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BSG - Entscheidung vom 15.05.2019

B 9 V 10/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 15.05.2019 - Aktenzeichen B 9 V 10/19 B

DRsp Nr. 2019/9420

Leistungen nach dem OEG Zwangsweise Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Besondere Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge

1. Die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass diese als Gehörsverletzung geltend gemacht wird.2. Das Beschwerdegericht ist nicht verpflichtet, Bruchstücke in ein Gesamtbild des Verfahrens einzuordnen und ihre Entscheidungserheblichkeit einzuschätzen; das Gericht muss durch die Beschwerdebegründung in die Lage versetzt werden, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über die rechtlichen und tatsächlichen Standpunkte des Verfahrens zu machen.3. Die Ansicht einer Prozesspartei, ein Urteil sei inhaltlich falsch, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. aus F. zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Mit Urteil vom 6.12.2018 hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz aufgrund einer zwangsweisen Unterbringung und körperlicher Misshandlungen in Form von Fixierungen, Zwangsbehandlungen und körperlichen Übergriffen im Psychiatrischen Krankenhaus R. im Jahre 2000 verneint, weil es an dem vom Gesetz vorgegebenen Nachweis von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf den Kläger fehle. Die von ihm erhobenen Vorwürfe einer Zwangsverbringung und Zwangsbehandlung bzw von körperlichen Übergriffen seien nicht objektivierbar. Die Beweiserleichterung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung komme im Fall des Klägers nicht zur Anwendung. Das LSG hat sich nicht gedrängt gesehen, ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen und die den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum behandelnden Ärzte und Pflegepersonen der Klinik als Zeugen zu vernehmen. Die Unterbringung des Klägers im Psychiatrischen Krankenhaus R. vom 15.6. bis 12.7.2000 sei auch nicht rechtswidrig erfolgt, weil diese auf dem Beschluss des Amtsgerichts R. vom 15.6.2000 beruht habe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser am 8.1.2019 zugestellten Entscheidung hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten mit einem am 5.2.2019 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Beschwerde zum BSG eingelegt, diese begründet und gleichzeitig Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt. Nachdem der Prozessbevollmächtigte die Beschwerde mit Schriftsatz vom 6.2.2019 weiter begründet hatte, hat er mit am 12.3.2019 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage beantragt, die Frist zur Beschwerdebegründung bis zum 2.4.2019 zu verlängern. Mit Schreiben vom 20.3.2019 hat die Senatsvorsitzende dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass die Beschwerdebegründungsfrist am 8.3.2019 abgelaufen und der Fristverlängerungsantrag vom 12.3.2019 verspätet sei. Die Fristverlängerung könne deshalb nicht gewährt werden. Mit weiterem am 23.3.2019 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage hat der Prozessbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er sei vom 4. bis 22.3.2019 erkrankt gewesen. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verfahrensmängel geltend.

II

1. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem Kläger wegen der Versäumung eines fristgerechten Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nach § 160a Abs 2 S 2 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG ) und damit eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren ist. Denn selbst unter Berücksichtigung der nach Ablauf der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde am 8.3.2019 eingegangenen Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten vom 23. und 26.3.2019 genügt die Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Denn der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß bezeichnet.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Wer einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) rügen will, muss deshalb nicht nur einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, sondern auch darlegen, warum die Tatumstände das LSG zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen, was diese vermutlich ergeben hätte und warum die angefochtene Entscheidung auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann. Maßgeblich ist dabei die materielle Rechtsauffassung des LSG (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 6.7.2018 - B 9 SB 5/18 B - Juris RdNr 5). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger war zuletzt in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten mehr vertreten. In einem solchen Fall sind zwar an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss aber einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens vor dem LSG noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären ( BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 5 R 331/17 B - Juris RdNr 11 mwN). Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht genügt. Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (Senatsbeschluss vom 11.10.2018 - B 9 SB 37/18 B - Juris RdNr 5 mwN). Hinsichtlich der beantragten Einholung der "Krankenhausaufenthaltsakte" übersieht der Kläger, dass dem LSG ausweislich der Entscheidungsgründe die Behandlungs- und Verlaufsberichte bzw -dokumentationen vom Aufenthalt des Klägers im Psychiatrischen Krankenhaus R. vorgelegen haben. Aus welchem Grund und zu welchen Punkten sich das Berufungsgericht dennoch hätte gedrängt fühlen müssen, die ihn dort behandelnden Ärzte und Pflegepersonen zu vernehmen, trägt der Kläger nicht vor. Sofern er meint, das LSG hätte noch ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen, hat er es versäumt, die noch zu begutachtenden Punkte im Einzelnen zu benennen (vgl § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 403 ZPO ).

Sollte der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) darin sehen, dass das LSG den Sachverhalt aus seiner Sicht nur unzureichend aufgeklärt habe, kann er damit nicht durchdringen. Denn die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass diese als Gehörsverletzung geltend gemacht wird (vgl BSG Beschluss vom 19.1.2018 - B 3 KR 45/17 B - Juris RdNr 6).

Im Übrigen greift der Kläger lediglich das Ergebnis des Berufungsurteils an, ohne diese Kritik im Zusammenhang des Verfahrens nachvollziehbar darzustellen. Es ist aber nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, Bruchstücke in einem Gesamtbild des Verfahrens einzuordnen und ihre Entscheidungserheblichkeit einzuschätzen. Vielmehr muss es durch die Beschwerdebegründung in die Lage versetzt werden, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über die rechtlichen und tatsächlichen Standpunkte des Verfahrens zu machen (vgl Senatsbeschluss vom 6.9.2018 - B 9 V 24/18 B - Juris RdNr 6).

Dass der Kläger das Urteil für inhaltlich falsch hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Dies gilt auch, soweit er mit der Auswertung und Würdigung des Sach- und Streitstandes sowie der vorliegenden medizinischen Unterlagen durch das LSG nicht einverstanden ist. Denn insoweit wendet der Kläger sich gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG ) des Berufungsgerichts. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann hierauf eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

2. Da nach alledem die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, ist der Antrag des Klägers auf PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten mangels einer hinreichenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels abzulehnen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1, § 121 Abs 1 ZPO ).

3. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 S 2 und 3 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 06.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 VE 8/18
Vorinstanz: SG Darmstadt, vom 16.01.2018 - Vorinstanzaktenzeichen S 26 VE 4/14