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BSG - Entscheidung vom 28.11.2019

B 5 R 48/19 B

BSG, Beschluss vom 28.11.2019 - Aktenzeichen B 5 R 48/19 B

DRsp Nr. 2020/1575

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Januar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Zwischen den Beteiligten sind streitig die Rechtsfolgen nach Aufhebung eines Bescheides über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente im Widerspruchsverfahren.

Der Kläger war aufgrund einer Radiocarpalarthrose seit dem 11.11.2011 als angelernter Maurer arbeitsunfähig und bezog Krankengeld. Nach Kündigung seines Arbeitsverhältnisses beantragte der Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur medizinischen Rehabilitation. Entgegen seinem wiederholt geltend gemachten Begehren, Teilhabeleistungen zu erhalten und entgegen seiner Auffassung, nicht erwerbsgemindert zu sein, deutete die Beklagte den Antrag auf Teilhabeleistung in einen Rentenantrag um und bewilligte eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum 1.6.2012 bis 31.7.2013 (Bescheid vom 18.9.2012). Auf den Widerspruch des Klägers nahm die Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Wirkung zum 1.6.2012 zurück (Bescheid vom 14.2.2013). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. In der Folge forderte die Beklagte vom Kläger die gezahlte Rente in Höhe von 2333,61 Euro zurück (Bescheid vom 15.4.2013). Die Anfechtung dieses Bescheides ist Gegenstand eines Berufungsverfahrens, das derzeit ruhend gestellt ist.

Mit Antrag vom 16.4.2015 begehrte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 14.2.2013. Dies lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.5.2015 und Widerspruchsbescheid vom 29.7.2015). Das SG Speyer hat mit Urteil vom 6.4.2017 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung verpflichtet, den Bescheid vom 14.2.2013 zurückzunehmen. Das SG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe in ihrem Bescheid vom 14.2.2013 kein Ermessen ausgeübt. Ein Ermessen habe jedoch sowohl bezüglich des "Ob" als auch des "Wie" einer Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides nach § 45 SGB X ausgeübt werden müssen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Bescheides vom 14.2.2013 im Überprüfungsverfahren verneint und auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG hat im Bescheid der Beklagten vom 14.2.2013 eine Abhilfeentscheidung nach § 85 Abs 1 SGG gesehen (Urteil vom 16.1.2019).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Der Kläger ist der Auffassung, Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Rentenbewilligung im Bescheid vom 14.2.2013 sei § 45 SGB X . Er macht Vertrauensschutz geltend und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG .

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn - die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), - das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder - ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG , 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

1. Der Kläger formuliert damit schon keine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen, an denen das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschlüsse vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15 und vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( BSG Beschluss vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - RdNr 9; Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 181). Dem Kläger geht es um eine "weitere Differenzierung nach dem Verhalten des Begünstigten gegenüber der den Bescheid erlassenden Behörde im Vorfeld des Erlasses" und darum, "ob sich der Kläger in der konkreten Situation auf Vertrauen berufen kann und ob dieses auch schutzwürdig ist." Dass der Kläger die Klärung seines Einzelfalls verfolgt, zeigen auch die weiteren Ausführungen der Nichtzulassungsbeschwerde: Er werde "ebenso behandelt wie ein Begünstigter, der die Rechtswidrigkeit der Rentenbewilligung verursacht hat bzw. […] mit der Rücknahme rechnen musste" und benachteiligt, obwohl er doch "alles in seiner Macht stehende getan hat, damit die Verwaltung rechtmäßig handeln kann". Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67 ).

2. Soweit es dem Kläger um die Klärung der Frage geht, ob die Vertrauensschutzregelungen des § 45 SGB X Anwendung finden und im Weiteren, ob auch die Vorschrift des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X gilt, wenn ein Verwaltungsakt im Widerspruchsverfahren aufgehoben wird, hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit und die Klärungsfähigkeit solcher Rechtsfragen nicht schlüssig dargetan.

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger zitiert aus insgesamt acht Entscheidungen des BSG , die sich mit Vertrauensschutz nach Aufhebung von Verwaltungsakten befassen. Die angeführte Rechtsprechung bewertet der Kläger überwiegend selbst als "nicht im Sinne einer Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage übertragbar" ( BSG Urteil vom 28.5.1997 - 10/14 RKg 25/95), als "für die hier aufgeworfene Rechtsfrage nicht ergiebig" ( BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R), als "im Hinblick auf die Beantwortung der Rechtsfrage unerheblich" ( BSG Urteil vom 1.7.2010 - B 13 R 86/09 R) und als "unergiebig" ( BSG Urteil vom 24.4.2014 - B 13 R 3/13 R). Er sieht die aufgeworfene Rechtsfrage durch die angeführten Entscheidungen "nicht beantwortet" ( BSG Urteil vom 3.5.2018 - B 11 AL 3/17 R), eine Beantwortung als "nicht möglich" ( BSG Urteil vom 23.3.1972 - 5 RJ 63/70) und das Urteil aufgrund des abweichenden Sachverhalts nicht geeignet, zur Beantwortung der Rechtsfrage beizutragen ( BSG Urteil vom 8.2.2001 - B 11 AL 21/00 R). Die Ausführungen des Klägers betreffen ausschließlich die Prüfung von Vertrauensschutzregelungen bei der Aufhebung von Verwaltungsakten nach §§ 44 ff SGB X in unterschiedlichsten Konstellationen. Dies gilt auch, soweit der Kläger dem Urteil vom 14.11.1985 ( 7 RAr 123/84) zumindest "Anhaltspunkte" entnimmt zur Klärung der Frage, ob sich der Kläger auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann. Auch diese Entscheidung betraf die Rücknahme eines bereits bestandskräftigen Verwaltungsaktes. Der Kläger diskutiert nicht, ob sich die Frage nach der Anwendbarkeit der Vertrauensschutzregelungen des § 45 SGB X im Widerspruchsverfahren anhand höchstrichterlicher Rechtsprechung beantworten lässt (zur Abgrenzung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X zum Widerspruchsverfahren vgl zB BSG Urteil vom 26.10.2017 - B 2 U 6/16 R - SozR 4-2200 § 547 Nr 1 RdNr 15 mwN; vgl auch BSG Urteil vom 2.12.1992 - 6 RKa 33/90 - BSGE 71, 274 , 278). Ebenso wenig wird thematisiert, ob ein Anwendungsfall des § 45 Abs 2 SGB X dann vorliegt, wenn eine Leistungsbewilligung auf einen Widerspruch des Begünstigten aufgehoben wird. Insofern fehlt es sowohl an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit als auch zur Klärungsfähigkeit.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 16.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 192/17
Vorinstanz: SG Speyer, vom 06.04.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 17 R 768/15