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BSG - Entscheidung vom 10.12.2019

B 12 KR 34/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 10.12.2019 - Aktenzeichen B 12 KR 34/19 B

DRsp Nr. 2020/1941

Sozialversicherungsbeitragspflicht für eine Tätigkeit als Prokuristin einer GmbH Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Kein Vertrauensschutz durch "Kopf und Seele"-Rechtsprechung

1. Ein Vertrauensschutz aufgrund einer "Kopf und Seele"-Rechtsprechung existiert nicht. 2. Es gibt keinen Obersatz, nach dem bei familiären Bindungen regelmäßig keine Beschäftigung vorliegt.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. April 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob die Klägerin zu 2. in ihrer Tätigkeit als Prokuristin der zu 1. klagenden GmbH, deren Geschäftsführer der Ehemann der Klägerin zu 2. ist, vom 14.7.2011 bis zum 11.12.2013 aufgrund einer Beschäftigung der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlag (Bescheide vom 27.5.2014, Widerspruchsbescheid vom 26.9.2014). Das SG Dresden hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.6.2017). Das Sächsische LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Der zwischen den Klägerinnen zustande gekommene Anstellungsvertrag weise für eine Beschäftigung typische Merkmale auf. Darüber hinaus sei die Klägerin zu 2. in der streitigen Zeit weder Geschäftsführerin noch Mehrheitsgesellschafterin gewesen. Sie habe daher dem umfassenden Weisungsrecht der für die Klägerin zu 1. handelnden Geschäftsführer unterlegen und als bloße Mitgesellschafterin mit hälftigem Gesellschaftsanteil die Geschicke der GmbH nicht maßgeblich bestimmen können. Ihre Rechtsmacht sei nicht mit derjenigen eines Gesellschafter-Geschäftsführers vergleichbar. Eine schützenswerte Rechtsposition aus Gründen des Vertrauensschutzes habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen (Beschluss vom 3.4.2019). Gegen die Nichtzulassung der Revision wenden sich die Klägerinnen mit ihrer Beschwerde.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit Verfahrensmängel 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) in Bezug auf die Statuszuordnung der Tätigkeit als Prokuristin gerügt werden (dazu 1. bis 4.). Sie ist unbegründet, soweit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinsichtlich entfallenen Vertrauensschutzes geltend gemacht wird (dazu 5.) und daher insgesamt zurückzuweisen.

1. Soweit die Klägerinnen das Fehlen einer mündlichen Verhandlung und damit einhergehend die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des LSG ohne ehrenamtliche Richter 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO ) rügen, ist nicht dargetan, dass seitens des LSG ein Ermessensfehlgebrauch vorlag. Eine Sachentscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und ist nur zu beanstanden, wenn die Verfahrensweise des LSG auf sachfremden Erwägungen oder grober Fehleinschätzung beruht ( BSG Beschluss vom 23.6.2016 - B 3 KR 4/16 B - SozR 4-1500 § 140 Nr 3 RdNr 11 mwN). Eine derart fehlerhafte Ermessensausübung haben die Klägerinnen nicht dargelegt. Allein der Einwand, das LSG habe weder zur Haftung der Klägerin zu 2. noch zum Vertrauensschutz verhandelt und sich keinen persönlichen Eindruck von den Klägerinnen durch deren Vernehmung verschafft, genügt insoweit nicht.

2. Auch die Rüge, das LSG habe bei seiner Entscheidung durch Beschluss dem Anhörungsgebot nicht Rechnung getragen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG , § 62 iVm § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ) verletzt, ist nicht hinreichend bezeichnet. Zwar ist eine erneute Anhörung erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert; insoweit gilt Entsprechendes wie für den sog Verbrauch einer Einverständniserklärung zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG ( BSG Beschluss vom 22.11.2012 - B 3 P 10/12 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 15 RdNr 10 mwN). Eine neue Anhörung ist daher zB dann erforderlich, wenn ein Beteiligter nach der Anhörungsmitteilung substantiiert neue Tatsachen vorträgt, die eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen erfordern, oder wenn er einen Beweisantrag stellt oder die Erhebung weiterer Beweise anregt, sofern diese entscheidungserheblich sind, das Berufungsgericht aber gleichwohl dem neuen Vorbringen, insbesondere Beweisanträgen, nicht zu folgen beabsichtigt, sondern am Verfahren nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG festhalten will ( BSG Beschluss vom 25.5.2011 - B 12 KR 81/10 B - juris RdNr 8 mwN). Solche Umstände gehen aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Die Klägerinnen behaupten, "nochmals detailliert Stellung genommen" sowie "weitere Beweismittel vorgelegt" zu haben und dass "vor allem der Aspekt des Vertrauensschutzes eingehend begründet worden" sei, legen aber nicht dar, inwieweit sich dadurch die Prozesssituation im Vergleich zur Prozesslage vor der Anhörungsmitteilung entscheidungserheblich verändert haben soll.

