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BSG - Entscheidung vom 03.12.2019

B 13 R 137/18 B

Normen:
SGG § 67

BSG, Beschluss vom 03.12.2019 - Aktenzeichen B 13 R 137/18 B

DRsp Nr. 2020/1295

Früherer Beginn einer Erwerbsminderungsrente Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Vertrauen auf die üblichen Postlaufzeiten

Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Beschwerde zu gewähren.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Februar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligen haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 67 ;

Gründe:

Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 19.2.2018 einen Anspruch des Klägers auf einen früheren Beginn (1.10.2012) der von der Beklagten ab 1.6.2016 gezahlten Erwerbsminderungsrente verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem am 27.2.2018 zugestellten Urteil hat der Kläger am 26.3.2018 Beschwerde eingelegt. Nachdem mit Senatsbeschluss vom 8.5.2018 die Beschwerde wegen der Versäumung der am 27.4.2018 endenden Begründungsfrist (§ 160 Abs 2 Satz 1 SGG ) als unzulässig verworfen worden war, hat der Kläger am 31.5.2018 wegen der Versäumung der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Von der Fristversäumung habe er erst durch den am 23.5.2018 zugegangenen Beschluss erfahren. Die Prozessbevollmächtigte habe die Revisionsbegründung am 7.4.2018 zur Deutschen Post gebracht; der Umschlag sei in ihrem Beisein in Empfang genommen, frankiert und in eine Postbox gelegt worden. Zur Glaubhaftmachung hat sie eine Postquittung vom 7.4.2018 überreicht.

In der am 1.6.2018 vorgelegten Beschwerdebegründung vom 6.4.2018 macht der Kläger als Zulassungsgründe eine Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) sowie Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) geltend.

Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren, weil er hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Begründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG einzuhalten. Ein Teilnehmer im Rechtsverkehr darf sich auf die üblichen Postlaufzeiten verlassen, auch wenn Beförderungsalternativen wie zB ein Telefax zur Verfügung stehen (vgl Senatsbeschluss vom 14.3.2013 - B 13 R 188/12 B - SozR 4-1500 § 63 Nr 3 RdNr 19). Es kann nach der hier glaubhaft gemachten Abgabe bei der Post nicht verlangt werden, dass er sich - etwa durch einen Anruf bei Gericht vor Fristablauf - Gewissheit über den Eingang des Schriftstücks verschafft (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 29.12.1994 - 2 BvR 106/93 - juris RdNr 19). Eine denkbare Ausnahme bei besonderen Umständen ist hier nicht ersichtlich. Nach Kenntnisnahme des Übersendungsmangels hat der Kläger innerhalb der Frist des § 67 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG die Tatsachen zur Begründung für die Wiedereinsetzung glaubhaft gemacht und die Beschwerdebegründung vom 6.4.2018 dem BSG übermittelt.

Ungeachtet der Wiedereinsetzung ist die Beschwerde jedoch unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 6.4.2018 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Der Kläger rügt einen Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht.

Das Berufungsgericht habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, da es einem Beweisantrag vom 21.9.2017 nicht gefolgt sei. Zum Beweis der Tatsache, dass die Erwerbsunfähigkeit seit Antragstellung vorgelegen und der Kläger damit nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer sechsstündigen beruflichen Tätigkeit im Bereich des allgemeinen Arbeitsmarktes nachzugehen, habe er die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.

Es kann dahinstehen, ob damit ohne Nennung des medizinischen Fachgebiets und ohne weitere Konkretisierung des Beweisthemas angesichts der bereits vorliegenden Sachverständigengutachten überhaupt ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag (vgl hierzu Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 ff mwN) bezeichnet worden ist.

Jedenfalls fehlt es an der Behauptung, dass der Beweisantrag bis zuletzt aufrechterhalten worden ist. Ein - wie der Kläger - in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl zB Senatsbeschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10 mwN). Denn nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 letzter Teilsatz SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG ) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG Beschluss vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - SozR 1500 § 160 Nr 67, juris RdNr 4). Wird ein Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (vgl Senatsbeschluss vom 9.11.2017 - B 13 R 284/17 B - juris RdNr 7 mwN).

Der Kläger hat insoweit die Darlegungsanforderungen nicht erfüllt, weil er nicht substantiiert vorgetragen hat, dass er den Beweisantrag bis zu einem der oben genannten Zeitpunkte unmissverständlich aufrechterhalten hat.

Auch soweit der Kläger unter 3.B seiner Beschwerdebegründung vorträgt, das Berufungsgericht habe seine Sachaufklärungspflicht erneut verletzt, weil es erheblichen Beweisvortrag nicht gewürdigt habe, benennt er keinen bis zuletzt aufrecht erhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag. Die Bezugnahme auf die erstinstanzliche Klagebegründung vom 5.2.2014, in der er auf den ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik vom 4.2.2013 verwiesen habe, ist dafür in keiner Hinsicht ausreichend.

b) Die Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Kläger unter Bezugnahme auf das Attest der Rehabilitationsklinik vom 4.2.2013 auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) geltend macht. Er rügt in diesem Zusammenhang, dass das LSG ohne weitere medizinische Beurteilung seiner Entscheidung eine eigene Auffassung in Widerspruch zu diesem Attest zugrunde gelegt habe, ohne ihn dazu anzuhören. Dabei verkennt er auch, dass es keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz gibt, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG Beschluss vom 21.6.2000 - B 5 RJ 24/00 B - SozR 3-1500 § 112 Nr 2; SozR 3-1500 § 62 Nr 23; SozR 3-1500 § 160 Nr 30, juris RdNr 4). Ein Verstoß gegen die Berücksichtigung von Vorbringen der Beteiligten ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil der Kläger nicht dargelegt hat, dass er das Attest vom 4.2.2013 zum zentralen Inhalt seines Vorbringens vor dem Berufungsgericht gemacht hat. Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist es aber, dass der Kläger darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen ( BSG Beschluss vom 6.4.2017 - B 9 V 89/16 B - juris RdNr 10). Die Behauptung, das Gericht habe den tatsächlichen Umständen nicht die richtige Bedeutung beigemessen, vermag grundsätzlich keinen Verstoß gegen Art 103 Abs 1 GG zu begründen (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.9.2015 - 2 BvR 1586/15 - juris RdNr 4). Soweit der Kläger mit der Auswertung und Würdigung der aktenkundigen Befundberichte und Sachverständigengutachten durch das LSG nicht einverstanden ist, wendet er sich gegen dessen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ). Hierauf kann jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden.

2. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - Juris RdNr 6). Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Es fehlt bereits an der Gegenüberstellung zweier einander widersprechender abstrakter Rechtssätze. Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG zur schweren spezifischen Leistungsbehinderung bzw der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zwar zitiere, sich aber im konkreten Fall "grob fehlerhaft" nicht "mit den tatsächlichen Erkrankungen und den daraus resultierenden Einschränkungen des Klägers" auseinandersetze. Das LSG habe lediglich eine Behauptung aufgestellt, ohne auf seine spezifische Erkrankung einzugehen; eine berechenbare und nachvollziehbare Entscheidung liege nicht vor. Damit rügt er aber lediglich eine vermeintlich unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall. Ein solcher Vortrag kann einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 19.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 621/15
Vorinstanz: SG Potsdam, vom 04.06.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 50 R 656/13