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BSG - Entscheidung vom 10.07.2019

B 13 R 184/17 B

Normen:
SGB X § 48
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 10.07.2019 - Aktenzeichen B 13 R 184/17 B

DRsp Nr. 2019/11685

Rückwirkende Aufhebung der Bewilligung einer Erziehungsrente Subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff Verpflichtung zur Kenntnisnahme eines Bewilligungsbescheides

1. Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff in § 48 SGB X aus.2. Des Weiteren ist geklärt, dass den Adressaten eines Bewilligungsbescheids grundsätzlich die Obliegenheit trifft, diesen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. April 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin S. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGB X § 48 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung einer Erziehungsrente und die hieraus folgende Rückforderung. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG mit Urteil vom 26.4.2017 das für die Klägerin günstige Urteil des SG Aachen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen zur Aufhebung des Bewilligungsbescheids für die Vergangenheit nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 und 4 SGB X vorlägen. Der Bewilligungsbescheid habe den Hinweis enthalten, dass die Rente mit Ablauf des Monats der Wiederheirat wegfalle und daher die Verpflichtung bestehe, eine solche unverzüglich mitzuteilen. Der Mitteilungspflicht gegenüber der Beklagten sei die Klägerin grob fahrlässig nicht nachgekommen. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, diesen Hinweis zu verstehen. Eine Mitteilung der Klägerin über die Wiederheirat sei nicht festzustellen. Eine solche werde nicht durch die Ausstellung eines neuen Sozialversicherungsausweises belegt, weil dieser auch aufgrund einer automatischen Mitteilung der Namensänderung durch die Krankenkasse oder den Arbeitgeber ausgestellt werde. Die Klägerin habe aufgrund des Hinweises der Beklagten wissen müssen, dass mit der erneuten Eheschließung der Anspruch auf Erziehungsrente entfalle. Auf Vertrauensschutz wegen eines von der Klägerin behaupteten Telefongesprächs mit einer Serviceeinheit der Beklagten könne sie sich nicht berufen, weil das Telefonat und die behauptete Auskunft nicht belegt seien. Die Beklagte habe Ermessen ausgeübt und dabei die Gesichtspunkte der finanziellen Lage der Klägerin sowie einer Mitschuld der Beklagten aufgrund der Kenntnis von einer Namensänderung hinreichend erwogen. Die Fristen des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 3 S 3 und Abs 4 S 2 SGB X seien erfüllt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde erhoben und Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten beantragt. Die Prozessbevollmächtigte hat innerhalb der Begründungsfrist das Mandat niedergelegt; eine Begründung ist nicht erfolgt.

II

1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht liegt hier nicht vor. Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

In dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG inhaltlich richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dass einer dieser Zulassungsgründe hier mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, ist nach Prüfung des Streitstoffs und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz nicht ersichtlich.

a) Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 - Juris RdNr 6). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht ersichtlich.

Die hier anwendbaren Voraussetzungen des § 48 SGB X und deren Auslegung sind durch das Gesetz und die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt. Dies gilt insbesondere für die Frage, welcher Maßstab bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit anzulegen ist. Insoweit geht das BSG in ständiger Rechtsprechung von einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff aus (vgl ua BSG Urteil vom 29.10.2008 - B 11 AL 52/07 R - SozR 4-4300 § 118 Nr 2 RdNr 20 mwN). In diesem Zusammenhang ist auch geklärt, dass den Adressaten eines Bewilligungsbescheids grundsätzlich die Obliegenheit trifft, diesen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl Senatsurteil vom 1.7.2010 - B 13 R 77/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 33 mwN).

Die Einstufung des Verhaltens eines Leistungsempfängers als grob fahrlässig betrifft im Ergebnis die tatrichterliche Würdigung im Einzelfall, nicht aber die Anwendung eines klärungsbedürftigen allgemeinen Rechtssatzes (vgl BSG Beschlüsse vom 22.3.1999 - B 14 KG 17/98 B - Juris und vom 4.7.2000 - B 7 AL 4/00 B - Juris). Denn die Frage lässt sich nicht einheitlich für alle Fälle, sondern nur von Fall zu Fall, dh nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles beantworten (vgl BSG Beschluss vom 20.12.2000 - B 11 AL 215/00 B - Juris RdNr 6). Weder die Würdigung der Tatsachen noch die inhaltliche Richtigkeit einer Entscheidung sind aber tauglicher Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde.

Höchstrichterlich geklärt ist auch, dass bei einem mitwirkenden Fehlverhalten des Leistungsträgers im Einzelfall ein atypischer Geschehensablauf vorliegen kann, der nach § 48 Abs 1 S 2 SGB X eine Ermessensausübung erfordert ("soll", vgl Senatsurteil vom 1.7.2010 - B 13 R 77/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 57 f mwN). Desgleichen steht im Grundsatz außer Frage, inwieweit die Ermessensausübung einer Behörde der gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl Senatsurteil vom 11.2.2015 - B 13 R 15/13 R - Juris RdNr 14). Ebenso ist höchstrichterlich entschieden, dass es für den Beginn der Jahresfrist iS des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 S 2 SGB X grundsätzlich auf die positive Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen bei der Behörde ankommt (vgl Senatsurteil vom 31.1.2008 - B 13 R 23/07 R - Juris RdNr 27).

b) Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Das LSG hat sich vielmehr an der Rechtsprechung des BSG orientiert. Darauf, ob das LSG diese Rechtsprechung im Einzelfall zutreffend umgesetzt hat, kommt es hier nicht an.

c) Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruhen könnte.

Dass das LSG die von der Klägerin behauptete unverzügliche Übersendung einer Heiratsurkunde an die Beklagte oder deren Telefongespräch nicht als erwiesen angesehen hat, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge gestellt. Mit der Rüge, dass das LSG seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG ) verletzt habe, könnte ein Prozessbevollmächtigter aber nur dann erfolgreich sein, wenn er sich auf einen bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag beziehen könnte, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

2. Die Verwerfung der nicht frist- und formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 26.04.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 912/15
Vorinstanz: SG Aachen, vom 26.08.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 767/14