3. Schließlich ist der von den Klägerinnen gerügte Verstoß gegen die sich aus § 128 Abs 1 Satz 2 iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ergebende Begründungspflicht nicht ausreichend dargetan. Danach sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Aus den Entscheidungsgründen muss daher ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass dies nicht der Fall wäre oder der angefochtene Beschluss überhaupt keine Begründung enthalte. Eine Pflicht des Prozessgerichts, jeden Gesichtspunkt abzuhandeln, besteht nicht ( BSG Beschluss vom 27.6.2018 - B 13 R 273/16 B - juris RdNr 39; BSG Beschluss vom 26.5.2011 - B 11 AL 145/10 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 24.2.2010 - B 13 R 547/09 B - juris RdNr 10 mwN). Ungeachtet dessen ist auch nicht aufgezeigt worden, dass die angegriffene Entscheidung des LSG auf dem behaupteten Mangel beruht, also ohne (vermeintlichen) Verfahrensverstoß eine andere Entscheidung hätte herbeigeführt werden können.

4. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt ( BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht, soweit die Frage aufgeworfen wird, "ob eine den organschaftlichen Geschäftsführern mindestens gleichgestellte, umfassend bevollmächtigte und mit exakt 50 vH der Anteile am Stammkapital beteiligte Prokuristin mit einer statuarisch vermittelten Rechtsmacht ausgestattet, die ihr entscheidende Einflussmöglichkeit auf den Inhalt eines jeden Gesellschafterbeschlusses einräumte und sie in die Lage versetzte, ihr jede nicht genehme Weisung zu verhindern, bereits deshalb von vornherein als selbständig Tätige ausscheidet, weil sie nicht formal bestellte Geschäftsführerin war und deshalb unabhängig von den Besonderheiten des konkreten Falles als leitende Angestellte jedenfalls als der Dienstaufsicht der Geschäftsführung unterliegend und deshalb als abhängig Beschäftigte zu geltend habe".

Damit ist keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts 162 SGG ) mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert, sondern nach dem Ergebnis eines Subsumtionsvorgangs im Einzelfall gefragt worden. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Eine Rechtsfrage ist so konkret zu formulieren, dass sie als Grundlage für die Darlegung der weiteren Merkmale der grundsätzlichen Bedeutung (Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit, Breitenwirkung) geeignet ist (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGG , 1. Aufl 2017, § 160a RdNr 97).

Selbst wenn eine Rechtsfrage als aufgeworfen unterstellt würde, wäre jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben ( BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Mit solcher Rechtsprechung hat sich eine Beschwerde auseinanderzusetzen. Die Klägerinnen haben zwar auf die Urteile des Senats vom 25.1.2006 ( B 12 KR 30/04 R) und 17.5.2001 ( B 12 KR 34/00 R - SozR 3-2400 § 7 Nr 17) hingewiesen. Mit ihrem Vorbringen, es sei offengeblieben, ob diese Rechtsprechung auch für umfassend bevollmächtigte Prokuristen gelte, wird jedoch nicht dargetan, weshalb sich die Entscheidungen gerade auf diese bestimmte Berufsgruppe nicht übertragen lassen sollen. Ungeachtet dessen hat der Senat mit Urteil vom 29.8.2012 ( B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 25) ausgeführt, dass bei fehlender Bestellung zum Geschäftsführer regelmäßig von einer Beschäftigung auszugehen sei. Auf diese Entscheidung geht die Beschwerde nicht ein.

5. Die von den Klägerinnen geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinsichtlich der Frage, "ab welchem Zeitpunkt die erst mit beiden Urteilen des BSG vom 29.08.2012 aufgegebene Kopf-und-Seele-Rechtsprechung, die in der Folge zum Gegenstand der Besprechung der Sozialversicherungsträger vom 20./21.11.2013 gemacht und dort angekündigt wurde, die bisherige Weisungslage zu ändern, was dann zur Veröffentlichung des Besprechungsergebnisses vom 09.04.2014 geführt hat, frühestens rückwirkend die Arbeitgebereigenschaft zu begründen vermag, weil spätestens dann von einem Wegfall des Vertrauensschutzes auszugehen ist", liegt nicht vor. Sie ist bereits entschieden und damit nicht (mehr) klärungsbedürftig.

Der Senat hat ua mit Urteil vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) entschieden, dass Vertrauensschutz aufgrund einer "Kopf und Seele"-Rechtsprechung nicht beansprucht werden kann. Zwar haben die für das Recht der Arbeitslosen- und Unfallversicherung zuständigen Senate des BSG Personen als selbstständig angesehen, wenn sie "Kopf und Seele" des Unternehmens waren, weil sie aufgrund ihrer Stellung in der Familie die Geschäfte der Gesellschaft wie ein Alleingesellschafter nach eigenem Gutdünken führten und die Ordnung des Betriebs prägten. Einen Leit- oder Obersatz, nach dem bei familiären Bindungen regelmäßig keine Beschäftigung vorgelegen hätte, hat das BSG allerdings nie gebildet. Der für das Versicherungs- und Beitragsrecht zuständige erkennende Senat hat im Übrigen auf eine "Kopf und Seele"-Rechtsprechung nur vereinzelt zurückgegriffen.

Dass die Beschwerde bereits vor dem Senatsurteil vom 19.9.2019 eingelegt und begründet worden ist, steht der fehlenden Klärungsbedürftigkeit nicht entgegen. Die Frage, ob eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, bestimmt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BFH Beschluss vom 26.6.1989 - IV B 66/88 - juris RdNr 6).

6. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 03.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 504/17
Vorinstanz: SG Dresden, vom 09.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 47 KR 772/14