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BSG - Entscheidung vom 30.10.2019

B 13 R 335/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 30.10.2019 - Aktenzeichen B 13 R 335/17 B

DRsp Nr. 2019/17066

Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Verkennung höchstrichterlicher Rechtsprechung Keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer Entscheidung

Verkennt oder Übersieht das Berufungsgericht höchstrichterliche Rechtsprechung, führt dies nicht zur Begründetheit einer Divergenzrüge, weil die inhaltliche Unrichtigkeit einer Entscheidung allein im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz nicht gerügt werden kann.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. September 2017 Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 21.9.2017 im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X einen Anspruch des Klägers auf Aufhebung eines Teilaufhebungsund Rückforderungsbescheids vom 25.6.2004 in Höhe von 13 720,54 Euro (inzwischen durch Aufrechnung beglichen) verneint. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise und Unterlagen hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine rückwirkende Teilaufhebung des Rentenbescheids vom 29.1.2003 nach § 45 SGB X für die Zeit vom 1.12.2002 bis 30.9.2003 vorlagen, weil der Kläger in dieser Zeit Einkommen in Höhe von monatlich 3700 Euro brutto bezogen habe. Der Kläger habe sich gegen die Rücknahme nicht auf Vertrauen berufen können, weil der zurückgenommene Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Kläger vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Denn er habe seine Beschäftigung nicht angegeben. Entgegen der erstinstanzlichen Auffassung sei unerheblich, dass sich die Beklagte ausdrücklich auf § 48 SGB X anstatt richtigerweise auf § 45 SGB X gestützt habe und deshalb kein Ermessen ausgeübt habe. Denn im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X komme es nicht mehr darauf an, ob der Aufhebungsbescheid gegen vertrauensschützende Verfahrensnormen verstoßen habe, sondern nur darauf, ob dem Betroffenen die entzogene Leistung nach materiellem Recht zugestanden habe; insoweit bezieht sich das LSG auf die Entscheidung des BSG vom 30.9.1996 ( 10 RKg 20/95). Sinn und Zweck des § 44 SGB X sei es nicht, jede Versäumung der Anfechtungsfrist ungeschehen zu machen. Insbesondere dürfe ein Betroffener nicht über § 44 SGB X die Wiedereinräumung einer ihm materiell-rechtlich nicht zustehenden Position erlangen. Vertrauensschutzvorschriften würden keinen "materiellen Rechtsgrund" iS von § 44 SGB X enthalten. Als Vertrauensschutzvorschrift des Verfahrensrechts sei auch das Gebot der Ermessensausübung bei einer Rücknahme auf der Grundlage des § 45 SGB X zu sehen. Es könne dahinstehen, ob nicht aufgrund der Falschangaben des Klägers im Rentenantrag auch eine sog Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf die Rücknahme der Bewilligungsentscheidung vorgelegen habe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde erhoben und Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

II

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es kann dahinstehen, ob die Angaben des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausreichend sind. Denn unabhängig davon ist der Antrag bereits deshalb abzulehnen, weil keine hinreichenden Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung vorliegen.

In dem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG inhaltlich richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dass einer dieser Zulassungsgründe hier durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, ist nach der im PKH- Verfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.

a) Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (stRspr, vgl zB Senatsbeschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4 mwN). Außerdem muss eine Rechtsfrage klärungsfähig (entscheidungserheblich) sein. Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen ankommt und die Entscheidung unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinn hätte ausfallen müssen (vgl BSG Beschluss vom 12.7.2017 - B 5 R 132/17 B - juris RdNr 12).

Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht ersichtlich.

Die hier anwendbaren Voraussetzungen der §§ 48 , 45 SGB X und deren Auslegung sind durch das Gesetz und die zu den Normen bereits umfangreich ergangene Rechtsprechung des BSG hinreichend geklärt. Die Würdigung der Tatsachen durch das LSG erfolgte insoweit nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und ist nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Überprüfung durch das BSG im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein entzogen.

Ob § 44 SGB X die Korrektur des ursprünglichen rückwirkenden Entziehungsbescheids wegen verwaltungsverfahrensrechtlicher Fehler (hier: fehlende Ermessensausübung) erlaubt, obwohl dem Betroffenen die Leistung nach "materiellem" Recht nicht zusteht, ist durch die Rechtsprechung des BSG bereits geklärt. Es besteht danach eine umfassende Pflicht zur Rücknahme eines unter Verstoß gegen Vertrauensschutzvorschriften ergangenen, bestandskräftig gewordenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids nach § 44 SGB X . Die Vertrauensschutzvorschriften, zu denen auch die fehlende Ermessensausübung gehört, sind ein eigenständiger, materieller Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer Leistung (vgl zB BSG Urteil vom 16.1.1986 - 4b/9a RV 9/85 - SozR 1300 § 44 Nr 22; BSG Urteil vom 8.3.1995 - 9 RV 7/93 - juris; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 - SozR 3-1300 § 44 Nr 21, juris RdNr 21). Zwar werden hierzu insbesondere im Schrifttum Ausnahmen diskutiert - etwa im Hinblick auf die Frist des § 44 Abs 4 SGB X oder bei Fehlern, die bei rechtzeitiger Anfechtung durch Widerspruch oder Klage korrigierbar gewesen wären (vgl hierzu Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X , Stand März 2018, § 44 RdNr 42, 42a). Darauf beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts jedoch nicht. Würden solche Ausnahmen entwickelt, die zur Unaufhebbarkeit eines Bescheids im Rahmen des Korrekturverfahrens führen könnten, bestätigten diese - wenn sie denn im Fall des Klägers überhaupt einschlägig wären - die Entscheidung des LSG zu Lasten des Klägers; sie sind daher im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich (klärungsfähig).

b) Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Das LSG hat sich an Aussagen des BSG (Urteil vom 30.9.1996 - 10 RKg 20/95 - juris RdNr 39) orientiert, die diese BSG -Entscheidung jedoch nicht getragen haben. Es hat dabei zwar übersehen, dass es zu der hier vorliegenden Fallkonstellation eine abweichende höchstrichterliche Rechtsprechung gibt. Die Verkennung oder das Übersehen einer Rechtsprechung führt aber nicht zur Begründetheit der Divergenzrüge (stRspr, zB BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 RdNr 14). Allein die inhaltliche Unrichtigkeit einer Entscheidung kann im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerügt werden; sie ist nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 19).

c) Ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen könnte, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hatte in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit zur Wahrnehmung rechtlichen Gehörs. Dabei gebietet der Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht, dass das Berufungsgericht dem Vortrag des Klägers auch inhaltlich folgt. Vielmehr vermittelt er nur einen Anspruch darauf, gehört, nicht aber auch "erhört" zu werden (stRspr, vgl zB BSG vom 4.1.2013 - B 13 R 357/11 B - juris RdNr 13 mwN).

2. Die vom Kläger persönlich eingelegte Beschwerde entspricht aufgrund fehlender Vertretung durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG ) nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist deshalb unzulässig. Sie ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ). 3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .13

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 21.09.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 608/16
Vorinstanz: SG Berlin, vom 08.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 23 R 4734/11