Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 04.02.2019

B 10 ÜG 10/18 B

Normen:
GVG §§ 198 ff.

BSG, Beschluss vom 04.02.2019 - Aktenzeichen B 10 ÜG 10/18 B

DRsp Nr. 2019/6448

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer Zulässige Gesamtverfahrensdauer Vorbereitungs- und Bedenkzeit von vollen zwölf Monaten je Instanz

1. Vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls ist eine Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht.2. Für den Regelfall sozialgerichtlicher Verfahren ist eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von vollen zwölf Monaten je Instanz angemessen, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls für eine kürzere Frist sprechen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 499 Euro festgesetzt.

Normenkette:

GVG §§ 198 ff.;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache noch eine Entschädigung iHv 499 Euro wegen einer überlangen Dauer des Verfahrens beim SG Duisburg unter dem Aktenzeichen S 14 KN 203/13. Dem ursprünglich geltend gemachten Anspruch auf Entschädigung iHv 2784,60 Euro zzgl Zinsen iHv 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 2.1.2017 hat das LSG (Entschädigungsgericht) iHv 700 Euro zzgl der begehrten Zinsen entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen, weil das Ausgangsverfahren neunzehn Monate inaktive Zeiten aufweise und nach Abzug der vom BSG definierten Karenzzeit von zwölf Monaten sieben Monate verblieben (Urteil vom 16.5.2018).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger, von Beruf Rechtsanwalt, Beschwerde beim BSG eingelegt unter Begrenzung der noch verbliebenen Entschädigungssumme auf 499 Euro. Es liege eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor, vorliegend bestehe die Gelegenheit, die im Rahmen des § 198 GVG vom BSG vertretene restriktive Rechtsprechung aufzugeben und für die Frage der überlangen Dauer eines Prozesses Maßstäbe der Schnelligkeit und Effektivität anzuwenden, die in anderen Dienstleistungsbranchen üblich und notwendig seien. Außerdem beruhe das Urteil auf einem Verfahrensmangel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung mit Schriftsatz vom 22.10.2018 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.

1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Erklärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl Senatsbeschluss vom 15.2.2018 - B 10 EG 19/17 B - Juris RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger hat es bereits versäumt eine konkrete Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu bezeichnen mit einer abstrakt-generell formulieren Fragestellung, bei der es um die Auslegung von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen geht. Die klare Formulierung einer abstrakt-generellen, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm (vgl § 162 SGG ) ist unverzichtbar, damit das BSG an ihr die weiteren Voraussetzungen für eine Grundsatzrüge prüfen kann (stRspr, zB BSG Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - Juris RdNr 7). Darüber hinaus zeigt die Beschwerdebegründung auch den Klärungsbedarf hinsichtlich der von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Karenzzeit von zwölf Monaten je Instanz, nicht auf. Sie beschäftigt sich schon nicht hinreichend damit, inwieweit sich die Antwort auf die Kritik an der Rechtsprechung des BSG zur Entschädigung überlanger Gerichtsverfahren nicht bereits aus dem Gesetz (§ 198 GVG ) und der hierzu ergangenen BSG -Rechtsprechung ergibt, auf die sich das LSG in der angefochtenen Entscheidung bezogen hat und die der Kläger mit der Beschwerde offensichtlich kritisieren will.

Der Senat hat mit Urteil vom 3.9.2014 (B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 26, 38 ff) zu § 198 Abs 1 S 2 GVG entschieden, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (vgl auch Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 10 RdNr 28 ff). Eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von vollen zwölf Monaten je Instanz hat der Senat für den Regelfall sozialgerichtlicher Verfahren angenommen, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls für eine kürzere Frist sprechen (Senatsurteil vom 12.2.2015, aaO, RdNr 38 mwN). Eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung hat der Kläger ebenso unterlassen wie Ausführungen dazu, ob die bereits entschiedene Frage wieder klärungsbedürftig geworden sein könnte, weil die einschlägige Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang Widerspruch erfahren hat (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 23.6.2010 - B 12 KR 14/10 B - Juris RdNr 11). Ferner trägt er auch keine neueren, noch nicht erwogenen Gesichtspunkte vor, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl hierzu BSG Beschluss vom 23.6.2010, aaO). Allein die Darstellung einer bestimmten eigenen Gesetzesauslegung reicht zur Darlegung einer weiteren Klärungsbedürftigkeit von grundsätzlich vom BSG bereits entschiedenen Rechtsfragen nicht aus (vgl BSG Beschluss vom 30.3.2005 - B 4 RA 257/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). Tatsächlich wendet sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung des Entschädigungsgerichts, worauf sie allerdings nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG die Zulassung der Revision nicht stützen kann. Denn dies ist die Aufgabe des Tatsachengerichts (vgl BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 18 RdNr 11 mwN).

Soweit der Kläger eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Entschädigungsgerichts im Einzelfall rügt, kann er hierauf seine Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls nicht stützen (vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

2. Ebenso wenig hat der Kläger einen Verfahrensmangel hinreichend dargetan. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Entschädigungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der angefochtenen Entscheidung besteht. Auch diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Mögliche entscheidungsrelevante Verfahrensmängel, auf denen die Entscheidung des LSG beruhen könnte, werden vom Kläger nicht vorgetragen. Ebenso wenig schildert er die einen Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen. Selbst wenn der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) rügen wollte, weil das LSG seinen Ausführungen zur zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit nicht gefolgt sei, so würde sich hieraus keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ergeben. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (siehe § 128 Abs 2 SGG ) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (vgl BSG Beschluss vom 13.7.2017 - B 9 SB 42/17 B - Juris RdNr 7 mwN). Die bloße Darlegung einer anderen Rechtsauffassung genügt insoweit nicht. Auch fehlen Ausführungen dazu, an welchem entscheidungserheblichen Vortrag der Kläger gehindert gewesen sein sollte. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG Beschluss vom 22.3.2018 - B 9 SB 78/17 B - Juris RdNr 17 mwN). Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet das Recht, dass das Gericht einen Beteiligten "anhört", nicht aber das dieser "erhört" wird (Senatsbeschluss vom 28.9.2017 - B 10 ÜG 17/17 C - Juris RdNr 8 mwN).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO .

6. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG , weil der Kläger in der genannten Höhe noch durch das LSG-Urteil beschwert ist.

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 16.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 SF 2/17