Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 02.09.2019

B 13 R 354/18 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 02.09.2019 - Aktenzeichen B 13 R 354/18 B

DRsp Nr. 2019/15622

Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Erneute Klärungsbedürftigkeit einer bereits höchstrichterlich entschiedenen Rechtsfrage Hinweis auf ein einzelnes Urteil eines LSG

1. Auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage kann erneut klärungsbedürftig werden, wenn der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist, oder weil sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten.2. Der bloße Hinweis auf ein einzelnes LSG-Urteil genügt hierfür in der Regel nicht; auch die schlichte Behauptung, die bisherige Rechtsprechung sei "überholt" und entspreche nicht mehr der heutigen Zeit, reicht nicht aus.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Mit Urteil vom 23.10.2018 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

II

Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen.

Es kann dahinstehen, ob der Klägerin wegen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem neuen Prozessbevollmächtigten nach Niederlegung des Mandats der Bevollmächtigten zweiter Instanz Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Die Unzulässigkeit der Beschwerde folgt jedenfalls daraus, dass die Klägerin in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet hat.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Die Beschwerdebegründung vom 5.2.2019 verfehlt jedoch die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34, juris RdNr 6 mwN) schon deshalb, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht - formuliert wird (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - juris RdNr 8 mwN). Die Formulierung "Diese Umstände des Behindertenschutzes stellen eine Frage der grundsätzlichen Bedeutung dar" lässt - selbst unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen - keinerlei konkreten Bezug zu einer revisiblen Norm erkennen. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181).

Die nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG geltenden Anforderungen werden auch verfehlt, soweit sich den nachfolgenden Ausführungen der Beschwerdebegründung (S 5 f) sinngemäß entnehmen lässt, dass die Klägerin Zweifel an der Rechtsprechung des BSG zur Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und der daraus ggf folgenden Verpflichtung von Verwaltung bzw Gerichten zur Benennung einer konkreten, noch ausführbaren Verweisungstätigkeit hegt. Anders als erforderlich wird weder eine hierauf bezogene Rechtsfrage formuliert noch die Klärungsbedürftigkeit in diesem Zusammenhang denkbarer Fragen dargelegt. Insbesondere versäumt es die die Klägerin herauszuarbeiten, welche Rechtsfrage sich trotz der umfangreichen hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG Beschluss vom 19.12.1996 - GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8; BSG Urteil vom 5.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 5; BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr 16; BSG Urteil vom 9.5.2012 - B 5 R 68/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 18, jeweils mwN) noch ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich sein könnte (zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung der Nichtzulassungsbeschwerde vgl zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG [Kammer] Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12).

Schließlich legt die Klägerin auch nicht anforderungsgerecht dar, dass die durch die vorstehend zitierte BSG -Rechtsprechung geklärte Rechtsfrage zur Auslegung des § 43 SGB VI erneut klärungsbedürftig geworden wäre. Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist, oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG Beschluss vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13, juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.8.2018 - B 10 ÜG 7/18 B - juris RdNr 8 mwN). Der bloße Hinweis auf ein einzelnes LSG-Urteil genügt hierfür jedenfalls dann nicht, wenn - wie vorliegend - die Beschwerdebegründung nicht wenigstens eine knappe Wiedergabe des auf die vermeintlich klärungsbedürftige Frage bezogenen Inhalts der Entscheidungsgründe enthält. Ebenso wenig genügt die argumentativ nicht näher unterlegte Behauptung der Klägerin, die bisherige Rechtsprechung sei - wohl wegen nicht näher dargelegter "Änderung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt" - "überholt" und entspreche nicht mehr der heutigen Zeit. Insgesamt versäumt es die Klägerin, wie erforderlich, gewichtige andere Auffassungen in Literatur oder Rechtsprechung oder bisher nicht berücksichtigte, eine andere Bewertung ermöglichende Gesichtspunkte darzulegen.

Wenn die Klägerin geltend macht, dass entgegen der Auffassung des LSG eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliege, der Gutachter die notwendige Toilettennähe und Dauer von Toilettengängen falsch beurteilt habe sowie die Problematik der Reinhaltung von Hautentzündungen und Kontaktekzemen bei Harn- und Stuhlinkontinenz nicht hinreichend berücksichtigt worden sei, wendet sie sich gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Einzelfall. Hierauf kann die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch nicht zulässig gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 23.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 11 R 397/18
Vorinstanz: SG Heilbronn, vom 20.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 2012/15