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BSG - Entscheidung vom 27.06.2019

B 12 KR 10/19 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 100 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 13 Nr. 11
BVerfGG §§ 80 ff.

BSG, Beschluss vom 27.06.2019 - Aktenzeichen B 12 KR 10/19 B

DRsp Nr. 2019/10796

Anspruch auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Kein pauschaler Verweis auf die angebliche Notwendigkeit einer Richtervorlage zur Begründung der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage Entscheidungserheblichkeit der vermeintlich verfassungswidrigen Norm

1. Die Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage für ein Revisionsverfahren kann nicht pauschal durch "eine Vorlagebedürftigkeit nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG " begründet werden. 2. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG setzt die Entscheidungserheblichkeit der vermeintlich verfassungswidrigen Norm voraus.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 2018 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; GG Art. 100 Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 13 Nr. 11 ; BVerfGG §§ 80 ff.;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin im Wege eines Überprüfungsverfahrens die Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die 1944 geborene Klägerin ist Mutter eines Sohnes. Sie bezieht seit August 2009 eine Altersrente. Sie ist freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ihren Antrag auf Aufnahme in die KVdR hatte die beklagte Krankenkasse mit der Begründung abgelehnt, sie erfülle nicht die Zugangsvoraussetzungen (Schreiben vom 9.7.2009).

Einer Beitragsneufestsetzung durch Bescheid vom 22.6.2016 widersprach die Klägerin mit der Begründung, die Nichtberücksichtigung der ersten Hälfte ihres Erwerbslebens im Rahmen der Zugangsvoraussetzungen zur KVdR sei sachfremd und willkürlich. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag ab. Innerhalb der maßgeblichen zweiten Hälfte der vom 1.8.1961 bis 7.5.2009 reichenden Rahmenfrist sei die Klägerin nur 17 Jahre, 10 Monate und 7 Tage Mitglied der GKV und in der übrigen Zeit privat krankenversichert gewesen. Die Erfüllung der 9/10 Belegung erfordere aber eine Mitgliedschaftszeit von 21 Jahren, 6 Monaten und 4 Tagen. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 5.7.2017, SG -Gerichtsbescheid vom 29.11.2017, LSG-Urteil vom 18.12.2018). Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen LSG vom 18.12.2018 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels - trotz deren Umfangs - entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

1. Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 3.4.2019 ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Letzteren legt die Klägerin jedoch nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar.

Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48).

Die Klägerin wirft auf S 3 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:

"Verstößt § 5 Abs. 1 Ziff. 11 SGB V i.V.m. der durch das HHVG vom 04.04.2017 in Kraft getretenen Fassung des § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB V gegen Artikel 3 Abs. 1 GG , weil für den Zugang zur Krankenversicherung der Rentner Versicherten mit Kindern (deren Geburt und Erziehung typischerweise in der ersten Hälfte des Erwerbslebens liegt) auf ihre Vorversicherungszeit je Kind 3 Jahre, gesamt bis zu 12 Jahre angerechnet werden und hierdurch Versicherte ohne hinreichenden sachlichen Grund benachteiligt werden, die in der ersten Hälfte ihres Erwerbslebens für einen Zeitraum von (bis zu) 12 Jahren durch eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit und damit verbundenen Beiträgen zur gesetzlichen Finanzierung des Aufwandes der gesetzlichen Krankenkasse und der KVdR beigetragen haben."

a) Es kann offenbleiben, ob die Klägerin eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG ) mit höherrangigem Recht formuliert ( BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN). Ebenso kann offenbleiben, ob die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit ihrer Frage hinreichend darlegt (vgl insbesondere zur Behauptung eines Grundrechtsverstoßes BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - Juris RdNr 5 mwN).

b) Die Klägerin legt jedenfalls die Klärungsfähigkeit ihrer Frage nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar. Denn sie setzt sich nicht damit auseinander, inwieweit die Antwort auf die gestellte Rechtsfrage Auswirkungen auf ihren konkreten Sachverhalt haben kann. Hierzu hätte aber Anlass bestanden. Das LSG hat bereits darauf hingewiesen, dass sich die rechtliche Situation der Klägerin bei Annahme einer Verfassungswidrigkeit von § 5 Abs 2 S 3 SGB V (in der Fassung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes [HHVG] vom 4.4.2017 [BGBl I 778]) nicht verbessern würde (LSG-Urteil S 16). Ergänzend hat das LSG darauf hingewiesen, dass auch bei Annahme der Anwendbarkeit der Neuregelung - also plus drei Jahre für ein Kind - ein KVdR-Zugang für die Klägerin nicht in Betracht komme, weil sie dann (immer noch) nur eine Vorversicherungszeit von 20 Jahren, 10 Monaten und 7 Tage aufweise, erforderlich aber 21 Jahre, 6 Monate und 4 Tage seien. Schließlich hat bereits das LSG darauf hingewiesen, dass die bereits früher geltenden Zugangsvoraussetzungen zur KVdR nach der Rechtsprechung des BVerfG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen (LSG-Urteil S 13 mit Hinweisen auf die Rspr des BVerfG).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Klärungsfähigkeit auch nicht pauschal durch "eine Vorlage nach Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG " begründet werden. Denn eine Richtervorlage nach Art 100 Abs 1 S 1 GG iVm § 13 Nr 11 , §§ 80 ff BVerfGG setzt insbesondere die Entscheidungserheblichkeit der vermeintlich verfassungswidrigen Norm voraus (vgl § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG ; hierzu zB BVerfG Beschluss vom 19.12.2012 - 1 BvL 18/11 - BVerfGE 133, 1 RdNr 35 mwN).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 18.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen L 20 KR 753/17
Vorinstanz: SG Bayreuth, vom 29.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 KR 359/17