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BSG - Entscheidung vom 06.05.2019

B 8 SO 16/18 BH

Normen:
SGB XII § 105
SGG § 71 Abs. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 06.05.2019 - Aktenzeichen B 8 SO 16/18 BH

DRsp Nr. 2019/9414

Kostenersatz für Grundsicherungsleistungen Prozessunfähige Partei Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Partielle Prozessunfähigkeit

1. Bestimmte Krankheitsbilder können auch zu einer partiellen (Geschäfts- und) Prozessunfähigkeit führen, bei der sich die Prozessunfähigkeit auf einen gegenständlich begrenzten Lebensbereich beschränkt. 2. Eine partielle Prozessunfähigkeit erstreckt sich auf den gesamten Prozess.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGB XII § 105 ; SGG § 71 Abs. 1 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Im Streit ist die Verpflichtung des Klägers zum Kostenersatz für Grundsicherungsleistungen nach § 105 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ).

Der Kläger bezog vom Beklagten ab Mai 2009 Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII . Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund gewährte ihm im November 2011 rückwirkend ab dem 1.3.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung und zahlte ihm einen Betrag in Höhe von 9216,44 Euro aus. Der Beklagte verlangte vom Kläger die im Zeitraum vom 1.5.2009 bis 31.12.2011 erbrachten Leistungen in Höhe von 6255,14 Euro zurück (Bescheid vom 14.3.2012, Widerspruchsbescheid vom 7.5.2012). Die hiergegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts [SG] Kassel vom 26.6.2014). Die am 9.4.2018 gegen das dem Kläger am 4.7.2014 zugestellte Urteil des SG eingelegte Berufung hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Beschluss vom 16.7.2018 als unzulässig verworfen und den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Gegen den ihm am 18.7.2018 zugestellten Beschluss des LSG hat sich der Kläger mit Telefaxschreiben vom 20.7.2018, dem Bundessozialgericht ( BSG ) am 20.8.2018 vorgelegt, an das LSG gewandt, Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 22.12.2017 vorgelegt, wonach er nicht prozessfähig sei.

Nachdem es der Kläger abgelehnt hatte, seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, hat der Senat mit Beweisanordnung vom 10.1.2019 zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens nach ambulanter Untersuchung des Klägers beauftragt. Der Kläger hat hierauf mitgeteilt, er werde sich einer Untersuchung und Begutachtung verweigern und hat ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen gestellt, das der Senat verworfen hat (Beschluss vom 25.3.2019). Im auf Anforderung des Senats nach Aktenlage erstellten neuropsychiatrischen Sachverständigengutachten (vom 25.3.2019) hat der Sachverständige ausgeführt, dass zwar hinreichende Gründe für die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung vorlägen, jedoch ein Fehlen von Prozessfähigkeit nicht gegeben sei. Der Kläger sei in seiner Fähigkeit zur freien Willensbildung in allen Lebensbereichen nicht in relevanter Weise eingeschränkt, er sei in der Lage, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen und verfüge über die Fähigkeit zur Prozessführung. Die vom Kläger vorgelegten Atteste bezögen sich ersichtlich nicht auf eine Prozessunfähigkeit, sondern lediglich auf eine Einschränkung der Verhandlungsfähigkeit.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] iVm § 114 Zivilprozessordnung [ZPO]). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ). Von diesen Zulassungsgründen kann nach Aktenlage unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers keiner mit Erfolg im Beschwerdeverfahren, verbunden auch mit einem möglichen Erfolg in der Hauptsache (vgl dazu nur BSG SozR 4-1500 § 73a Nr 2 mwN) geltend gemacht werden.

Die angefochtene Entscheidung beruht insbesondere nicht auf einem Verfahrensverstoß, weil das LSG von einer Prozessfähigkeit des Klägers ausgegangen ist. Im Falle der Prozessunfähigkeit wäre der Kläger zwar nicht wirksam vertreten gewesen (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 4 ZPO ); hierin läge ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des LSG auf ihm beruht. Der Senat ist aber nach dem Ergebnis seiner Ermittlungen davon überzeugt, dass der Kläger prozessfähig ist und dies auch im gesamten Verfahren war. Ihm ist eine sachgerechte Prozessführung möglich gewesen.

Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG ), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerlichen Gesetzbuches ( BGB ) ist, weil sie sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (vgl § 104 Nr 2 BGB ) und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl Senatsbeschluss vom 1.3.2018 - B 8 SO 92/16 B - mwN, juris). Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen (Geschäfts- und) Prozessunfähigkeit führen, bei der sich die Prozessunfähigkeit auf einen gegenständlich begrenzten Lebensbereich beschränkt (stRspr seit BGHZ 18, 184 , 186 f; 30, 112, 117 f). Soweit eine solche partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess ( BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65). Eine Prozessunfähigkeit lag nach dem Ergebnis der Ermittlungen zur Überzeugung des Senats nicht vor. Der Sachverständige B. hat nachvollziehbar und plausibel dargelegt, dass keine Hinweise auf eine psychopathologische Störung, eine seelische Krankheit oder eine Bewusstseinsstörung vorliegen und der Kläger in seiner Fähigkeit zur freien Willensbildung in allen Lebensbereichen nicht in relevanter Weise eingeschränkt ist, sondern in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Hinweise auf ein Fehlen von Prozessfähigkeit konnte der Sachverständige nicht feststellen.

Ein Verfahrensmangel (Prozessurteil statt Sachurteil) liegt auch nicht darin, dass das LSG unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Berufungsfrist die Berufung als unzulässig verworfen hat. Denn das LSG hat zutreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung (§ 67 SGG ) wegen Ablaufs der Jahresfrist (§ 67 Abs 3 SGG ) abgelehnt und das Vorliegen höherer Gewalt verneint.

Hat aber das LSG zutreffend die Berufung als unzulässig verworfen, wird ein Rechtsanwalt schon mangels Entscheidungserheblichkeit erfolgreich weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch eine Divergenz geltend machen können.

Da dem Kläger keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 16.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 SO 64/18
Vorinstanz: SG Kassel, vom 26.06.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 11 SO 50/12