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BSG - Entscheidung vom 02.08.2019

B 9 V 3/19 BH

Normen:
SGG § 73a Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 02.08.2019 - Aktenzeichen B 9 V 3/19 BH

DRsp Nr. 2019/13595

Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Unsubstantiierte Beweisanträge begründen keine Beweisaufnahmepflicht

Unbestimmte bzw. unsubstantiierte Beweisanträge "ins Blaue hinein" verpflichten ein Tatsachengericht nicht, eine Beweisaufnahme durchzuführen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. März 2019 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwältin B., beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt eine Beschädigtenrente wegen behaupteter Misshandlungen und angeblichen Missbrauchs durch ihren Vater in Kindheit und Jugend.

Das LSG hat den Anspruch verneint. Die angeschuldigten Taten ihres Vaters seien nach den über die Klägerin eingeholten Glaubhaftigkeitsgutachten und den vorliegenden Zeugenaussagen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht (Urteil vom 28.3.2019).

Mit ihrem Antrag begehrt die Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist unbegründet und daher abzulehnen. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO ). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG ) in der Lage wäre, die von der Klägerin angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin - Anhaltspunkte dafür, dass sie einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Die Voraussetzungen für die Einholung und Berücksichtigung aussagepsychologischer Gutachten (sog Glaubhaftigkeitsgutachten) im sozialen Entschädigungsrecht sind in der Rechtsprechung des Senats geklärt (Senatsurteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R - BSGE 122, 218 = SozR 4-3800 § 1 Nr 23). Ebenso wenig ist ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von dieser oder anderer Rechtsprechung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ).

Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Insoweit erscheint es ausgeschlossen, dass ein Prozessbevollmächtigter einen hinreichend substantiierten und damit prozessordnungsgemäßen Beweisantrag der Klägerin bezeichnen und konkrete Umstände benennen könnte, die das LSG zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache ( BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160a RdNr 96 mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge "ins Blaue hinein" brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - Juris RdNr 26; BSG Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B - Juris RdNr 12).

Das LSG ist im angefochtenen Urteil auf der Grundlage von aussagepsychologischen Gutachten mehrerer Sachverständiger zu dem Schluss gekommen, insbesondere wegen des Krankheitsbildes der Klägerin seien suggestionsbedingte Scheinerinnerungen nicht auszuschließen; Beweise für die angeschuldigten Taten ihres Vaters seien daher außerhalb ihrer eigenen Angaben zu suchen. Die dazu vorliegenden Zeugenaussagen widersprächen sich aber. Das Gericht könne sich deshalb nicht davon überzeugen, dass Angriffe iS von § 1 OEG erfolgt seien. Trotz dieser sich bereits in der Berufungsinstanz abzeichnenden Beweislage hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erstmals in der mündlichen Berufungsverhandlung beantragt, von der Medizinpsychologin H., ein MRT vom Gehirn der Klägerin erstellen und auswerten zu lassen, um zu beweisen, dass die Klägerin "in ihrer Kindheit misshandelt und sexuell missbraucht worden sei". Damit hat sie aber weder hinreichend konkrete Angriffe iS von § 1 OEG behauptet, geschweige denn diese örtlich oder zeitlich beweisbar eingegrenzt. Ebenso wenig verhält sich der zu Protokoll gegebene Antrag dazu, warum sich das benannte - ungewöhnliche - Beweismittel einer MRT-Aufnahme vom Gehirn der Klägerin (vgl dazu Das Gehirn zeigt Erlittenes, FAZ vom 15.7.2013) überhaupt dazu eignen könnte, Misshandlungen der Klägerin gerade durch ihren Vater zu beweisen oder glaubhaft zu machen (vgl BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 377/15 B - Juris RdNr 12; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - Juris RdNr 3 mwN).

Soweit die Klägerin der Sache nach als Verfahrensmangel rügen will, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG ; Art 103 Abs 1 GG ) verletzt, ist für eine solche Gehörsverletzung ebenfalls nichts ersichtlich. Denn dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG ), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (Senatsbeschluss vom 19.2.2019 - B 9 V 2/18 BH - Juris RdNr 15 mwN). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung entscheidungserheblichen Vortrags ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt, oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (Senatsbeschluss vom 19.2.2019, aaO, mwN).

Solche besonderen Umstände, die auf ein Übergehen wesentlichen Vortrags schließen lassen könnten, sind hier nicht ersichtlich. Die Klägerin meint zwar, das Gericht habe sich überhaupt nicht mit ihrem Vorbringen zum traumabezogenen Vergessen beschäftigt. Indes hat sich das LSG auf mehrere aussagepsychologische Gutachten gestützt, welche die Klägerin aufgrund ihres Krankheitsbildes übereinstimmend als nicht hinreichend aussagetüchtig einschätzen. Wegen dieser aufgehobenen Aussagetüchtigkeit war die Frage eines möglichen traumabezogenen Vergessens für das LSG ersichtlich nicht entscheidungsrelevant und brauchte schon deshalb im Urteil nicht ausdrücklich erörtert zu werden.

Die Klägerin wirft dem LSG weiter vor, es sei bei ihr zu Unrecht von der Diagnose einer Borderline-Störung ausgegangen. Indes hat das LSG diese Diagnose lediglich aus der Begründung des Erstantrags der Klägerin auf Beschädigtenversorgung zitiert; im Übrigen hat das Berufungsgericht seine Verneinung der Aussagetüchtigkeit der Klägerin ausdrücklich auf das Vorliegen einer dissoziativen Störung gestützt, wie sie auch die Klägerin bei sich annimmt.

Soweit die Klägerin schließlich ein Detail der Beweiswürdigung des LSG kritisiert - die Bewertung der Aussage ihres ehemaligen Lebensgefährten - kann sie damit von vornherein keine Revisionszulassung erreichen. Die Beweiswürdigung des LSG wird von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG der Beurteilung durch das BSG als Beschwerdegericht vollständig entzogen. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - Juris RdNr 15 mwN).

Da der Klägerin keine PKH zusteht, kann sie auch keine Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO ).

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 28.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen L 10 VE 28/16
Vorinstanz: SG Hannover, vom 09.12.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 18 VE 2/12