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BSG - Entscheidung vom 29.04.2019

B 9 SB 8/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 29.04.2019 - Aktenzeichen B 9 SB 8/19 B

DRsp Nr. 2019/8287

Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Reichweite der Hinweispflicht gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten

1. Gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten besteht weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen.2. Ein Hinweis ist dann zu erteilen, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. Oktober 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt R. aus H. beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G. Den von ihm geltend gemachten Anspruch hat das LSG - anders als das SG - mit Urteil vom 23.10.2018 verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und zugleich Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. aus H. gestellt. Er macht Verfahrensmängel geltend.

II

1. Der Antrag des Klägers auf PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist hier nicht der Fall. Damit entfällt zugleich der Anspruch des Klägers auf Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten im Rahmen von PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 6.3.2019 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die ergänzenden Ausführungen in der "Erwiderung" konnten nicht mehr berücksichtigt werden, weil der Schriftsatz am 25.4.2019 und damit deutlich nach Ablauf der bis zum 27.3.2019 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist beim BSG eingegangen ist (vgl § 160a Abs 2 S 1 und 2 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen für die Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.

Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Es fehlt bereits an der zusammenhängenden und aus sich heraus verständlichen Darlegung des Streitgegenstands, der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Umstände, die möglicherweise zu einem entscheidungsrelevanten Verfahrensfehler geführt haben. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich die erforderlichen Tatsachen aus dem Urteil und den Verfahrensakten herauszusuchen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 28.6.2018 - B 9 SB 53/17 B - Juris RdNr 5).

Unabhängig davon hat der Kläger auch mit seiner Schilderung prozessualer Vorgänge in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 23.10.2018 keinen Verfahrensmangel dargelegt. Soweit er eine Verletzung der Hinweispflicht des LSG nach § 106 , § 112 Abs 2 S 2 SGG und damit zugleich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) rügt, reichen seine Ausführungen nicht aus. Der Kläger verkennt, dass insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, besteht. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Deshalb gibt es auch keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (Senatsbeschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 19/18 B - Juris RdNr 7 mwN). Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschluss vom 27.8.2018, aaO). Der Kläger zeigt aber nicht substantiiert auf, dass er nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens insbesondere auch aufgrund der vorliegenden umfangreichen medizinischen Befundunterlagen und den eingeholten Sachverständigengutachten unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Entscheidung habe rechnen können. Schließlich hat der Kläger auch nicht dargelegt, inwiefern er in der mündlichen Verhandlung alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Er behauptet nicht, dass er vom Berufungsgericht darin gehindert worden sei, in der mündlichen Verhandlung die in der Beschwerdebegründung bezeichneten Beweisanträge auf Vernehmung von Dr. L., Dr. T. sowie Dr. F. oder einen Antrag auf Schriftsatznachlass zu stellen.

Im Übrigen begründet § 106 SGG keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten auf die Möglichkeit eines Beweisantrags hinzuweisen. Das Tatsachengericht hat vielmehr gemäß § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hält es eine Beweiserhebung für notwendig, hat es nicht einen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis auch ohne Antrag zu erheben ( BSG Beschluss vom 12.2.2019 - B 5 R 2/19 B - Juris RdNr 22 mwN). Ist - wie im vorliegenden Zusammenhang - ein Beweisantrag unterblieben, kann eine unterlassene Sachaufklärung nicht über den Umweg des § 106 SGG zulässig geltend gemacht werden. Ansonsten würden die Vorgaben des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG umgangen werden können ( BSG , aaO, mwN).

Der Kläger rügt weiter, das LSG hätte den erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. N. erneut vernehmen müssen. Unabhängig davon, dass Dr. N. erstinstanzlich nicht - wie der Kläger ausführt - als Zeuge, sondern als Sachverständiger gehört wurde und der Kläger nicht substantiiert vorgetragen hat, aus welchem Grund sich das LSG im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - dazu überhaupt hätte gedrängt fühlen müssen, hat der Kläger nicht dargelegt, dass er einen entsprechenden (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag bis zuletzt in den mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu Protokoll aufrechterhalten bzw erneuert hat (vgl hierzu und zu den weiteren Erfordernissen einer Sachaufklärungsrüge: Senatsbeschluss vom 24.5.2017 - B 9 SB 14/17 B - Juris RdNr 4 bis 6). Die - hier nicht erfüllten - Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 23.1.2019 - B 13 R 109/17 B - Juris RdNr 11 mwN).

Soweit der Kläger im Kern seines Vorbringens die in seinem Fall erfolgte Verneinung der medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G angreift und die seiner Ansicht nach diesbezüglich fehlerhafte Auswertung und Würdigung der vorliegenden medizinischen Befundberichte und Sachverständigengutachten durch das Berufungsgericht rügt, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung des LSG. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein nicht gestützt werden.

Mit der Rüge, das LSG habe in seinem Urteil die Bestimmung des § 146 Abs 1 S 1 SGB IX iVm Teil D Nr 1 d bis f der Anl der Versorgungsmedizin-Verordnung "missverstanden" und "falsch ausgelegt", macht der Kläger eine - vermeintlich - fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG geltend. Hierauf kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 19/18 B - Juris RdNr 8).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hamburg, vom 23.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 3 SB 39/16
Vorinstanz: SG Hamburg, vom 02.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 30 SB 237/13