom 20.4.2018. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, warum insofern kein frühzeitiges Bemühen um eine sachgerechte Vertretung erfolgte. Dass angesichts der Vertrautheit des Vertreters mit dem einschlägigen Sachgebiet eine Terminswahrnehmung durch ihn im Hinblick auf die Komplexität der Sach- und Rechtslage auch bei frühzeitiger Einarbeitung weniger erfolgversprechend erschienen wäre als eine Vertretung durch die Prozessbevollmächtigte, ist nicht hinreichend dargetan. Soweit der Kläger vorträgt, es wären durch die Wahrnehmung des Termins durch den Vertreter zusätzliche Kosten entstanden, ist insbesondere nicht dargelegt, welche internen Kostenregelungen für die Vertretungszeit getroffen worden sind (vgl BGH Beschluss vom 13.7.2011 - IV ZB 8/11 - AnwBl 2011, 787 zu den Kosten des unterbevollmächtigten Terminsvertreters).

Zu der vom Kläger ebenfalls geltend gemachten Verletzung von Art 6 GG und Art 19 Abs 4 GG , der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des fairen Verfahrens, fehlt es an hinreichenden Darlegungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG , woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSG Beschluss vom 9.5.2019 - B 10 EG 18/18 B - Juris RdNr 9).

2. Soweit der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG rügt, ist die Beschwerde ebenfalls unzulässig. Eine solche Rüge ist nur statthaft, wenn sie sich auf einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ). Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Zudem kann ein Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 18c mwN).

Der Kläger zeigt bereits nicht auf, prozessordnungsgemäße Beweisanträge gestellt zu haben. Sie ergeben sich auch nicht aus den Gründen des angefochtenen Urteils. Das LSG spricht in seinem Urteil lediglich von Beweisanregungen des Klägers. In der Beschwerdebegründung wird vorgetragen, das LSG habe Beweisanträge zur Vernehmung verschiedener Ärzte, deren Berichte dem Gericht vorgelegen haben (Dr. V., Dr. K., Dr. F., Prof. Dr. S., Prof. Dr. B. und Prof. Dr. G.), zu Unrecht nicht berücksichtigt. Im Berufungsverfahren sei beantragt worden, Dr. V., Dr. K., Dr. F., Prof. Dr. S., Prof. Dr. B. und Prof. Dr. G. als sachverständige Zeugen zu der Frage zu vernehmen, ob der Kläger im Hinblick auf verschiedene, im Einzelnen benannte Gesundheitsstörungen "nicht mehr in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können" (Dr. V.) bzw "nicht mehr in der Lage gewesen ist, in dem streitbefangenen Zeitraum vom 18.1.2011 bis 31.1.2014 einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können" (Dr. K.) bzw bei ihm "Erwerbsunfähigkeit" im streitbefangenen Zeitraum vorliegt (Dr. F.) bzw er nicht mehr imstande ist, "einer Erwerbstätigkeit von mindestens 3 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" nachzugehen (Prof. Dr. S., Prof. Dr. B. und Prof. Dr. G.). Damit hat der Kläger keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet. Aufgabe eines sachverständigen Zeugen ist es, sein Wissen über persönliche Wahrnehmungen zu schildern, die er aufgrund seiner persönlichen Wahrnehmung gemacht hat. Die Frage, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, ist hingegen eine Bewertung von Tatsachen, die einem Sachverständigenbeweis vorbehalten ist ( BSG Beschluss vom 6.1.2016 - B 13 R 303/15 B - Juris RdNr 7). Damit ist nicht, wie der Kläger offenbar meint, ausgeschlossen, dass auch behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen vernommen werden. Soweit der Kläger möglicherweise auch die Feststellung einzelner Gesundheitsstörungen unter Beweis stellen will, hat er nicht hinreichend substantiiert und für das Gericht ohne Weiteres nachvollziehbar dargetan, dass sich aus den vorliegenden Berichten Entsprechendes nicht ergibt bzw welche noch nicht berücksichtigten Gesundheitsbeeinträchtigungen bewiesen werden sollen.

Der Kläger rügt ferner eine Verletzung von § 116 S 2 SGG (Dr. F.) bzw § 116 SGG analog (insbesondere Dr. V.). Das Fragerecht nach § 116 S 2 SGG gilt für Zeugen und Sachverständige in einem Beweistermin, den das Gericht selbst durchführt. Dass ein solcher Termin hier stattgefunden hat, hat der Kläger nicht vorgetragen. Ein Zusammenhang mit der Frage, ob behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen in Betracht kommen, ist nicht erkennbar.

Soweit der Kläger sinngemäß eine Verletzung seines Fragerechts nach § 411 ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG rügen will, fehlt es an jeder Darlegung, dass es sich bei einem der genannten Ärzte um einen vom LSG bestellten gerichtlichen Sachverständigen handelt. Nur auf vom Gericht gehörte Sachverständige bezieht sich aber das Fragerecht nach § 411 ZPO .

Die Rüge, es handle sich bei dem Reha-Entlassungsbericht, auf den das LSG sich gestützt habe, nicht um ein zulässiges Beweismittel, zielt auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG , auf die nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann. Abgesehen davon fehlt es an jeder näheren Begründung dieser Behauptung.

Soweit der Beschwerde der Vortrag zu entnehmen ist, die diversen gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers seien nicht umfassend und angemessen gewürdigt worden, kann hierauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

3. Soweit der Kläger schließlich geltend macht, die Auferlegung von Gerichtskosten in Höhe von 225 Euro sei rechtswidrig, weil ihm keine missbräuchliche Rechtsverfolgung vorgeworfen werden könne, handelt es sich dabei um keinen selbstständigen Teil des Streitstoffs. Die Kostenentscheidung eines Urteils im Falle der Verhängung von sog Mutwillenskosten ist nicht selbstständig anfechtbar (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 192 Nr 1 RdNr 14-15; BSG Beschluss vom 26.10.2010 -B5R 303/10 B - Juris; zuletzt BSG Beschluss vom 2.7.2018 -B5R 62/18 B - Juris RdNr 7). Nachdem der Kläger gegen die Entscheidung des LSG in der Hauptsache keinen Revisionszulassungsgrund hinreichend dargelegt hat, ist die begehrte Überprüfung der Anwendung von § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG eine isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung, die gemäß § 165 S 1 iVm § 144 Abs 4 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen und deshalb auch nicht gesondert mit der Beschwerde geltend gemacht werden kann (stRspr, BSG SozR 4-1500 § 192 Nr 1 RdNr 14-15 mwN; BSG Beschluss vom 5.8.2008 - B 13 R 153/08 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 25.2.2010 - B 11 AL 114/09 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 10.7.2016 - B 11 AL 30/16 B - Juris RdNr 10).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 25.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 638/16
Vorinstanz: SG Hannover, vom 21.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 714/14