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BSG - Entscheidung vom 04.11.2019

B 11 AL 40/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 04.11.2019 - Aktenzeichen B 11 AL 40/19 B

DRsp Nr. 2019/17054

Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer Entscheidung

Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kann die inhaltliche Richtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht überprüft werden.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Die Klägerin, bei der wegen Späterblindung ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "B", "RF", "Bl", "G" und "H" festgestellt sind, bezog Alg vom 1.10.2013 bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 9.1.2015. Ihren Antrag auf Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung zur psychologischen Beraterin/Heilpraktikerin für Psychotherapie bei der P. S. lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 27.8.2014; Widerspruchsbescheid vom 1.10.2014). Das SG hat die Klage abgewiesen; das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, eine Zuständigkeit der Beklagten für Leistungen zur Förderung einer Aus- oder Weiterbildung bestehe mit Erschöpfung des Anspruchs auf Alg nicht mehr (§ 22 Abs 4 SGB III ). Mit dem Wegfall der sachlichen Zuständigkeit erledige sich der angefochtene Verwaltungsakt. Die hilfsweise Fortsetzungsfeststellungsklage sei unzulässig, weil es an einem berechtigten Feststellungsinteresse der Klägerin fehle. Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) bzw eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG , § 169 SGG ).

Den von ihr geltend gemachten Verfahrensmangel einer fehlenden Beiladung des Jobcenters hat die Klägerin nicht ausreichend bezeichnet. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr, vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Die Klägerin macht geltend, das LSG habe das Jobcenter M. beiladen müssen. Es sei davon ausgegangen, dass die beantragte Leistung nicht von der Beklagten, sondern allenfalls vom Jobcenter hätte erbracht werden müssen. Einen Verstoß gegen § 75 Abs 2 Alt 2 iVm Abs 5 SGG bezeichnet die Klägerin damit nicht, weil nicht dargelegt wird, inwieweit bereits im Berufungsverfahren gegenüber der Beklagten und dem Jobcenter unter Berücksichtigung der relevanten Rechtsgrundlagen nur ein materielles Recht geltend gemacht worden ist, dass die Notwendigkeit der Beiladung bedingt (vgl etwa BSG vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B, RdNr 4). Insofern hätte sich die Klägerin mit den dies betreffenden Inhalten des Urteils des LSG, insbesondere der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten eigenständigen Ermessensentscheidung des Jobcenters unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich längeren Arbeitslosigkeit der Klägerin und ihrer Teilnahme an der Qualifizierungsmaßnahme der DRV von Oktober 2015 bis April 2016, befassen müssen.

Auch eine grundsätzliche Bedeutung ist nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung hat die Klägerin formuliert: "Erfordern Art. 3 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 27 UN Behindertenrechtskonvention eine allgemeine Öffnungsklausel der §§ 116 und 117ff SGB III ?". In ihrer Beschwerdebegründung legt sie jedoch nicht die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage anhand der Struktur der von ihr genannten Regelungen und bereits vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung zu den zitierten Normen dar. Auch soweit sie geltend macht, eine Auswahl von förderfähigen Maßnahmen strikt nach den Begriffen der "Ausbildung" oder "Weiterbildung" werde der Situation behinderter Menschen nicht gerecht und auf die Situation in Berufsförderungswerken abhebt, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen. Vielmehr setzt sie sich lediglich in der Art einer Berufungsbegründung mit den tatsächlichen Umständen und den rechtlichen Wertungen der Beklagten und der Vorinstanzen auseinander. Gleichzeitig verweist sie auf die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 24.2.2016, in welcher ausgeführt worden ist, dass besondere Leistungen der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben anstelle der allgemeinen Leistungen zu erbringen sind, wenn die allgemeinen Leistungen die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder nicht in erforderlichem Umfang vorsehen würden (B 8 SO 18/14 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 24 RdNr 20; vgl nunmehr § 117 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III ). Die Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall ist nicht Gegenstand des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Auch hinsichtlich der zweiten Rechtsfrage ("Tritt eine Erledigung des Ablehnungsbescheides der Agentur für Arbeit (§ 39 Abs. 2 SGB X ) durch Beendigung der Höchstleistungsdauer entsprechend dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2011 ( B 3 KR 7/10 R) ein") fehlt es an ausreichenden Darlegungen. Zur Klärungsbedürftigkeit dieser Frage führt die Klägerin aus, das vom LSG zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Urteil des BSG vom 18.5.2011 ( B 3 KR 7/10 R) sei für den Bereich des SGB II und des SGB III nicht einschlägig. Anders als bei einem Kassenwechsel hänge der Übergang der Zuständigkeit von der Beklagten zum Jobcenter nicht vom Willen der Klägerin ab, sondern erfolge durch Zeitablauf. Hätte sich die Beklagte rechtmäßig verhalten, wäre die Bildungsmaßnahme gefördert worden. Im Bereich der Arbeitsförderung müsse es bei der bisherigen Rechtsprechung des BSG verbleiben, wonach ein Leistungsträger auch nach Beendigung seiner Zuständigkeit zu Leistungen verpflichtet sei, mit deren Erfüllung er sich im Verzug befinde (Verweis auf BSG vom 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R - BSGE 90, 220 ff). Mit diesem Bezug auf die Rechtsprechung der Senate des BSG zum Krankenversicherungsrecht hat es die Klägerin jedoch unterlassen, sich mit der vom LSG für seine Rechtsansicht zentralen Norm des § 22 Abs 4 SGB II zum Ausschluss von Leistungsberechtigten nach dem SGB II sowie der Rechtsprechung des BSG zu einer Erledigung durch Zeitablauf im Allgemeinen nach § 39 Abs 2 SGB X (vgl etwa BSG vom 18.7.2019 - B 8 SO 2/18 R, RdNr 11) zu befassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 13.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 AL 2/18
Vorinstanz: SG Mainz, vom 27.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 9 AL 166/14